„Mit mehr Sport als Prävention könnten wir sehr viel Geld einsparen“
Niko Kappel, Paralympicssieger im Kugelstoßen, spricht über Erfahrungen mit Inklusion und Integration im Sport und dessen Rolle für die Gesellschaft.
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14.02.2025
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Der DOSB hat zehn Forderungen an die neue Bundesregierung aufgestellt – und wir untermauern diese in den Wochen des Bundestagswahlkampfs und der anschließenden Koalitionsverhandlungen mit der Unterstützung von Testimonials aus dem Leistungssport, um anhand von Beispielen aus der Praxis deutlich zu machen, was diese Forderungen dem organisierten Sport bedeuten. Der Link zu allen zehn Forderungen findet sich am Textende. In Folge 4 geht es um Transformation und Teilhabe.
Wir alle kennen und schätzen ihn als strahlenden Gewinner paralympischer Medaillen. Aber bevor Niko Kappel, seit 2018 Profiathlet, zu einem der weltbesten Kugelstoßer heranreifte, spielte er Fußball. Und in dieser Zeit beim FC Welzheim lernte er Lektionen, die ihn heute dazu antreiben, für den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports zu kämpfen, wann immer er dazu Gelegenheit bekommt. „Sport ist so viel mehr als körperliche Aktivität. Man lernt, in einem Team zu agieren und seinen Platz zu finden. Man lernt respektvollen Umgang und Rücksichtnahme, Disziplin und Durchhaltevermögen. Man lernt zu verlieren und, mindestens ebenso entscheidend, wie man sich als Gewinner korrekt verhält. All das ist so unfassbar wichtig, dass man die Rolle des Sports für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gar nicht hoch genug bewerten kann“, sagt der 29-Jährige, der für den VfB Stuttgart startet und als dessen Markenbotschafter fungiert.
Man könnte diesen Text hier fast beenden, denn inhaltlich bräuchte es kaum mehr zu wissen, um die Forderungen des Sports an die Politik unterstützen zu können. Dann jedoch würden die Gedanken, die Niko Kappel sich über Themen wie Inklusion und Integration macht, auf der Strecke bleiben, und das wäre schade. Schließlich ist er aus seiner eigenen Erfahrung heraus Experte für diese Bereiche, in denen der Sport dem Rest der Gesellschaft oft mehrere Schritte voraus ist. Seine Kleinwüchsigkeit hat auch deshalb für seine Entwicklung nie eine herausgehobene Rolle gespielt, weil sie im Verein nicht thematisiert wurde. „Ich habe im Fußball ganz selbstverständlich gelernt, dass es mit meinen 1,41 Metern Körperlänge wenig Sinn ergibt, wenn ich bei Ecken im Sechzehnmeterraum rumtobe. Stattdessen habe ich für den langen Innenverteidiger abgesichert, der die Kopfballduelle gewinnen konnte. Inklusion war damals noch kein Thema, ich habe diese Rolle bekommen, weil ich dort ein Faktor für die Mannschaft war. Ich wurde behandelt wie alle anderen auch, ich wurde akzeptiert, nicht nur geduldet, und das hat der Ausbildung meines Selbstvertrauens enorm geholfen“, erinnert er sich.
In vollem Umfang den integrativen Charakter des Sports zu verstehen, das sei ihm zwar erst im Erwachsenenalter gelungen. „Aber schon als Kind spürst du, dass du dich mit anderen auch ohne Worte verstehen kannst. Du kennst dein Gegenüber nicht, weißt nichts über dessen Herkunft, Ansichten, Fähigkeiten, aber wenn man sich dann den Ball hin- und her spielt, spricht man schon dieselbe Sprache“, sagt er. Als Teenager habe ihn vor allem beeindruckt, wie selbstverständlich unterschiedliche Kulturen miteinander auskommen können, wenn sie sich hinter dem gemeinsamen Ziel versammeln, einen Wettkampf zu gewinnen. „Wir hatten Jungs aus vielen unterschiedlichen Nationen im Team, waren multikulturell. Aber das Schöne war, dass das wirklich niemanden interessiert hat, wo jemand herkam. Es zählte nur, dass jeder sich ins Team einbringen konnte. Dadurch sind Freundschaften auf einer ganz anderen Ebene entstanden.“
Programme wie „Integration durch Sport“ oder „Demokratie leben!“, die zur Integration, Demokratieförderung und zum Abbau von Diskriminierung beitragen, bedarfsgerecht zu fördern und deren finanzielle und inhaltliche Weiterentwicklung zu unterstützen, hält Niko Kappel angesichts seiner Erfahrungen für unerlässlich. Gleiches gilt für die Forderung, bestehende Sportstätten barrierefrei zu machen und bei Neubauten die Barrierefreiheit ebenso selbstverständlich mitzudenken. „Dabei muss es nicht immer die große Lösung sein, auch kleine Schritte wie zum Beispiel der Bau einer Rampe helfen und sind manchmal sogar besser, um die Akzeptanz von außen zu erhöhen. Wichtig ist nur, dass die Barrierefreiheit immer mitgedacht wird.” Gleiches gelte bei Webseiten für Blinde oder Videos für Gehörlose. „Es braucht einfache Lösungen auch für kleine Vereine, die zum Beispiel mittels KI ihre Angebote für jeden Nutzer bedarfsgerecht übertragen könnten.”
Die Politik dürfe es gern etwas mehr wertschätzen, dass in diesen Bereichen im Sport so viel entwickelt wird, sagt Niko Kappel – und das nicht aus der Position des notorischen Nörglers, sondern im Bewusstsein, mit welchen Schwierigkeiten sich politische Basisarbeit oft konfrontiert sieht. Zehn Jahre lang saß er für die CDU im Gemeinderat seiner Heimat Welzheim, ehe er Ende 2024 mit seiner Freundin nach Waiblingen zog. „Ich bin politisch sehr interessiert, hatte dank meiner Ausbildung als Bankkaufmann auch viel mit Haushalts- und Finanzpolitik zu tun. Fragen zu stellen und mitdiskutieren halte ich für sehr wichtig.“
Dass er dies auch an Stellen tut, die ihm besonders am Herzen liegen, unterstreicht seine Kritik, die er am Forderungskatalog des DOSB äußert. „Manches ist mir zu unkonkret formuliert, bei einigen Punkten wird mir überhaupt nicht klar, was eigentlich gefordert wird. Ich fürchte, dass viele Menschen sich davon nicht abgeholt fühlen“, sagt er. Trotzdem – oder gerade deshalb – hat er sich entschlossen, als Testimonial zur Verfügung zu stehen, „denn dadurch können wir konkretisieren, was wirklich wichtig ist, und warum es notwendig ist, noch mehr zu tun.“
Als Beispiel nennt er die geforderte Novellierung des Präventionsgesetzes, um Sportvereine als gesundheitsfördernde Lebenswelten im Gesetzestext zu verankern, damit sie analog zu Schulen oder Kommunen mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet sind und eine stärkere Rolle bei Präventionsmaßnahmen einnehmen können. Hier geht es darum, dass neben den Präventionskursen der Vereine auch sportartspezifische Kursangebote als Gesundheitsangebote anerkannt werden und damit auch von den Krankenkassen bezuschusst werden können. „Ich mache als Kleinwüchsiger, denen in der Regel davon abgeraten wird, überhaupt Sport zu treiben, nun wirklich keinen Gesundheitssport, wenn ich 265 Kilogramm in der Kniebeuge hebe. Aber mir geht es trotzdem deutlich besser als den allermeisten, die keinen Sport treiben. Und es geht dabei nicht nur um die körperliche, sondern auch um die psychische Gesundheit. Wenn alle Menschen präventiv Sport trieben, könnten wir sehr viel Geld einsparen. Das sollte es uns wert sein, in entsprechende Programme zu investieren“, sagt er.
Programme, die in erster Linie den Breitensport betreffen, aber im Leistungssport optimiert werden können. Gelebte Integration und Inklusion könne, sagt Niko Kappel, nirgendwo auf der Welt im Kugelstoßen besser dokumentiert werden als am Stuttgarter Stützpunkt. Dort trainiert regelmäßig Olympiasiegerin Yemisi Ogunleye mit derselben Gruppe, in der sich die Niederländerin Lara Baars zur Paralympicssiegerin hocharbeitete. „Wir trainieren querbeet, haben wahnsinnig viel Spaß und großen Erfolg. Genauso sollte es im Sport sein.“ Und damit es so bleibt, braucht es Menschen wie Niko Kappel, die für den Fortbestand und die Verbesserung der Bedeutung des Sports in der Gesellschaft kämpfen, wann immer es möglich ist.