„Sport ist Motivation in allen Bereichen, deshalb gehört er zentral auf die Agenda“
Kanu-Olympiasieger Ronald Rauhe untermauert die Forderung nach einer Anbindung des Sports im Bundeskanzleramt und erklärt, warum sich der Sport gerade in Krisenzeiten nicht klein reden lassen darf.

27.03.2025

Der DOSB hat zehn Forderungen an die neue Bundesregierung aufgestellt – und wir untermauern diese in den Wochen des Bundestagswahlkampfs und der anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der Unterstützung von Testimonials aus dem Leistungssport, um anhand von Beispielen aus der Praxis deutlich zu machen, was diese Forderungen dem organisierten Sport bedeuten. Der Link zu allen zehn Forderungen findet sich am Textende. In der letzten Folge geht es um Verortung und Verantwortung.
Sein Interesse an sportpolitischen Themen ist verbrieft, und das nicht erst, seit Ronald Rauhe im vergangenen Herbst in das vom DOSB und dem Bundesministerium des Innern (BMI) geförderte Leadership-Programm eingestiegen ist, das deutsche Führungskräfte darauf vorbereitet, die Sportwelt mitzugestalten. Kaum überraschend also, dass der zweimalige Kanurennsport-Olympiasieger für den Abschluss dieser Serie, die die zehn Forderungen des organisierten Sports an die Bundespolitik veranschaulicht, sofort seine Bereitschaft erklärt hatte. Die Berufung einer Sportministerin oder eines Sportministers im Bundeskanzleramt hält der 43-Jährige, der in der Athletenkommission des Europäischen Olympischen Komitees (EOC) engagiert ist, für einen ganz wesentlichen Schritt, um die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft zu untermauern.
„Leider ist der Stellenwert des Sports nicht mehr so hoch, wie er es mal war. Die Gründe dafür sind vielfältig, man kann diese Diskussion herunterbrechen bis zu den Bereichen Schule, Vereine und Elternhaus, in denen manches nicht mehr so läuft, wie es notwendig wäre“, sagt er. Der Medaillenspiegel zumindest bei Olympischen Sommerspielen, der gern als Diskussionsgrundlage für Versäumnisse im Spitzensport angeführt wird, „ist ein Spiegel dessen, was sich falsch entwickelt hat in den vergangenen Jahren. Und wenn wir das alles wieder in die richtige Richtung drehen wollen, dann muss der Sport auf höchster Ebene angebunden sein. Deshalb unterstütze ich die Forderung nach einem Staatsminister oder einer Staatsministerin vehement.“
Zu oft hat sich Ronald Rauhe in der Vergangenheit über populistische Einlassungen zum Thema Leistungssport geärgert, zuletzt im Rahmen der Bundestagswahl. „Da werden Dinge propagiert wie die Abschaffung von Ehrenurkunden bei den Bundesjugendspielen als Ursache fehlenden Erfolgs, die von Halbwissen zeugen und nicht ansatzweise bis zum Ende durchdacht werden. Viele Menschen in der Politik sind sich nicht bewusst, wie das Sportsystem funktioniert. Da sind populistische Wortschöpfungen sehr einfach, aber der Schritt, zu schauen, wo die Dinge wirklich im Argen liegen, um nachhaltig Abhilfe zu schaffen, wird zu selten gegangen“, beklagt er. Als eins von vielen Beispielen führt er die Frage nach der Ursache dafür an, warum immer weniger junge Menschen den Weg in den Spitzensport zu gehen bereit sind. „Wenn es immer weniger Trainerinnen und Trainer gibt, die in den Vereinen ehrenamtliche Arbeit leisten können oder wollen, muss sich niemand über fehlenden Nachwuchs wundern. Wenn keiner da ist, der Kinder begeistert, können auch keine Kinder oben ankommen!“
Der größte Benefit einer Anbindung des Sports im Bundeskanzleramt entstünde laut Rauhe dadurch, dass die Anliegen des Sports mit anderen Kernthemen wie Gesundheits- und Bildungspolitik oder infrastrukturellen Projekten verknüpft werden könnten. „Zu häufig wird der Sport auf diesen Feldern nicht mitgedacht. Mich stört, dass wir oft auf das Gewinnen von Medaillen bei Großereignissen reduziert werden. Darum geht es auch, aber doch nicht vorrangig.“ Das Selbstverständnis, dass Investments in den Sport in seiner gesamten Breite wertvoll sind, fehle ihm an zu vielen Stellen. Zwar sieht er eine Holschuld bei der Politik, die die Pflicht habe, sich tiefgreifend zu informieren, um Veränderungen durchsetzen zu können. Der DOSB jedoch habe die Bringschuld, proaktiv und mit mehr Durchschlagskraft diese Veränderungen anzustoßen und für seine Belange zu werben.
„Wir müssen als organisierter Sport viel klarer machen, dass viele Themen ohne den Sport nicht vorangebracht werden können. Ich denke da an Integration von Menschen aus anderen Ländern, aber auch an das Vermitteln von Werten, die nirgendwo anders mehr vermittelt werden“, sagt der Berliner. „Wenn wir uns vorstellten, dass es keine Sportvereine mehr gäbe: Wo sonst lernen Kinder heute noch Dinge wie Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und Disziplin?“ Schule stoße bei deren Vermittlung an Grenzen, in der Erziehung fänden sie ebenfalls immer seltener Raum. „Und wenn diese Werte im Elternhaus vermittelt werden, dann wette ich darauf, dass die Eltern selbst in Sportvereinen waren oder sind.“
Sport vermag es, Gesellschaften in Krisenzeiten zusammenzuhalten
Spitzen- und Breitensport mit seinen knapp 28,8 Millionen Mitgliedschaften in rund 86.000 Vereinen als Teil eines komplexen Systems zu betrachten und entsprechend zu behandeln, könne durch die Implementierung eines Staatsministers oder einer Staatsministerin entscheidend vorangetrieben werden. Dürfte sich Ronny Rauhe die geeignete Person zusammenbasteln, wie sähe diese aus? „Es wäre sicherlich zielführend, wenn es jemand aus dem Sport wäre, der oder die all die relevanten Themen aus eigener Erfahrung kennt. Andererseits braucht es auch eine Persönlichkeit, die auf politischem Parkett trittsicher agiert und sofort fundierte Antworten geben kann, anstatt nach Erklärungen fragen oder suchen zu müssen. Eine Kombination daraus wäre die perfekte Lösung“, sagt er.
Eine solche Persönlichkeit zu finden, das ist eine Aufgabe, die die neue Bundesregierung zügig angehen sollte. Rauhe hält nichts davon, den Sport und seine Anliegen angesichts der Herausforderungen, vor der die Weltgemeinschaft in diesen Tagen steht, wieder klein zu reden. „Im Gegenteil“, sagt er, „Sport ist oft der letzte verbliebene gemeinsame Nenner, der es vermag, Gesellschaften in Krisenzeiten zusammenzuhalten. Je härter die Themen werden, desto wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die die Werte vertreten, die der Sport vermittelt. Sport ist Motivation in allen Bereichen und stärkt das Gemeinschaftsgefühlt. Deshalb gehört er ganz zentral auf die Agenda!“ Ein*e Staatsminister*in im Bundeskanzleramt wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den Ronny Rauhe mit seinen Erfahrungen an der Seite des deutschen Sports mitgehen möchte.