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Gereifte Helen Kevric: Dankbar für Auszeichnung bei der EOC-Versammlung in Frankfurt

Deutschlands größtes Turntalent ist fünftbeste Nachwuchssportlerin Europas und reflektiert ihren Entwicklungsprozess im Olympiajahr 2024. Siegerin Viviana Marton träumt von Heimspielen in Ungarn.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

01.03.2025

Die Athletin, die sich über einen letzten Platz freut, muss noch geboren werden. Insofern war es keine Überraschung, dass Helen Kevric Pokal und Blumenstrauß für den fünften Rang mit einem verhaltenen Lächeln entgegennahm, als am Freitagabend im Frankfurter Palmengarten die fünf besten Nachwuchsathlet*innen Europas im Rahmen der Generalversammlung der European Olympic Committees (EOC) ausgezeichnet wurden. Es dauerte jedoch nicht lange, bis Deutschlands größtes Turntalent die Auszeichnung angemessen einzuordnen wusste. „In jedem Wettkampf habe ich die Erwartung, mein Bestes zu geben. Aber hier wusste ich, dass meine Konkurrenz Olympiamedaillen gewonnen hat. Deshalb war mir klar, dass ich nicht gewinnen würde“, sagte die Athletin vom MTV Stuttgart, die bei den Olympischen Spielen von Paris mit Rang sechs am Stufenbarren hatte aufhorchen lassen.

Diese Einstellung kann nur unterstreichen, wer einen Blick auf die vier Konkurrent*innen wirft, die für den Piotr-Nurowski-Award des EOC nominiert waren. Benannt ist der wichtigste Nachwuchspreis im europäischen Sport nach dem langjährigen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Polens, der 2010 beim Absturz einer polnischen Regierungsmaschine nahe Smolensk in Russland ums Leben gekommen war. Der mit einem Trainingsstipendium in Höhe von 15.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an die Ungarin Viviana Marton (19), die in Paris im Taekwondo Gold in der Klasse bis 67 Kilogramm gewinnen konnte. Den zweiten Rang teilten sich Frankreichs Tischtennis-Shootingstar Felix Lebrun (18), der bei den olympischen Heimspielen Bronze im Einzel und mit dem Team gewann, und Italiens Turn-Star Manila Esposito (18), die 2024 neben vier EM-Goldmedaillen Olympiasilber mit dem Team und Bronze am Schwebebalken einkassierte. Über Rang vier freute sich Dominika Banevic (17) aus Litauen, die als „B-Girl Nicka“ in Paris Silber im Breaking gewonnen hatte.

Insofern hatte Helen Kevric uneingeschränkt recht, als sie sagte, dass „schon die Nominierung für mich eine große Ehre gewesen ist, für die ich dankbar bin.“ Als mit Abstand Jüngste im Feld war die mehrfache Junioren-Europameisterin mit der Außenseiterrolle ins Rennen gegangen. Am Freitagnachmittag hatten sich die fünf Kandidat*innen im Rahmen der Vollversammlung den 49 EOC-Mitgliedsverbänden zur Wahl vorstellen dürfen. In den auf Englisch gehaltenen Reden überzeugte die spätere Siegerin Viviana Marton das Plenum mit einem mitreißenden Plädoyer für die Bedeutung des Sports. Helen Kevric überspielte in ihrem Vortrag einen kurzen Versprecher mit einem sehr charmanten Verweis auf ihre Aufregung – und hatte beim Galadinner am Abend auch dazu eine sehr erfrischende Einstellung gewonnen. „Ich dachte, dass da vielleicht 20 Leute sitzen. Dann vor mehr als 300 Menschen auf Englisch zu sprechen, war sehr schwierig. Aber ich habe versucht, authentisch zu bleiben, und habe es als Training für meine Prüfung in Kommunikation genommen, die bald für meinen Realschulabschluss ansteht“, sagte sie.

  • Ich habe gelernt, dass ich mehr auf mich achten muss, mich nicht von Energiefressern wie Social Media ablenken lassen darf. Mein Gefühl ist, dass mir die Balance zwischen Höchstleistung und auf mich selbst zu achten immer besser gelingt.

    Helen Kevric
    Athletin
    Team D

    Diese Reife, sich nicht zu sehr unter Druck zu setzen und damit Selbstpflege zu betreiben, hält Helen Kevric für den wichtigsten Entwicklungsschritt im Sportjahr 2024, das für sie nicht nur wegen der ersten Olympiateilnahme ein besonderes war. „Ich habe gelernt, dass ich mehr auf mich achten muss, mich nicht von Energiefressern wie Social Media ablenken lassen darf. Mein Gefühl ist, dass mir die Balance zwischen Höchstleistung und auf mich selbst zu achten immer besser gelingt“, sagte sie. Dazu gehört auch, dass sie sich von der in den vergangenen Wochen aufgekommenen Flut an Berichterstattung über die Probleme am Stuttgarter Bundesstützpunkt nicht mitreißen lässt. Kommentare dazu gibt es von ihr ebenso wenig wie zu der am Freitag öffentlich bekanntgegebenen Verpflichtung der US-Trainerin Aimee Boorman, die von 2005 bis 2016 US-Superstar Simone Biles persönlich betreute und in Stuttgart für zunächst fünf Monate Kevrics Trainingsgruppe übernehmen wird. „Ich lasse in diesem Jahr alles auf mich zukommen“, sagte sie, „das Jahr 2024 war für mich ein sehr wichtiges Jahr, aus dem ich viel gelernt habe.“ Unter anderem, Erfolge richtig einzuordnen, wie sie am Freitagabend unter Beweis stellte.

    Viviana Marton, die strahlende Siegerin des Abends, träumte derweil schon von noch Größerem. „Ich freue mich sehr über diese Auszeichnung, weil ich das Gefühl hatte, dass alle Nominierten es verdient gehabt hätten, hier an meiner Stelle zu stehen. Der Preis ist eine Belohnung für die Mühen, die wir alle täglich auf uns nehmen, um besser zu werden. Ich nehme ihn als Ansporn, mich weiterhin für das harte Training zu motivieren“, sagte die Ungarin, deren Eltern Anfang der 2000er-Jahre nach Teneriffa ausgewandert waren, wo Viviana geboren wurde und aufwuchs. Mit großem Interesse blickt die Kampfsportlerin, die mittlerweile in Budapest trainiert, auf die Ambitionen ihrer Heimatstadt, 2036 Gastgeber der Olympischen Sommerspiele zu werden. „Olympische Heimspiele sind das Größte, was man im Sport erleben kann. Sie sind ein Traum für uns alle in Ungarn, unser Land investiert sehr viel in den Sport. 2036 bin ich 30 Jahre alt, deshalb sind sie auch für mich das größte Ziel.“ Ein Ziel, für dessen Erreichen der Piotr-Nurowski-Award ein kleiner, aber feiner Zwischenschritt ist.

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