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„Die World Games müssen sich ihre Exklusivität erhalten“

Michael John (78), Präsident des Boccia-, Boule- und Pétanque-Verbands, ist der deutsche „Mister World Games“. Im Interview spricht er über die Entwicklung der Spiele, zieht den Vergleich zu Olympia und erklärt, warum sich für ihn 2029 ein Kreis schließt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

29.04.2025

Deutsche Athleten laufen mit einer Fahne herum
Bei den World Games 2022 in Birmingham (USA) war das deutsche Team Erster im Medaillenspiegel.

DOSB: Michael, seit 2005 hast du in verschiedenen Funktionen alle World Games live vor Ort erlebt. Worin liegt aus deiner Sicht die besondere Faszination dieser Weltspiele der nicht-olympischen Sportarten?

Michael John: Als großer Sportfan üben Olympische Spiele, die ich zweimal miterlebt habe, eine große Faszination auf mich aus, und ich finde es wichtig, dass sich Deutschland mit einer überzeugenden Konzeption für die nächstmögliche Austragung bewirbt. Die World Games haben jedoch durch die Sportarten, die nicht zum olympischen Wettkampfprogramm gehören, ein eigenes Profil. Das Erleben und der Einsatz sind viel authentischer und unmittelbarer wahrnehmbar und vollziehen sich ohne die sonst so mächtigen kommerziellen Zwänge. Die Liebe und Leidenschaft zu ihrem Sport ist bei den teilnehmenden Athletinnen und Athleten direkt zu spüren und kommt durch hohes persönliches Engagement zum Ausdruck. Nicht Vermarktungschancen sind die Antriebskräfte, sondern nach erfolgreicher Qualifikation mit der Nationalmannschaft zur Weltspitze zu gehören, teilnehmen zu dürfen und die internationale Sportgemeinschaft zu erleben, das ist Motivation, Ehre und Auszeichnung.

2005 hast du in Duisburg deine ersten World Games erlebt. Was war das damals für eine Veranstaltung?

Die Verantwortung und Zuständigkeit für die Veranstaltung lag nicht bei den nationalen Dachorganisationen wie Deutscher Sportbund (DSB) oder Nationales Olympisches Komitee (NOK), sondern bei der ausrichtenden Stadt Duisburg im Verbund mit Oberhausen, Mülheim an der Ruhr und Bottrop. Die Stadt Duisburg und das Organisationskomitee baten den DSB auch zur Absicherung der Finanzierung um Unterstützung. DSB-Präsident von Richthofen machte mich als Referent für Internationales und nicht-olympische Verbände zum Ansprechpartner für World-Games-Angelegenheiten, wodurch ich dann Vertreter des DSB im Coordination Committee wurde und in intensiven Kontakt zur World Games-Organisation kam. Die World Games in Duisburg haben einen neuen Standard gesetzt. Man kann durchaus behaupten, dass diese Veranstaltung einen Meilenstein in der Professionalisierung der World Games darstellt. Die Organisation war so gut, dass dadurch im Nachgang der Abteilungsleiter im Duisburger Sportamt, Joachim Gossow, zum Sportdirektor und später zum ersten hauptamtlichen Generalsekretär des Weltverbandes International World Games Association (IWGA) aufsteigen konnte.

Worin bestand denn dieser Meilenstein der Professionalisierung?

Die IWGA ist eine Vereinigung der an den World Games beteiligten internationalen Spitzenverbänden, weshalb vor 2005 zum Beispiel der Einmarsch der Sportlerinnen und Sportler bei der Eröffnung nicht nach Nationen, sondern nach Sportarten erfolgte. Für Duisburg wurde das geändert und die Teams liefen hinter Nationalflagge und Nationenschild ein. Die deutsche Mannschaft zeigte dabei ein einheitliches Erscheinungsbild, da erstmals eine Ausrüstung von adidas gestellt wurde. Ebenso wurde ein deutsches Mannschaftsbüro eingerichtet, da es - anders als bei Olympischen Spielen - kein gemeinsames Athletendorf gab. Die Finanzierungsbeteiligung der öffentlichen Hand für die Ausrichtung 2005 in Duisburg betrug 15 Millionen Euro. Entsendekosten waren nicht vorgesehen. Der Förderung des Bundes für alle nicht-olympischen Verbände lag damals bei rund 1,8 Millionen Euro, aus denen auch die Teilnahmekosten für die World Games bestritten werden mussten.

Wie haben sich die World Games seitdem verändert?

Die World Games sind stetig professioneller geworden, und mit ihnen die Betreuung der deutschen Mannschaft, vor allem wegen verbesserter Förderung. 2009 in Taiwan konnten wir zum ersten Mal eine Art Deutsches Haus anbieten, das als Begegnungsstätte für die verstreut untergebrachten Mannschaftsteile in einer taiwanesischen Schule eingerichtet war. Die Schüler beschäftigten sich im Unterricht mit dem Thema Deutschland und veranstalteten einen Malwettbewerb mit dessen Ergebnissen die Korridore und Klassenräume dekoriert waren. Vier Jahre später in Cali waren wir in einer deutschen Schule, dem Colegio Alemán, zu Gast, wobei in Kolumbien höhere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen waren. 2017 in Breslau gab es zum ersten Mal eine umfangreiche Berichterstattung im frei empfangbaren Fernsehen. Sport 1 hat mehr als 75 Stunden live übertragen, was wegen der gleichen Zeitzone durchaus erfolgreich war und guten Zuspruch fand. Bei den wegen Corona um ein Jahr verschobenen Spielen 2022 in den USA war mit DOSB-Vizepräsident Oliver Stegemann erstmals ein Präsidiumsmitglied und Vertreter der nicht-olympischen Verbände während der gesamten Wettkampfzeit dabei und bildete mir als World-Games-Beauftragtem die offizielle deutsche Delegationsleitung.

Was erwartest du im August von den Spielen in Chengdu?

Ich erwarte sehr gut organisierte Spiele. Chengdu war vor zwei Jahren Ausrichter der World University Games, und was ich selbst beim Preparatory Meeting im vergangenen Oktober von den Sportstätten, der Infrastruktur und Organisation gesehen habe, stimmt mich sehr positiv. Die Agglomeration Chengdu mit 20 Millionen Einwohnern und als Wirtschaftszentrum Westchinas will sich gegenüber den anderen großen chinesischen Metropolen profilieren und betreibt einen enormen Aufwand. Ich vermute allerdings, dass es sehr schwer werden wird, wie vor drei Jahren erneut den Medaillenspiegel zu dominieren. Die Konkurrenz, gerade von den Chinesen und den Russen, die als „neutrale Athleten“ wieder dabei sind, wird groß sein.

Warum ist Deutschland bei den World Games aktuell so viel erfolgreicher als bei Olympischen Sommerspielen?

Ein Grund ist, dass bei World Games weniger Nationen als bei Olympischen Spielen am Start sind. In Chengdu werden etwas mehr als 100 Nationen teilnehmen. Dies sagt aber nichts über das Leistungsniveau aus, denn die Qualifikationshürden sind für die World Games erheblich höher, da dort nur 5.000 Athleten gegenüber 11.000 bei Olympischen Spielen zugelassen werden. Den nicht-olympischen Sportarten gelingt es offensichtlich besser, das vorhandene Potenzial in die internationale Spitze zu entwickeln. Ein anderer Grund ist, dass auch einige Sportarten eine geringe internationale Verbreitung und damit weniger Konkurrenz haben.

  • Michael John lächelt in die Kamera.

    Natürlich träumen alle davon, olympisch zu werden, allein schon wegen der damit zusammenhängenden, deutlichen Erhöhung der Förderung. Allerdings warne ich davor, die World Games zu einer Art olympischer B-Ausgabe zu machen. Sie sollten keine Kopie der Olympischen Spiele oder eine Art Mini-Olympiade werden wollen.

    Michael John
    Präsident des Boccia-, Boule- und Pétanque-Verbands
    Fünfmaliger World-Games-Teilnehmer als Funktionär

    Obwohl Deutschland bei World Games sehr erfolgreich ist, ringt das Format hierzulande um Aufmerksamkeit. Selbst unter Sportfans ist oft nicht bekannt, dass es dieses Event gibt, geschweige denn, welche Sportarten daran beteiligt sind. Woran liegt das?

    Das liegt einerseits an der marginalen, kaum wahrnehmbaren Behandlung in den Medien, bei denen ja schon viele olympische Sportarten in der Nische verschwinden. Die Konzentration auf den Fußball ist omnipräsent und hat zu einer Verödung der Sportlandschaft geführt. Die nicht-olympischen Sportarten bilden da leider das Ende der Nahrungskette. Wenn nicht meine berufliche Beschäftigung mit diesem Bereich gewesen wäre, wüsste ich vielleicht bis heute auch nichts über die World Games. Andererseits ergibt sich das aus der in den Förderrichtlinien vorgeschriebenen Nachrangigkeit des nicht-olympischen gegenüber dem olympischen Sport, was zu Diskrepanzen von 5 zu 95 Prozent bei der Bundesförderung führt. Die nicht-olympischen Verbände sind überwiegend strukturell vom Ehrenamt geprägt und auf dessen Engagement angewiesen. Da keine Sichtbarkeit gegeben ist, erschließen sich auch keine Vermarktungsmöglichkeiten für den nicht-olympischen Spitzensport. ARD und ZDF haben mit der Einführung des Formats der „Finals“ zumindest einen ersten Schritt in Richtung Darstellung der leistungssportlichen Vielfalt unternommen.

    Die nicht-olympischen Sportarten versuchen die World Games durchaus als Bühne zu nutzen, um sich für das olympische Wettkampfprogramm zu empfehlen. Um einige Beispiele zu nennen: Squash und Flag Football, die beide in Chengdu im Programm sind, werden 2028 in Los Angeles olympisch. Breaking war 2024 in Paris dabei, Karate 2021 in Tokio. Ist das sinnvoll?

    Natürlich träumen alle davon, olympisch zu werden, allein schon wegen der damit zusammenhängenden, deutlichen Erhöhung der Förderung. Das liegt vor allem daran, dass der bald scheidende IOC-Präsident Thomas Bach mit dem Reformprogramm der Agenda 2020 und 2020 + 5 Möglichkeiten der temporären Aufnahme neuer Sportarten, die alle dem nicht-olympischen Bereich entstammen, geschaffen hat. Allerdings warne ich davor, die World Games zu einer Art olympischer B-Ausgabe zu machen. Sie sollten keine Kopie der Olympischen Spiele oder eine Art Mini-Olympiade werden wollen. Die World Games müssen sich ihre Exklusivität und den eigenständigen Charakter durch die sich vom olympischen Programm unterscheidende andere Vielfalt erhalten, anstatt ihre Formate immer weiter anzupassen, um olympisch werden zu können. Und tatsächlich ordnen immer mehr Sportarten die World Games als gleichrangig zu den Olympischen Spielen ein. Damit gelänge es auch, die unschöne und entwicklungshemmende Nachrangigkeitsklausel der Förderung aufzuheben.

    Der nicht-olympische Spitzensport wird vom Geschäftsbereich Leistungssport des DOSB betreut. Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für eine möglichst erfolgreiche Teilnahme an den World Games und ist das für die Förderung und die Außenwirkung der richtige Schritt?

    Ich nehme schon wahr, dass das Verständnis und das Interesse für die nicht-olympischen Sportarten innerhalb des organisierten Sports in Deutschland zunehmen. Dennoch dominiert beim DOSB das O für olympisch, und vielfach besteht, besonders bei den olympischen Spitzenverbänden, die Auffassung, dass sich die nicht-olympische zu Lasten der olympischen Förderung auswirkt. Es wäre zu wünschen, dass verstärkt Bemühungen gegenüber der Politik einsetzen, um den großen Abstand zwischen olympischer und nicht-olympischer Förderung zu verringern und die Teilhabe am gesamten Förderinstrumentarium zu ermöglichen. Seit vier Jahren fehlt es trotz aller Erfolge an der nötigen Anpassung der Fördermittel. Das wird sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit und Erfolgschancen bei den World Games auswirken. Es gibt es also noch erhebliches Optimierungspotenzial.

    Wo siehst du in den kommenden Jahren das größte Wachstumspotenzial?

    In der Sichtbarkeit der World Games. Der Nachteil ist, dass es keine Winterspiele gibt, so dass wir nicht mit einem Zweijahresturnus punkten können wie die Olympischen Spiele. Dafür wurden nun die World Games Series eingeführt, mit deren Hilfe einzelne Sportarten regelmäßig und dauerhaft über einen gesamten Vierjahreszyklus zwischen den Spielen sichtbar bleiben sollen. Für die Spiele 2029 soll diese Serie mit den Qualifikationswettkämpfen verzahnt werden.

    2029 finden die World Games zum dritten Mal in Deutschland statt. Karlsruhe wird die erste Stadt überhaupt sein, die zum zweiten Mal diese Spiele ausrichtet. Was erhoffst du dir von diesen Heimspielen und welches Entwicklungspotenzial ist damit verbunden?

    Natürlich werden die nicht-olympischen Sportarten eine deutlich höhere Aufmerksamkeit erfahren und einem breiteren Publikum bekannt werden. Sie können einen nachhaltigen Impuls für die Sportbewegung in Deutschland auslösen und einen signifikanten Meilenstein auf dem Weg zu Olympischen Spielen darstellen. Die IWGA hat mit Einführung der World Games Series dafür gesorgt, dass das Interesse an den World Games permanent gefördert und aufrechterhalten werden kann. Es ist vorstellbar, dass - ähnlich wie bei nationalen Special Olympics erfolgreich praktiziert - nationale World Games in Partnerstädten in ganz Deutschland stattfinden. An der notwendigen Unterstützung von Kommune, Land und Bund, der die World-Games-Förderung explizit im Koalitionsvertrag erwähnt, wird es nicht fehlen. Aber dafür ist noch viel Arbeit notwendig, die mit Bildung des Karlsruher Organisationskomitees Fahrt aufnehmen wird. Für mich wird sich nach der Premiere 2005 in Duisburg mit einer Dernière 2029 in Karlsruhe ein Kreis um zwei World Games in Deutschland schließen.

    Zur Person

    Michael John stammt aus Berlin, wo er seine aktive Karriere als Leichtathlet im Mehrkampf mit späterer Spezialisierung als Hürdensprinter vorantrieb. Als 18-Jähriger übernahm er als Sportwart einer Leichtathletik-Abteilung sein erstes Funktionärsamt. Der gelernte Schriftsetzer und Diplomkaufmann mit Schwerpunkt Organisation und Marketing zog 1981 aus beruflichen Gründen nach Hessen, wo er bis heute ansässig ist. Der 78-Jährige war neben diversen Hauptämtern in verschiedenen Sportverbänden von 2003 bis 2012 auch beim DOSB beschäftigt, zunächst in der Vorgängerorganisation DSB im Referat Internationales, nach der Fusion mit dem NOK 2006 zuletzt als Ressortleiter im Geschäftsbereich Leistungssport. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der Agentur ISPC, die für 32 Spitzenverbände den sogenannten „TV 32er-Vertrag“ mit der Sportrechteagentur SportA von ARD und ZDF verhandelt und diesen im Januar um mehrere Jahre verlängern konnte.

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