Das spannendste Beachvolleyball-Projekt des Olympiazyklus
Louisa Lippmann spielt erst seit 2022 im Sand. Nun muss sie Führung übernehmen, um mit Beach-Neuling Linda Bock ein schlagkräftiges Duo zu bilden. Wie kann dieses Experiment glücken?

18.03.2025

Gerade hat ihr neuer Trainer zu einer Antwort angesetzt, da tut Linda Bock etwas, das tief blicken lässt: Sie hält sich die Ohren zu. Die Frage an Finn Schwarmann war gewesen, welchen Zeitrahmen er seinem neuen Projekt gegeben habe. „Bis alles so läuft wie gewünscht, muss man mindestens zwei Jahre einplanen. Ein Jahr, um Erfahrung zu sammeln, ein weiteres, um sich zu konsolidieren. Dann hat man eine Grundlage gelegt“, sagt er. Linda Bock allerdings ist ein Mensch, der Dinge gern sofort erledigt. Geduld sucht man auf der Liste ihrer Eigenschaften vergeblich. Also möchte sie dem Coach am liebsten nicht zuhören; auch wenn sie natürlich weiß, dass er recht hat.
Das Projekt, um das es geht, darf man zweifelsohne als eines der spannendsten Experimente des deutschen Sports für den Olympiazyklus bis zu den Sommerspielen in Los Angeles 2028 bezeichnen. Linda Bock, 24 Jahre alt, geboren in Borken und seit 2023 Mitglied im SSC Palmberg Schwerin, hat sich im vergangenen Jahr für einen Wechsel aus der Halle in den Sand entschieden, um im Beachvolleyball ihr sportliches Glück zu finden. Ihre Partnerin für dieses Vorhaben ist eine, die diesen Schritt selbst erst vor drei Jahren gegangen ist: Louisa Lippmann, einst Deutschlands Beste unterm Hallendach und nun plötzlich die Erfahrene in der neuen Konstellation. Und das Ganze wird begleitet vom Hamburger Stützpunkttrainer Finn Schwarmann, mit 30 Jahren gleich alt wie Lippmann und auf internationaler Bühne ein noch unbeschriebenes Blatt. Wie kann das gutgehen?
Um diese Frage zu erörtern, sitzen wir an einem sonnigen Mittag Anfang März am Bundesstützpunkt Hamburg. Das erste Turnier der Saison 2025, zu dem Lippmann/Bock von diesem Mittwoch und hoffentlich bis Sonntag in Yucatan (Mexiko) antreten werden, ist zum Zeitpunkt des Gesprächs noch zwei Wochen hin, wirft aber seine Schatten längst voraus. „Es wird Zeit, dass es endlich losgeht, damit wir wissen, wo wir im internationalen Vergleich stehen“, sagt Louisa Lippmann, die in puncto Ungeduld ihrer neuen Spielpartnerin in nichts nachsteht. Im Trainingslager auf Teneriffa Ende Februar habe es sich erstmals angefühlt, als sei die Kennlernphase abgeschlossen. „Deshalb wird es uns guttun, jetzt alles im Wettkampf zu überprüfen“, sagt Louisa.
Auf die Frage, wie das gutgehen kann mit ihr und Linda und der komplett neuen Konstellation, gibt die 1,90 Meter große Angriffsspezialistin von den Recycling Volleys Berlin eine Antwort, die für sie als Kopfmensch, als den sie sich bezeichnet, typisch ist. „Ich finde das Interessanteste an unserem Projekt, dass wir noch so viel Luft nach oben haben. Wir sind ganz am Anfang und haben alle unglaublich Lust darauf, gemeinsam etwas zu entwickeln. In dieser Konstellation habe ich am meisten Vorstellungskraft entwickelt, was wir daraus machen können. Aber ob es gutgehen wird, können wir erst in ein paar Jahren sagen.“
Fakt ist, dass Louisa Lippmann schon einmal bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, binnen einer relativ kurzen Zeitspanne extreme Entwicklungssprünge zu machen. Nach ihrem Wechsel in den Sand hatte sie zwei Jahre Zeit, um sich mit ihrer Partnerin Laura Ludwig (39) für die Olympischen Spiele 2024 in Paris zu qualifizieren. Nicht wenige Experten hielten das Vorhaben im Sommer 2022 für utopisch. Zwei Jahre später gewannen Ludwig/Lippmann in Paris zwar keins ihrer Gruppenspiele, aber es überhaupt dorthin geschafft zu haben, war eine herausragende Leistung, die in der Öffentlichkeit viel zu wenig wertgeschätzt wurde.
Nachdem Laura Ludwig nach den deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand ihre Karriere beendete, musste Louisa Lippmann entscheiden, wie es für sie weitergehen sollte. „Ich hatte ein paar Angebote, in die Halle zurückzukehren, aber das wäre nur aus finanzieller Sicht interessant gewesen. Sportlich habe ich ein anderes Ziel, ich will 2028 in Los Angeles um eine olympische Medaille kämpfen“, sagt sie. Der Kontakt mit Linda Bock kam dann fast zwangsläufig zustande, weil die beiden sich bereits aus der Hallen-Nationalmannschaft kannten. „Aber ich habe mich erst nach Timmendorf darum kümmern können, weil ich vorher den Fokus komplett auf Olympia legen wollte“, sagt sie.
Linda, die als Marinesoldatin in der Sportfördergruppe der Bundeswehr in Hamburg stationiert ist und an einer Fernuniversität Innenarchitektur studiert, hatte im Frühsommer 2024 unabhängig von Louisas Entscheidung den Sprung in den Sand gewagt. Ein Kreuzbandriss hatte den Transitionsprozess angeregt, er war aber nicht der Grund für den Wechsel. „Ich habe gespürt, dass ich nach einer neuen Herausforderung gesucht habe. Ich habe oft im Sommer Beachvolleyball gespielt, deshalb lag das nahe, und es hat mich gereizt, es zu probieren.“ Obwohl ihr Hallen-Vertrag beim SSC bis kommendes Jahr läuft, unterstützt ihr Verein ihre Ambitionen, „dafür bin ich sehr dankbar! Aber ich habe die Entscheidung unabhängig von Louisa getroffen, es gab deshalb anfangs schon einige Ungewissheit, wie ich den Einstieg schaffen würde“, sagt sie.
Als die Anfrage von Louisa kam, war sie zunächst unsicher. „Louisa war in der Halle mein Vorbild, ich hatte großen Respekt vor ihr, wollte mir im Training nie eine Blöße geben. Jetzt so eng mit ihr zusammenzuarbeiten, ist für mich eine unglaubliche Erfahrung“, sagt sie. Hilfreich war, dass man sich nicht vollkommen neu kennenlernen musste. „Laura und ich haben uns menschlich super verstanden, aber wir kannten einander gar nicht und haben deshalb mehr Zeit gebraucht als ich mit Linda, um zueinander zu finden“, sagt Louisa. Wenn sie im Training sehe, dass ihre neue Partnerin mit ähnlichen Startschwierigkeiten zu kämpfen habe wie sie damals, „kann ich jetzt nachvollziehen, was Laura gedacht hat, als sie mich die ersten Monate beobachtet hat. Aber Linda ist eine Spielerin, die immer alles gibt und extrem lernwillig ist. Deshalb bin ich mir absolut sicher, dass sie sich davon nicht aus dem Konzept bringen lässt.“
Die größte Umstellung, sagt Linda, sei es, sich an das Zuspielen zu gewöhnen. In der Abwehr funktioniere vieles schon anständig, „aus der Halle bin ich hohen Aufschlagdruck gewohnt, das kann ich in die Annahme einbringen. Aber was man im Beachvolleyball alles auf einmal im Blick haben muss, obwohl man sich doch eigentlich nur auf eine Sache zur Zeit konzentrieren sollte, ist wirklich eine Herausforderung.“ Louisa hingegen, die sich bis zu den Olympischen Spielen in der Annahme stabilisiert und zu einer der weltbesten Angreiferinnen entwickelt hatte, muss sich nun auf die neue Rolle einstellen. Sie ist die Erfahrene im Team und muss ihre neue Partnerin anleiten und stützen. „Ich bin der Welpe und sie der alte Hund!“, zieht Linda einen Vergleich.
Hundeelend habe sie sich in den vergangenen Monaten manches Mal gefühlt, gibt Louisa unumwunden zu. „Ich hatte nach Olympia ein wenig Zeit zu reflektieren. Viele Momente haben sich beschissen angefühlt, weil ich nie sicher war, ob ich meiner Rolle gerecht geworden bin. Der September war entsprechend anstrengend, im November und Dezember hatte ich oft keinen Bock, weil mir alles zu viel war. Im Januar kam dann eine Vollkrise, weil ich mir Druck damit machte, dass ich meiner neuen Rolle gerecht werden muss, wenn das mit uns funktionieren soll“, sagt sie. Ihre Ungeduld werde sich zwar nie komplett auflösen, aber seit dem Trainingslager hat sie das Gefühl, dass sich die Dinge in die richtige Richtung bewegen. „Wir haben die Zeit, uns zu entwickeln, und wir werden sie brauchen. Aber wir werden sie auch nutzen und Schritt für Schritt besser werden!“
Was sie außerdem beruhigt, ist die Tatsache, dass sie die Führung keineswegs allein übernehmen muss. Mastermind des neuen Teams bleibt Erfolgscoach Jürgen Wagner (68), der in alle Planungen eingebunden ist und Finn Schwarmann, der in Hamburg vor allem für das Techniktraining verantwortlich ist, als Ratgeber zur Seite steht. „Von Jürgen kann ich extrem viel lernen“, sagt der junge Coach, der Louisas Offerte anfänglich kaum glauben konnte. „Ich war schon überrascht, als ich gefragt wurde, denn ein solches Team zu trainieren bedeutet sehr viel Verantwortung. Aber es ist eine wahnsinnig spannende Aufgabe, zwei Spielerinnen, die ursprünglich aus der Halle kommen, zu einem Top-Beachteam zu entwickeln, deshalb habe ich keine Sekunde gezögert, als das konkrete Angebot kam“, sagt er.
Die Verantwortung teilt er nicht nur mit Wagner, sondern auch mit dem ehemaligen polnischen Topspieler Grzegorz Fijalek. Der 37-Jährige, der in Polen lebt, ist für die taktische Vorbereitung zuständig und wird das Team auf den meisten Turnierreisen betreuen. Das Management für das neue Duo bilden Louisas Ehemann, der frühere Handballprofi Hannes Lindt, und Manuel Hüttl, Agenturinhaber und ehemals Vizepräsident des Deutschen Eishockey-Bundes. Zudem zählen Physiotherapeut Jochen Dirksmeyer und der langjährige DVV-Verbandsarzt Michael Tank zum Funktionsteam. „Es ist ein Privileg, dass wir uns unser Team so zusammenstellen durften, wie wir es uns gewünscht haben“, sagt Louisa, „ich denke, dass wir in dieser Konstellation viel erreichen können.“
Wieviel, das werden die kommenden Jahre zeigen. In dieser Saison müssen sie sich mangels notwendiger Weltranglistenpunkte zunächst auf der Challenger-Serie durchschlagen, obwohl die Felder der Elite-Turniere von 16 auf 24 Teams erweitert wurden. „Wir hoffen natürlich, dass wir dadurch in der zweiten Saisonhälfte öfters mal bei einem Elite-Event antreten können. Aber zunächst ist wichtig, dass wir unsere Entwicklung unabhängig von Ergebnissen vorantreiben“, sagt Louisa. Die Qualifikation für die Heim-EM in Düsseldorf (30. Juli bis 3. August) und die WM in Adelaide (Australien/14. bis 23. November) haben sie sich aber schon vorgenommen.
Finn Schwarmann hat eingeplant, in dieser Saison weniger Turniere zu spielen, um mehr Zeit zum Training zu haben. „Das erste Jahr hat immer viele Höhen und Tiefen“, sagt er, „die Herausforderung liegt darin, das einordnen zu lernen. Die beiden sind zwar sehr unterschiedliche Lerntypen und gehen unterschiedlich damit um. Aber sie bereichern sich gegenseitig, was ich sehr positiv finde. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass unser Projekt erfolgreich sein wird.“ Linda Bock hat die Finger wieder aus ihren Ohren genommen. Und sie lächelt still in sich hinein, als sie diese Worte hört.
Olympische Sommerspiele 2028
Gastgeber der Spiele der XXXIV. Olympiade im Jahr 2028 wird die US-amerikanische Metropole Los Angeles in Kalifornien sein. Los Angeles war bereits in den Jahren 1932 und 1984 Ausrichter der Olympischen Spiele.
Die Olympischen Spiele in Los Angeles finden vom 14. bis 30. Juli 2028 statt.