Wolfgang Behrendt – ein Boxidol wird 80
Der Berliner Wolfgang Behrendt erkämpfte vor 60 Jahren das erste Olympiagold für die DDR und feiert am 14. Juni seinen 80. Geburtstag.

14.06.2016
Die Boxwelt staunte, und in der DDR standen sie Kopf, an jenem 1. Dezember 1956. Ein 20jähriger Ostberliner hatte beim olympischen Boxturnier in Melbourne die Goldmedaille im Bantamgewicht gewonnen. Er heißt Wolfgang Behrendt, und er vollbrachte mit seinem 2:1-Punktsieg über den Südkoreaner Soon Chon Song eine damals wie heute historische Tat: Es war die erste olympische Goldmedaille, die ein DDR-Sportler erkämpfte. Ein Novum, sensationell, das man eigentlich mehr den ostdeutschen Weltklasse-Sprinterinnen Christa Stubnick oder Gisela Birkemeyer zugetraut hatte.
Damals Mitglied einer noch gesamtdeutschen Mannschaft, begeht Wolfgang Behrendt am 14. Juni 2016 in seiner Heimatstadt nun seinen 80.Geburtstag. Eine gute Gelegenheit, an diesen bis heute vor allem in den neuen Bundesländern populär gebliebenen Sportler zu erinnern. War er doch nach seiner sportlichen Großtat auch 20 Jahre lang Persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee (NOK) der DDR und nach der Wiedervereinigung noch einmal 14 Jahre im NOK für Deutschland. Dessen Ehrenpräsident Professor Walter Tröger lobt Behrendt, dem er freundschaftlich verbunden ist, als „einen Olympiasieger wie ich ihn mir vorstelle: ein Vorbild in jeder Hinsicht, besonders aber als Mensch.“
Dieser allzeit Gut-Laune-Mensch, dieser kesse Berliner voller Witz; bescheiden, freundlich, hilfsbereit; schnupperte die Boxluft schon als Elfjähriger, 1947, in der privaten Sportschule Karl Schwarz in Weißensee. Durfte für 25 Mark im Monat (aufgebracht durch Taschengeld und Leergutsammeln) da mitmachen, wo auch die späteren Profi-Boxidole Gustav „Bubi“ Scholz und Gerhard Hecht ihre Grundausbildung erhielten .
Vom Box-ABC-Schützen bis in die Spitzenklasse
Hans Borkowski war sein Heimtrainer und ein väterlicher Freund, der Wolfgang Behrendt buchstäblich „von Kindesbeinen an“, vom Box-ABC-Schützen bis in die Spitzenklasse führte: 1955 erstmals DDR-Meister; im gleichen Jahr als Federgewichtler die Bronzemedaille bei der EM. Und schon ein Jahr später, in Melbourne, der olympische Gipfel!
Der Starreporter der DDR, Heinz-Florian Oertel, erinnerte im Berliner Tagesspiegel an seine damalige leidenschaftliche Radio-Übertragung: „Dann, in der dritten Runde, gingen mir doch die Pferde durch. Dazu geschah, wie sich später herausstellte, das Schlimmste für einen Reporter: kein Empfang in der Heimat. Die entscheidende Runde drei blieb auf der Ätherwellen-Strecke. Futsch!“
Der Boxer aber flachst den seit langem Freund gewordenen Reporter, die mittlerweile 88jährige „Sportstimme der DDR“, wegen der Übetragungspanne noch heute: „Heinz-Florian, dass du dabei k.o. gegangen bist, naja...“
Behrendt selbst ist in seinen 201 Kämpfen nie durch K.O. besiegt worden. Nur achtmal verlor er nach Punkten; fünf Duelle endeten unentschieden; aber 188 Mal stieg er als Sieger aus dem Ring.
Getrennte Quartiere für die Deutsche Olympiamannschaft
Mit Melbourne verbindet der Bantam-Olympiasieger von 1956 u.a. noch, dass „ die Teamteile Ost (36 Athleten) und West (126) getrennt wohnten im olympischen Dorf. Wir trainierten nicht einmal zusammen. Nur die Medaillen beanspruchte man gemeinsam...“ Und: „Ich bin der einzige, der von zwei deutschen Präsidenten Glückwünsche erhielt“... von Wilhelm Pieck (DDR) und von Theodor Heuss (BRD).
Letzter verlieh dem ostdeutschen Landsmann für seinen Olympiasieg, weil eben gesamtdeutsche Mannschaft, sogar das Silberne Lorbeerblatt, die höchste sportliche Auszeichnung der Bundesrepublik. Als Behrendt sie in Bonn empfangen sollte – so hat er dem Autor einmal erzählt – hätten ihn am Flughafen Berlin-Tempelhof zwei DDR-Funktionäre zurück beordert.
So blieb diese Auszeichnung bis heute ohne ihren Empfänger.
Eine goldene Fortsetzung gab es nach Melbourne zwar nicht für den Berliner; aber eine Reihe eindrucksvoller Siege: u.a. einen EM-Triumph über den Federgewichts- Olympiasieger Sawronow (UdSSR) sowie zwei weitere DDR-Meistergürtel (1957 und 60). Behrendt gewann auch die meisten seiner 21 Länderkämpfe für die DDR. Wo immer er hinkam, wurde der Ostberliner gefeiert. Ein Sympathieträger.
Profikarriere war kein Thema
Nur in den olympischen Boxring kehrte Wolfgang Behrendt nicht mehr zurück. 1960 scheiterte er wegen einer Handverletzung in der Qualifikation. 1964 – nach vier Jahren Ringpause – schickten ihn die Funktionäre mit nur vier Wochen Vorbereitung in die Ost-West-Ausscheidung. Im Leichtgewicht! Die 1:2-Niederlage gegen den Mainzer Wolfgang Schmitt war das Ende seiner sportlichen Laufbahn.
Eine Profikarriere war für den Ostberliner nie ein Thema gewesen, obwohl es Angebote gegeben hatte. Das erste sogar schon im Dezember 1956 in Melbourne. Behrendt blieb bodenständig. Der gelernte Maschinenschlosser schulte um, erwarb das Zeugnis eines Filmkameramannes, war eine Zeit lang Assistent beim DDR-Fernsehen; fand seine berufliche Erfüllung aber schließlich als Diplom-Fotograf.
Von 1965 bis 1990 war er als Fotoreporter für die Ostberliner Tageszeitung Neues Deutschland in der Welt des Sports unterwegs, u.a. bei acht Olympischen Spielen, zahlreichen Welt-und Europameisterschaften sowie 25 Mal bei der legendären Friedensfahrt. Auch als Bildreporter zeigte Wolfgang Behrendt Klasse. Zweimal gewann er Gold für das „Siegerfoto schwarz-weiß“ bei den Weltausstellungen der Sportfotografie in Damaskus und Peking. Und noch viele andere Preise.
Auftritte als Musikclown und Trompeter
Doch als 1989 die DDR zusammenbrach und 1990 ein vereintes Deutschland ausgerufen wurde, bekam der 54jährige Meisterfotograf von seiner Zeitung als einer der ersten Mitarbeiter den „blauen Brief“. Eine Welt brach zusammen. Aber Behrendt ging nicht unter. Seine Familie, Ehefrau Monika und die Söhne Mario und Heiko, fingen ihn auf.
Er wurde Freier Fotoreporter, u.a. bei der „Super-Illu“, für die er Homestories von Prominenten machte. Von Sportlern wie der Kanu -Rekord - Medaillengewinnerin Birgit Fischer oder Künstlern wie dem Dresdner Kammersänger Peter Schreier.
Doch mit dem Boulevardjournalismus konnte er sich nicht anfreunden, ebensowenig mit der Digitalfotografie. Mehr und mehr zog sich Behrendt aus dem Beruf zurück. Er besann sich auf sein Hobby, die Musik. Aber nicht die Geige aus Kinderzeiten wurde sein Instrument, sondern die Trompete. Kombiniert mit der Mundharmonika und seinem schier endlosen Repertoire an guten Witzen trat er bei vielen Veranstaltungen als Musikclown auf. Auch da war er so gut, dass der Zirkus Aeros ihm einen Vertrag anbot.
Er aber wollte „frei“ bleiben. Es genügten ihm die gelegentlichen Auftritte mit dem Reporterfreund Heinz-Florian Oertel: interessante, viel applaudierte Unterhaltung, präsentiert von zwei Publikumslieblingen der ehemaligen DDR. Und wenn Seniorenheime um ein Trompeten-Gastspiel anfragten, ließ sich der Olympiasieger nicht zweimal bitten.
In den letzten Jahren ist es still geworden um Wolfgang Behrendt. Keine Trompetenauftritte mehr, nicht einmal Training in der als „Studio“ schalldicht gebauten Sauna in der Datscha direkt am Ufer des Klein Köriser Sees vor den Toren Berlins. Er hatte sich voll und ganz auf die Pflege seiner schwer erkrankten Frau Monika konzentriert.
Sie war mit dem Spitzensportler und Fotojournalisten seit 1960 durch dick und dünn gegangen. Eine Ur-Berlinerin: schlagfertig, humorvoll, herzlich, sportlich – wie ihr „Wölfchen“. Doch auch seine Fürsorge konnte ihre Krankheit nicht aufhalten. Am 26.Mai ist Monika Behrendt verstorben. Knapp drei Wochen vor dem Jubiläumsgeburtstag ihres Mannes.
Zu diesem stolzen „80.“ wird es die geplante Feier nun nicht geben. Stattdessen übermitteln ihm seine vielen Freunde und Bekannten ein mitfühlendes stilles „Courage, lieber Wolfgang!“
(Quelle: DOSB/Klaus Angermann)