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„Es fehlt nicht an guten Konzepten, aber wir haben ein Umsetzungsproblem“

Fabienne Königstein, Vertreterin der Athlet*innen im DOSB-Präsidium, Marathon-Ass und Mutter einer Tochter, bekräftigt die Bedeutung einer optimierten Leistungssportförderung.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

30.01.2025

Der DOSB hat zehn Forderungen an die neue Bundesregierung aufgestellt - und wir untermauern diese in den Wochen des Bundestagswahlkampfs und der anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der Unterstützung von Testimonials aus dem Leistungssport, um anhand von Beispielen aus der Praxis deutlich zu machen, was diese Forderungen dem organisierten Sport bedeuten. Der Link zu allen zehn Forderungen findet sich am Textende. In Folge 2 geht es um Leistung und Leidenschaft.

Wie herausfordernd es sein kann, in Deutschland Teil des Leistungssportsystems zu sein, davon kann Fabienne Königstein einige Geschichten erzählen. Die, die sie aktuell belastet, geht so: 2023 war die 32-Jährige von der Mannheimer Turn- und Sportgesellschaft beim Haspa-Marathon in Hamburg in 2:25:48 Stunden persönliche Bestzeit gelaufen - und das nur neun Monate nach der Geburt ihrer Tochter Skadi. Eine herausragende Leistung, mit der sie die Norm für die Olympischen Spiele von Paris unterbot.

Weil jedoch in Deutschland drei Frauen noch schneller waren, wurde sie nicht für Frankreich nominiert. Dazu kam eine langwierige Hüftproblematik, die einen Marathonstart im vergangenen Jahr verhinderte; mit der Folge, dass die Spitzenathletin aus dem Bundeskader gestrichen wurde und ihr dadurch der Zugang zu diversen Fördertöpfen versperrt ist. „Zum Glück wird mir die Physiotherapie noch ein Jahr über den Olympiastützpunkt Rhein-Neckar finanziert. Aber ansonsten ist das Thema soziale Absicherung gerade wieder ziemlich bestimmend in meinem Leben“, sagt Fabienne Königstein, die sich zu ihrem Glück auf die Unterstützung durch ihren Ehemann Karsten verlassen kann, der als Arzt arbeitet und zum 1. Februar wieder eine volle Stelle antritt, nachdem er in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel Elternarbeit geleistet und seiner Frau so den Rücken für das Profisportlerinnen-Dasein freigehalten hatte.

Mit Verlässlichkeit langfristig planen zu können, das ist ein Wunsch, den Fabienne Königstein mit vielen deutschen Athlet*innen teilt. Die vor mittlerweile acht Jahren angestoßene Leistungssportreform endlich zu nachhaltigen Ergebnissen bringen zu können, ist der nationalen Marathon-Meisterin von 2018 ein persönliches Anliegen, unter anderem dafür engagiert sie sich im Präsidium und der Athletenkommission des DOSB sowie im Präsidium des Vereins Athleten Deutschland. „Es liegt ja nicht daran, dass es nicht ausreichend gute Ideen und Konzepte gibt. Wir haben im deutschen Sport ein Umsetzungsproblem, an dem alle Beteiligten arbeiten müssen. In den vergangenen beiden Jahren gab es harte, aber gute Verhandlungen mit Blick auf die Spitzensportreform, an die eine neue Regierung anknüpfen muss“, sagt sie.

  • „Wir haben im deutschen Sport ein Umsetzungsproblem, an dem alle Beteiligten arbeiten müssen. In den vergangenen beiden Jahren gab es harte, aber gute Verhandlungen mit Blick auf die Spitzensportreform, an die eine neue Regierung anknüpfen muss.“

    Fabienne Königstein
    Vertreterin der Athlet*innen DOSB

    Begründet sei das Umsetzungsproblem in erster Linie darin, dass die Sportstrukturen zu komplex seien.

    „Es gibt so viele Parteien, die bei der Förderung mitreden, dass selbst ich, die sich seit längerer Zeit damit beschäftigt, manchmal Schwierigkeiten habe, die Zuständigkeiten zuzuordnen“, sagt sie. Auch wenn die Laufbahnberater*innen an den Stützpunkten wertvolle Arbeit leisteten, wüssten viele Athlet*innen nicht, welche Fördermöglichkeiten ihnen offen stünden. „Das Schreiben von Anträgen ist dabei für uns gar nicht das größte Problem, sondern die Komplexität und der Aufwand für die Verbände, wenn sie Fördermittel vom Bundesinnenministerium bekommen. Dass Mittel da sind, um eine Sportdirektorenstelle zu besetzen, aber kein Geld übrig ist, um Trainingslager zu finanzieren, verstehen viele nicht. Dass es sich dabei um unterschiedliche Fördertöpfe handelt, zwischen denen man die Gelder nicht einfach hin- und hertransferieren kann, macht es sehr kompliziert und komplex.“

    Wie aber wäre dem Abhilfe zu schaffen? „Zum Beispiel dadurch, dass die Fördermittel nicht jedes Jahr aufs Neue bewilligt werden müssten, sondern Planbarkeit für einen Olympiazyklus bestünde“, sagt Fabienne Königstein. Genau dafür sei wichtig, dass die Leistungssportreform endlich in ein Sportfördergesetz münde, das eine verlässliche Finanzierung des Spitzensports durch Bundesmittel langfristig und unabhängig von Regierungswechseln festschreibe. „Dieses Bekenntnis der Politik – auch oder gerade zu den Bedarfen der Athletinnen und Athleten – fehlt leider immer noch. Wir sprechen von einer angemessenen Existenzsicherung, Altersvorsorge oder Versicherungsschutz.“ Der Bruch der Ampel-Koalition verhinderte, dass ein bereits ausgearbeitetes Gesetz, das parteiübergreifend Zustimmung erfährt, verabschiedet werden konnte. Gleichzeitig bietet die Verzögerung die Chance, die notwendige Überarbeitung des Gesetzes zu ermöglichen und es dadurch zu optimieren.

    Im Zuge dieser Neugestaltung werden auch die Diskussionen um eine unabhängige Leistungssportagentur fortgesetzt werden, die Fabienne Königstein grundsätzlich unterstützt. „Ich denke, dass das System dadurch unbürokratischer, flexibler und schlanker gemacht werden könnte, sofern die Agentur schnell und unabhängig operieren kann. Darin könnte ihr großer Vorteil gegenüber dem bestehenden System liegen.“ Vielleicht wäre dann auch eine Lösung für die Probleme möglich, vor denen Mütter stehen, die nach der Schwangerschaft den Weg zurück in den Hochleistungssport suchen. „Das Thema ist seit zwei Jahren sehr präsent, aber es läuft weiterhin sehr schleppend, obwohl von allen Seiten Zustimmung herrscht, dass vieles verbessert werden muss. Wir benötigen einen verbindlichen Mutterschutz jetzt“, sagt Fabienne Königstein, die auch in diesem Punkt aus eigener Erfahrung spricht.

    Bleibt der Ruf nach einer nachhaltigen Entwicklung international konkurrenzfähiger Rahmenbedingungen im Leistungssportnetzwerk, der sich ebenfalls in Punkt 2 der DOSB-Forderungen findet. „Wir mobilisieren in Deutschland im internationalen Vergleich gar nicht weniger Geld, wir haben aber eine andere Strategie. Viele Länder, die im Medaillenspiegel der Sommerspiele vor uns liegen, fördern nur die Sportarten, die Medaillen versprechen. Wir in Deutschland sind stolz, in die Vielfalt zu investieren. Nun müssen wir eine ehrliche Debatte darüber führen, was wir in Zukunft wollen. Dabei muss die Zieldebatte helfen – ebenfalls ein zentrales Thema der nächsten Jahre“, sagt Fabienne Königstein.

    Die Frage ist also: Wollen wir im Medaillenspiegel wieder ganz nach vorn, oder ist uns wichtiger, dass wir einen sauberen Sport und mündige Athlet*innen haben, die als Vorbilder benötigt werden und sich neben ihrer sportlichen Karriere auch im beruflichen Bereich entwickeln können? Ist im Optimalfall sogar beides möglich? Fabienne Königstein, die ihr Masterstudium der Molekularbiologie in Heidelberg mit der Note 1,2 abschloss, ist in ihrer Antwort ambivalent. „Das Thema duale Karriere ist ein sehr individuelles. Als Marathonläuferin, die bis zu 14 Einheiten pro Woche absolviert, ist es extrem schwierig, nebenbei noch zu studieren oder zu arbeiten. Ich habe das nur geschafft, weil ich Abstriche bei der Regeneration und der Prävention gemacht habe, und dafür habe ich mit vielen Verletzungen bezahlt. Deshalb wäre es aus meiner Sicht sehr wertvoll, wenn sich Athlet*innen zu 100 Prozent auf den Sport konzentrieren könnten, aber mit der Option, sich beruflich weiterzubilden, wenn sie es wünschen und schaffen.“

    Als Sportstipendiatin war Fabienne Königstein nach dem Abitur für ein Jahr in den USA zum Studieren. „Das ist eine andere Welt, die Unis dort sind ganz anders auf Leistungssport eingestellt, die Wertschätzung ist deutlich höher. Da haben wir hier noch einiges an Optimierungspotenzial“, sagt sie. Das gilt, wie das Gespräch deutlich gemacht hat, für mehrere Felder im deutschen Spitzensportsystem, und deshalb setzt sich die „Marathon-Mami“ so nachhaltig für Veränderungen ein. Den langen Atem, den es dafür braucht, hat sie oft genug nachgewiesen.

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