Spitzensport und Kultur für alle - die Rhine-Ruhr 2025 FISU World University Games als Blaupause
100 Tage vor der Eröffnung der Studierenden-Weltspiele in Deutschland sprechen Sina Diekmann, Abteilungsleiterin Sport der Veranstaltungs-gGmbH, und der ADH-Vorstandsvorsitzende Jörg Förster über das Programm und ihre Hoffnungen.

08.04.2025

Was ihm die Ausrichtung der World University Games (WUG) bedeutet, wird auch über die Entfernung, die Videocalls nun einmal mit sich bringen, deutlich. „Das ist ein lang gehegter Traum, an dem wir seit vielen Jahren arbeiten“, sagt Jörg Förster. „Für mich persönlich schließt sich im Sommer ein Kreis, denn bereits im Jahr 2005 hatte ich mit dem damaligen Leiter des Hochschulsports Hamburg, Thomas Beyer, eine Präsentation zur Bewerbung um die damals noch Universiade genannten Weltspiele der Studierenden ausgearbeitet.” Der Anlauf missglückte; umso mehr freut sich Jörg Förster, nun vom 16. bis 27. Juli die Elite der studierenden Spitzensportler*innen in der Region Rhein-Ruhr unter Einbindung Berlins begrüßen zu können.
Am Montagabend (7. April) wurde mit einem Kick-off-Event in Mülheim an der Ruhr der 100-Tage-Countdown eingeläutet, an diesem Dienstag (8. April) gehen die Tickets für die Wettkämpfe in den 18 Sportarten in den Verkauf (alle Informationen dazu hier).
„Wir sind jetzt voll in der Umsetzungsphase, alle wichtigen Aufträge sind vergeben, unser Fokus ist nun direkt auf die Spiele gerichtet“, sagt Sina Diekmann. Sie ist seit drei Jahren bei der Veranstaltungs-gGmbH angestellt, die der ADH gründen musste, um die Organisation und Ausrichtung stemmen zu können. „Ich war Mitarbeiterin Nummer fünf, mittlerweile sind wir bei rund 250, Tendenz stetig steigend“, sagt die 35-Jährige, die sich als Chief Sports Officer um alle Themen rund um die sportliche Durchführung kümmert.
Um zu verdeutlichen, was das für eine Aufgabe ist, hilft ein Blick auf die Zahlen. Fast 8.500 Athlet*innen aus rund 150 Nationen, die nicht älter als 25 Jahre alt sein dürfen und als Studierende eingeschrieben sein müssen, werden an den seit 1959 existierenden und seit 1973 im Zweijahresrhythmus ausgetragenen Sommerspielen teilnehmen. Deutschland ist mit rund 350 Aktiven am Start, so viele wie noch nie. Das Budget von knapp 160 Millionen Euro steuern der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen in etwa gleichen Teilen bei. Sechs Städte - neben Berlin sind das Essen, Duisburg (1989 bislang einziger deutscher Ausrichter einer Universiade), Bochum, Mülheim an der Ruhr und Hagen - sind beteiligt. Ein zentrales Dorf für Athlet*innen gibt es nicht, die Teilnehmenden werden in Hotels in der Nähe ihrer Wettkampfstätten untergebracht, um eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ermöglichen. „Wir wollen auch ein Zeichen setzen, dass ein Sportevent dieser Größe in puncto Nachhaltigkeit machbar ist“, sagt Jörg Förster.
Dass der deutsche Sport und die Politik sehr genau hinschauen, wie die Umsetzung gelingt, ist Sina Diekmann und Jörg Förster bewusst. Immerhin ist Rhein-Ruhr eine der vier Regionen, die sich um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele im Zeitraum 2036 bis 2044 bewerben möchte. „Natürlich vergleichen wir uns, was Bedeutung und Stellenwert angeht, nicht mit Olympischen Spielen. Aber wir bereiten einen Weg, indem wir in der Region eine Großveranstaltung durchführen, die als Blaupause für nachhaltige Spiele dienen kann, da wir nur bestehende Sportstätten nutzen“, sagt Förster, der dem ADH, der als Verband mit besonderen Aufgaben Mitglied im DOSB ist, seit 2017 vorsteht. Man sehe sich als „Teil der Perlenkette in der Nationalen Strategie für Sportgroßveranstaltungen“, sagt Sina Diekmann: „Wir haben vielfältige Mitnahmeeffekte von den European Championships 2022 in München und den Special Olympics World Games 2023 in Berlin akquiriert. Viele Mitarbeitende, die jetzt in unserem Team sind, haben so über die Jahre und Veranstaltungen Erfahrungen gesammelt, die wir gern an kommende Ausrichter wie zum Beispiel die der World Games 2029 in Karlsruhe weitergeben werden.“
Dennoch, und das ist vollkommen verständlich, stehe nun zunächst das eigene Fortkommen im Vordergrund. „Der volle Fokus liegt darauf, dass im Juli alles funktioniert“, sagt Sina Diekmann, die als Fußball-Schiedsrichterin in der Frauen-Bundesliga Entspannung von beruflichen Herausforderungen findet. Mit dem Stand der Vorbereitungen ist sie mittlerweile zufrieden, nachdem im vergangenen Jahr eine Neustrukturierung des Budgets Sorgen bereitet hatte.
Um die Qualität der Veranstaltung auf dem geforderten internationalen Niveau zu gewährleisten, erfolgte die Einbeziehung von Berlin, wo derzeit das einzige für internationale Großevents taugliche Schwimmbecken in Deutschland vorhanden ist, welches deshalb als Venue für die Wettkämpfe im Schwimmen und Wasserspringen dienen wird. Zudem wurde auch Volleyball in die Hauptstadt ausgelagert. „Durch Corona und allgemeine Kostensteigerungen musste die Durchführungsgesellschaft eine kosteneffiziente Lösung finden, um die Qualität der Spiele zu sichern”, sagt Jörg Förster. „Dies ist ihr in herausragender Weise gelungen und hatte zur Folge, dass die Spiele nun sogar noch nachhaltiger geworden sind. Sowohl das BMI als auch die Staatskanzlei NRW haben diesen notwendigen Schritt hoch konstruktiv und fördernd begleitet, so dass wir uns jetzt als sehr gut aufgestellt empfinden.”
Das unterstreicht auch Sina Diekmann. Als Leiterin der Abteilung Sport wird sie zu zwei Themen am häufigsten befragt: zu den Teilnehmenden und zu den Sportstätten. Ersteres ist noch nicht abschließend zu beurteilen, die finalen Meldelisten müssen bis zum 16. Juni eingereicht werden. Jedem nationalen Verband ist die Kommunikation dazu freigestellt, der ADH hatte am vergangenen Dienstag die ersten Athlet*innen im Taekwondo und der Rhythmischen Sportgymnastik präsentiert, darunter die Olympiavierte Margarita Kolosov (21/Schmiden). Weitere Nominierungsrunden folgen im Mai und Juni. „International zeichnet sich ab, dass wir sehr spannende Athlet*innen werden präsentieren können. So plant zum Beispiel Australien, im Schwimmen mit dem kompletten Olympia-Perspektivkader für Los Angeles 2028 anzutreten. Im Basketball sind sowohl in der klassischen Hallenvariante als auch im 3x3 bei beiden Geschlechtern starke College-Teams aus den USA dabei“, sagt sie.
Was die Sportstätten angeht, empfindet sie die Bandbreite der Geschichten, die mit diesen verbunden ist, als besonders faszinierend. „Wir haben die Jahrhunderthalle in Bochum, die beispielhaft für die Region und ihre Kultur steht. Wir haben das neu gebaute Lohrheide-Stadion in Bochum-Wattenscheid, in dem wir das erste Sportevent nach dem Umbau veranstalten. Hagen hat eine lange Basketballtradition, Mülheim an der Ruhr ist ein starker Standort für Badminton, und in Duisburg haben wir mit dem Sportpark, dem Landschaftspark Duisburg-Nord und der Schauinsland-Reisen-Arena, wo die Eröffnungsfeier stattfindet, spektakuläre Locations. In Essen wird die Messe, wo allein sechs Sportarten laufen, Herzstück des Multisportevents sein. Da kann ich keinen Standort herausheben, alle sind auf ihre Art spannend.“
Besonders wichtig ist den Organisatoren ein niedrigschwelliges Angebot, um alle Gesellschaftsschichten zu erreichen. Tickets für einzelne Sportevents sind bereits für 18,00 Euro erhältlich, dazu gibt es Tageskarten für alle Veranstaltungen in einer Stadt für 13,00 Euro und die Dauerkarte (Ground Pass) für 79,00 Euro, die zum Eintritt zu allen Veranstaltungen in allen Städten an allen Tagen berechtigt (exklusive Eröffnungs- und Schlussfeier). In NRW ist die Nutzung des Nahverkehrs im Preis inbegriffen. Ein umfangreiches Kulturprogramm, unter anderem mit Konzerten von Deutsch-Rapper Ski Aggu und der Brasspop-Band Querbeat, rundet das Angebot ab, zudem ist das Programm des Ruhr Games Festivals in Bochum (17. bis 20. Juli) integriert. „Wir wollen die volle Wucht eines Multisport-Events mit tollem Kulturprogramm verbinden“, sagt Sina Diekmann.
Für Jörg Förster, der im Hauptberuf den Hochschulsport an der Universität Hamburg leitet und den ADH ehrenamtlich führt, steht noch ein anderer Aspekt im Vordergrund. „Für unseren Verband ist es die große Chance, aus dem Schatten zu treten und zu zeigen, welche Bandbreite des Sports wir abdecken“, sagt er. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern weltweit - Vorreiter sind die USA mit ihrem hoch kommerziellen College-System - spielt Hochschulsport in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle, was einerseits an der Stärke der Vereinslandschaft liegt, andererseits aber auch an der strukturellen Trennung von Sport- und Bildungssystem. „Ich schätze dieses System grundsätzlich, weil es zielführend ist, dass unsere studierenden Spitzensportler*innen mit der dualen Karriere auch ihre berufliche Zukunft vorantreiben, aber der Stellenwert des Hochschulsports hängt dem des organisierten Sports doch deutlich hinterher. Da bieten die World University Games die Möglichkeit, neue Türen zu öffnen und mehr Wertschätzung zu erfahren“, sagt er.
Schließlich zeige sich immer wieder, dass der Sport für alle auch an Universitäten wichtige Funktionen für die Integration, aber fallweise auch für die Leistungsentwicklung späterer Olympiateilnehmer*innen übernehme. „In Hamburg beispielsweise haben wir Studierende aus rund 130 Nationen, die über den Sport erste Kontakte knüpfen. Und viele Spitzenathleten, die zu Beginn ihrer Karrieren an Universiaden teilgenommen haben, beschreiben das heute als einen Höhepunkt ihrer sportlichen Laufbahn. Deshalb wollen wir mit den Spielen in Deutschland die nächsten Generationen prägen und den Mehrwert aufzeigen, den Sportgroßveranstaltungen für die Gesellschaft haben.“
Bleibt die Frage, was passieren muss, damit die Organisatoren die Ausrichtung der Spiele als Erfolg verbuchen können. „Wenn wir glückliche Athlet*innen und volle Tribünen haben, bin ich zufrieden“, sagt Sina Diekmann. Jörg Förster hofft, dass die Heimspiele dazu anregen, dass noch mehr Fachverbände die WUG in ihr Leistungssportkonzept übernehmen und der Hochschulsport in den Bundesländern konkreter in der Gesetzgebung verankert wird. „Vor allem aber wünsche ich mir, dass wir keine zwölftägige Wunderkerze zünden, sondern unsere Erfahrungen langfristig darauf einzahlen, dass wir weitere Sportgroßveranstaltungen bis hin zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Deutschland haben werden“, sagt er. Es gibt ja in Sportdeutschland noch einige lang gehegte und bislang unerfüllte Träume…