„Die Wirkung von Bewegung wird noch zu häufig unterschätzt“
Melanie Dold leitet beim Verband der Ersatzkassen (vdek) das Referat Zentrale Prüfstelle Prävention. Zum Weltgesundheitstag spricht sie über die Angebotsvielfalt, die Qualitätssicherung, die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit und Trends für die Zukunft.

07.04.2025

DOSB: Der Weltgesundheitstag lenkt einmal im Jahr den Blick auf ein sehr wichtiges Themenspektrum. Welche Bedeutung hat er aus Sicht der Krankenkassen?
Melanie Dold: Er ist ein sehr relevanter Tag, der an die Gründung der Weltgesundheitsorganisation erinnert und an dem Themen mit globaler Resonanz im Mittelpunkt stehen. Die gesetzlichen Krankenkassen greifen ihn gern auf, um Themen zur Gesunderhaltung ihrer Versicherten in den Vordergrund zu rücken. In diesem Jahr ist die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen das Schwerpunktthema. Allein mehr als 1000 Kurse zu Beckenbodenkräftigung sind verfügbar, und dank der nach Corona deutlich umfangreicheren Angebote im digitalen Bereich sind diese Kurse niedrigschwellig zu absolvieren. Die Krankenkassen sind in Form von Präventionsangeboten schon sehr lange in den Weltgesundheitstag involviert.
Im DOSB sprechen wir oft von der Bedeutung von Sport für die Gesunderhaltung, bei den Angeboten der Krankenkassen geht es vorrangig um Bewegung. Können Sie einmal aus Ihrer Sicht den Unterschied zwischen Sport und Bewegung definieren?
Mit Blick auf den Leitfaden Prävention ist Sport eine zielgerichtete, leistungsorientierte Aktivität, bei der es um einen Weiterentwicklungsprozess bis hin zur Perfektionierung geht. Bewegung zur Gesundheitsförderung ist ein gesundheitlicher Ansatz, der sämtliche Ressourcen trainiert. Einseitige Belastungen wie in spezifischen Sportarten sind zu vermeiden, die Dosierung ist sehr wichtig. Bewegung muss niedrigschwellig in den Alltag integriert werden können, um eine Verhaltensänderung zu befördern.
Welche Rolle spielt das Qualitätssiegel „SPORT PRO GESUNDHEIT“ in der Gesundheitsstrategie Ihres Verbands und für die Krankenkassen?
Eine sehr weitreichende. Die 94 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland machen in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Stress- und Ressourcenmanagement und Sucht insgesamt 110.000 qualitätsgesicherte, zertifizierte Angebote, und der Bereich Bewegung ist mit rund 60.000 der größte. Bewegung ist etwas, das uns im Alltag dauerhaft begleitet, und das auf lebensnahe Art und Weise. Sie steht für Ganzkörperkräftigung und spielt eine extrem wichtige Rolle in der Bekämpfung von Volkskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes oder auch psychischen Leiden. Das Qualitätssiegel “Deutscher Standard Prävention” der gesetzlichen Kassen steht für überprüfte und wirksame Angebote, mit dem 2014 entwickelten Prüfsystem werden jährlich rund 100.000 Angebote nach dem Leitfaden Prävention getestet. Das Qualitätssiegel SPORT PRO GESUNDHEIT des DOSB konnte in das Prüfsystem der Zentralen Prüfstelle Prävention im Bereich Bewegung integriert werden, da die fachlichen Kriterien des Leitfadens Prävention erfüllt sind. Die beiden Qualitätssicherungssysteme greifen somit ideal ineinander. Es ist ein stimmiges Werkzeug zur Qualitätssicherung, das einen unbürokratischen Prüfvorgang ermöglicht und dadurch einfach und effizient zu handhaben ist.
Wie kommen die Angebote zu den Versicherten, wie ist der Ablauf?
Die Sportvereine reichen vorab geprüfte Kurskonzepte über eine technische Schnittstelle ein, die nach dem Leitfaden Prävention geprüft werden und dann in einer Datenbank landen. Wenn die Kurse zusammen mit ihren Kursleitungen zertifiziert sind, können die Krankenkassen diese auf ihrer Homepage anzeigen, so dass die Versicherten sich die Kurse selbst heraussuchen und buchen können.
Welche Richtlinien gelten für die Förderfähigkeit von Kursen?
Es gibt sechs Kernziele des Gesundheitssports, die auf Ressourcenaufbau und Risikominimierung abzielen: Aufbau physischer Gesundheitsressourcen, Aufbau von Handlungs- und Effektwissen, Vermeidung von Risikofaktoren, Vermeidung psychosomatischer Beschwerden, Aufbau von Bindung an gesundheitssportliche Aktivitäten und Verbesserung der Bewegungsverhältnisse. Jeder Kurs muss einen fachlichen Schwerpunkt verfolgen, aber auch Grundlagen der Bewegung vermitteln.
Welchen Vorteil haben Versicherte, wenn sie einen zertifizierten Kurs absolvieren, anstatt in kommerzielle Studios zu gehen?
Zertifizierte Kurse verfolgen ein bestimmtes Ziel, das garantiert erreicht werden kann. Sie sind für Anfänger und Ungeübte geeignet und ohne Vorkenntnisse zu absolvieren. Krankenkassen haben dank dieser Angebote die Möglichkeit, das Verhalten ihrer Versicherten in puncto gesunder Lebensstil weiterzuentwickeln. Dafür sind Handlungs- und Effektwissen sehr notwendig. Zertifizierte Kurse sind darauf angelegt, die erlernten Inhalte in den Alltag zu überführen, was einen langfristigen Nutzen für die Teilnehmenden hat. Und ganz wichtig: Zwei Kurse pro Jahr werden erstattet, jeweils meist im Wert zwischen 80 und 100 Euro, das variiert von Kasse zu Kasse.
Wie werden diese Angebote denn angenommen?
Im Jahr 2023 gab es im Handlungsfeld Bewegung rund 956.000 Teilnahmen an Kursen, insgesamt waren es 1,6 Millionen. Die Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor.
Kann man damit zufrieden sein? Wir sprechen sehr oft über den fehlenden Stellenwert des Sports in der Gesellschaft. Warum gelingt es noch nicht ausreichend, die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit deutlich zu machen?
Tatsächlich wird das Angebot an Kursen für Bewegung bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Bewegung ist in ihrer vielfältigen gesundheitlichen Wirkung nicht hoch genug einzuschätzen, diese Wirkung wird zu häufig noch unterschätzt. Regelmäßige Bewegung verhindert oder verzögert zumindest die Ausweitung von Volkskrankheiten. Das ist wichtig, um die Krankheitslast zu minimieren und Kosten einzusparen. Die wesentliche Voraussetzung für eine größere Verbreitung der Angebote ist deren Bekanntheit und die niedrigschwellige Erreichbarkeit. Gerade im Bereich der öffentlichen Darstellung müssen wir die Optionen noch besser ausschöpfen, um unsere Zielgruppen zu erreichen. Wir haben festgestellt, dass es extrem wichtig ist, die Menschen dort abzuholen, wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Die Krankenkassen sind seit Jahren dabei, dort nachhaltige Strukturen aufzubauen. Die Bedeutung von Bewegung deutlich zu machen, ist allerdings eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Krankenkassen sind da ein wichtiger, aber nicht der einzige Akteur.

Jetzt zertifizierten Kurs finden und anmelden!
Die digitale Bewegungslandkarte zeigt dir auf einen Blick, wo in deiner Nachbarschaft ein SPORT PRO GESUNDHEIT-Kurs angeboten wird - wähle einfach den Filter „Zertifizierte Bewegungsangebote“. Übrigens: viele der Kurse werden von der Krankenkasse bezuschusst, du erkennst sie an dem Logo „Deutscher Standard Prävention“.
Hier geht´s zur Bewegungslandkarte
Welche Trends für die Zukunft sehen Sie für die Angebote der Krankenkassen? Wird die hohe Zunahme an psychischen Krankheiten dafür sorgen, dass es für diesen Bereich mehr Kurse geben muss? Der positive Effekt von Bewegung auf depressive Erkrankungen ist schließlich nachgewiesen.
Stress- und Ressourcenmanagement ist schon jetzt mit rund 560.000 Teilnahmen pro Jahr der zweitgrößte Bereich hinter der Bewegung, und wir rechnen damit, dass er sich ausweitet. Der größte Trend allerdings ist die Digitalisierung, die es ermöglicht, die Menschen niedrigschwellig zu erreichen. Gerade Angebote zur Entspannung und Stressreduktion wie Autogenes Training, Yoga oder Tai-Chi werden digital sehr gut angenommen. Neu dazugekommen ist das Thema gesunder Schlaf, das für die Regeneration und damit die allgemeine Leistungsfähigkeit große Bedeutung hat. Alle relevanten Verfahren, die nachweisliche Wirkung entfalten und im Leitfaden Prävention aufgeführt sind, werden von den gesetzlichen Krankenkassen gefördert.
Haben Sie für die künftige Zusammenarbeit mit Partnern wie dem DOSB oder Vereinen und Fachverbänden Wünsche?
Grundsätzlich sind gezielte Infokampagnen und Kooperationen mit Vereinen und Anbietern steigerungsfähig. Die Vernetzung ist ein ganz wichtiges Element, um in der Öffentlichkeit noch deutlicher mit den Angeboten durchzudringen. Eine zentrale Plattform wie die Bewegungslandkarte des DOSB ist dafür ein mögliches Element, über das wir Angebote gezielt darstellen könnten, um mehr Wirksamkeit in der Breite für alle Angebote zu schaffen. Denn davon würden alle Partner, die sich für Sport und Gesundheit engagieren, profitieren.
SPORT PRO GESUNDHEIT
SPORT PRO GESUNDHEIT ist ein Qualitätssiegel, das höchstes Vertrauen schafft: Exzellenz für Gesundheit und Prävention. Rund 3.850 Sportvereine sind bereits mit diesem Siegel ausgezeichnet, das in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer entwickelt wurde. Das Siegel erhalten Vereine, die sechs Qualitätskriterien erfüllen.