„Wir wollen ein perfektes Turnier organisieren“
Martin Schultze, Sportdirektor des Hockey-Bundes, über die Ausrichtung der Doppel-EM und ihre Bedeutung für eine Olympia-Bewerbung.
14.01.2025
Martin Schultze ist seit November 2022 Sportdirektor im Deutschen Hockey-Bund (DHB). Im Gespräch erläutert der 53-Jährige die Hintergründe zur Vergabe der Feldhockey-EM der Frauen und Männer, die vom 8. bis 17. August in Mönchengladbach stattfindet, und schildert seine Sicht auf eine deutsche Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele.
DOSB-Presse: Martin, nur zwei Jahre nach der Ausrichtung einer Doppel-EM in Mönchengladbach ist der DHB bereits im August dieses Jahres wieder Gastgeber für die acht besten Frauen- und Männerteams Europas. Wie konnte das passieren?
Martin Schultze: Geplant war das von uns nicht. Der Europaverband ist im vergangenen Jahr auf uns zugekommen, weil er Probleme hatte, einen Ausrichter zu finden. Da die Niederlande und Belgien 2026 Gastgeber für die WM sind, wollten sie ein Jahr zuvor nicht auch noch eine EM ausrichten. England hat den Zuschlag für 2027 bekommen, Spanien konnte eine EM-Ausrichtung finanziell nicht stemmen. Blieb als einziger Kandidat noch Luxemburg, die es aber aus zeitlichen Gründen nicht umsetzen konnten. Also wurden wir wegen der sehr guten Ausrichtung 2023 erneut gefragt. Und wenn so eine Möglichkeit aufs Tablett kommt, sollte man zugreifen.
Auf der einen Seite könnt ihr sicherlich auf viele Erfahrungen aus 2023 bauen, andererseits könnte eine Übersättigung der Fans drohen. Wie geht ihr mit diesem Zwiespalt um?
Natürlich ist eine gewisse Sorge, dass wir uns mit zwei solchen Highlights innerhalb von zwei Jahren kannibalisieren, nicht von der Hand zu weisen. Vor der EM 2023 hatten wir zwölf Jahre lang kein internationales Hockey-Großevent in Deutschland, der Hunger der Fans war also groß. Die wichtigen Phasen, in denen das Gros der Tickets verkauft werden, kommen jetzt. Zudem haben wir Ende Juni mit den Pro-League-Spielen in Berlin, wo unter anderem eine Weltspitzennation wie Australien zu Gast ist, ein weiteres Top-Event in Deutschland, das uns Zuschauer für die EM kosten könnte. Aber die Vorverkaufszahlen, die aktuell über denen von vor zwei Jahren liegen, machen uns Mut. Und tatsächlich ist es sehr hilfreich, dass wir auf Strukturen zurückgreifen können, die sich 2023 bewährt haben.
Mit wie vielen Leuten organisiert ihr so ein Großereignis? Und wie sieht es auf dem wichtigen Feld der freiwillig Helfenden aus?
Was die Volunteers angeht, sind wir bestens aufgestellt, da hatten wir Ende Dezember schon 750 Anmeldungen von Ehrenamtlichen, was überragend ist. Das Event-Team seitens des Verbands unter der Leitung von Cheforganisatorin Nina Holtgrewe ist klein, da sind noch zwei weitere Personen beteiligt. In der Woche vor und während dem Event ist aber natürlich die gesamte Geschäftsstelle eingebunden, da müssen alle ran. Aber das macht es ja auch aus.
2023 wart ihr mit einem neuen Marketingkonzept und dem Format „Hockey meets Music“ sehr erfolgreich. Wird das nun fortgesetzt?
Unser Konzept mit dem großen VIP-Zelt an einer Stirnseite des Stadions ist sehr gut angenommen worden, das führen wir entsprechend weiter. „Hockey meets Music“ wollen wir nicht kopieren, unsere Ausrichtung geht diesmal eher in Richtung „Hockey meets Art“. Bei der Ausgestaltung sind ganz unterschiedliche Themen im Fokus: Eröffnungs-Choreographie, Kreativwettbewerbe an Schulen, Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit im Sport oder auch ein Fotoshooting in Kunstmuseen der Stadt mit diversen Künstlern. Im Fan-Village wird das Thema auch sichtbar sein. Es hört sich vielversprechend an und soll die Gäste natürlich auch wieder ein wenig überraschen.
Die Ausrichtung eines Großevents ist teuer. Mit was für einem Etat plant ihr, und wie bekommt ihr den gestemmt?
Das war in diesem Jahr tatsächlich etwas schwieriger als 2023, weil das Land Nordrhein-Westfalen mit den World University Games im Juli eine weitere große Leuchtturm-Veranstaltung finanziert. Dennoch haben sich die Verantwortlichen sehr bemüht, um uns bestmöglich zu unterstützen. Auch die Stadt Mönchengladbach tut viel. Dennoch ist uns bewusst, dass wir über das Ticketing und das Sponsoring mehr erwirtschaften müssen, um das Gesamtbudget, das rund drei Millionen Euro beträgt, zu deckeln. 2023 hatten wir gut 70.000 Besucher, nun schielen wir auf die 100.000. Wir sind insgesamt aber auf einem sehr guten Weg.
Ihr habt zum Beispiel Adidas als neuen Ausrüster gewonnen, der erstmals eigene Trikots für alle Nationalteams, auch in den Nachwuchsbereichen, entworfen hat. Was verändert das?
Das ist für uns ein großer Schritt und ein neues Niveau. Die schwarzen Trikots sind endgültig Geschichte. Unsere Heimtrikots sind weiß, und das Auswärtsshirt wird ein Knaller und wird richtig Farbe ins Spiel bringen, ein wenig in Anlehnung an die Trikots der Fußball-Nationalmannschaft. Und es passt zufällig auch perfekt zu unserem neuen Fernsehpartner Magenta Sport, der alle Spiele unserer Nationalteams überträgt. Die Idee zu der Trikotfarbe war allerdings früher da als der Abschluss mit Magenta.
Ein Großereignis wie eine Doppel-EM sorgt nicht nur für erhöhte Sichtbarkeit für den Hockeysport, sondern zahlt auch ein auf die Nationale Strategie Sportgroßveranstaltungen des Bundesinnenministeriums, die vorsieht, auf dem Weg zu einer Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele vermehrt internationalen Spitzensport in Deutschland zu präsentieren. Inwieweit ist das für eure Planungen relevant?
Ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn das Gespräch auf das Thema Nationale Strategie kommt. Ich halte die Förderung von Großveranstaltungen in Deutschland teilweise für nicht zeitgemäß. Mit den Summen, die da angeboten werden, kann man eigentlich kein internationales Sportevent stemmen. Die Bundesförderung liegt bei rund 150.000 Euro, das ist bei einem Drei-Millionen-Etat sicherlich ausbaufähig. Wir sind dankbar, dass überhaupt etwas kommt. Aber wenn man von einer Strategie spricht, müsste man in anderen Dimensionen denken. Die nächste Chance, eine Großveranstaltung nach Deutschland zu holen, wäre die WM 2034. Da reden wir aber über zweistellige Millionenbeträge. In der aktuellen Lage wäre so eine Bewerbung nicht anzugehen. Und das ist schade, denn wir sehen ja an vielen Beispielen auch aus anderen Sportarten, dass die Begeisterung der Deutschen durchaus da ist, wenn sie Veranstaltungen im eigenen Land besuchen können. Im Vorhinein sind die Bedenken groß, aber wenn es erst einmal läuft, sind alle Feuer und Flamme.
Eine deutsche Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele von 2036 an ist ja in Planung. Wie stehst du persönlich dazu, und kann eine Hockey-EM dazu beitragen, die Stimmung für eine Bewerbung anzufachen?
Ich denke, dass jedes große Sportereignis dazu beitragen kann, die Stimmung im Land weiter pro Leistungssport zu drehen. Was das Thema Olympiabewerbung angeht, bin ich zwiegespalten. Auf der einen Seite bin ich absolut dafür und würde mich riesig freuen, wenn es gelingt, denn Olympische Spiele sind ein extrem wichtiger Motor für die Sportentwicklung, aber auch den infrastrukturellen Fortschritt. Wir sind oft für Länderspiele in London und spielen dort im Stadion von 2012, und wenn ich sehe, was sich rund um das Olympic Village für ein pulsierender Stadtteil entwickelt hat, wo vor den Spielen nur Brachland war, dann ist das der beste Beweis dafür, was Olympische Spiele bewirken können. Auf der anderen Seite bin ich skeptisch, wenn ich sehe, welche Länder sich von 2036 an bewerben wollen. Wenn Indien, Katar oder Saudi-Arabien ernst machen, haben wir keine Chance, gegen deren Finanzkraft kommen wir nicht an. Und das ist für mich ein ganz wichtiger Aspekt. Wenn wir es wirklich wollen, müssen wir über einen finanziellen Wumms reden, der ganz anders ist als die Summen, die wir aktuell ansetzen. Damit kann man weltweit nichts bewegen, und darüber, ob wir als Land das wollen, müssen wir eine ehrliche Diskussion führen.
Der DOSB will Ende des Jahres entscheiden, mit welcher Region man sich um die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen Spielen bewirbt. NRW ist einer der möglichen Kandidaten. Spielt das für euer Turnier eine Rolle?
Für das Land ist die Hockey-EM sicherlich ein wichtiger Aspekt auf dem Weg zu einer Bewerbung. Für uns verändert sich dadurch aber nichts. Wir wollen einfach ein perfektes Turnier organisieren und dadurch unseren Beitrag dazu leisten, dass Deutschland als guter Gastgeber für Sportgroßveranstaltungen wahrgenommen wird. Und sollten wir Olympische Spiele ausrichten, wäre Mönchengladbach fraglich als Spielort, weil der Hockeypark wahrscheinlich zu klein ist. Man könnte dann in ein bestehendes Fußballstadion ausweichen.
Warum ist das für die EM kein Thema? Warum findet so ein Event in Mönchengladbach statt und nicht in Hockey-Hochburgen wie Hamburg, Mannheim oder Berlin?
Weil wir es infrastrukturell nur am Standort unseres Verbandssitzes stemmen können. Wir gehen mit der Pro League bewusst nach Berlin und 2026 mit der Hallen-EM nach Heidelberg. Aber Turniere vom Ausmaß einer Doppel-EM könnten wir an anderen Orten nur mithilfe einer externen Agentur ausrichten. Dafür wären mehr externe Dienstleister und mehr Personal notwendig, und das würde unser Budget sprengen. Wir haben 2023 bewusst damit begonnen, alle Events in den DHB zurückzuholen, nachdem wir zuvor 15 Jahre lang mit einer Agentur zusammengearbeitet haben. Deshalb ist Mönchengladbach unser Standort, und wir haben damit 2023 durchaus gute Erfahrungen gemacht.
Sportlich waren die Erfahrungen 2023 allerdings nicht optimal, beide Teams verloren ihre Halbfinals, die Frauen holten immerhin Bronze. Was ist für dieses Jahr die Zielsetzung? Mit dem Heimvorteil sollte doch mehr drin sein, zumal über die EM die Qualifikation für die WM 2026 geschafft werden kann.
Das WM-Ticket haben unsere Frauen ja dank des zweiten Platzes in der vergangenen Pro-League-Saison bereits gesichert. Die Männer müssen für die Quali weder Titelverteidiger Niederlande noch Belgien hinter sich lassen, weil die als WM-Gastgeber automatisch dabei sind. Das sollte also machbar sein. Allerdings geben wir uns damit nicht zufrieden, wir wollen mit den Männern auf jeden Fall den Titel holen. 2023 war etwas speziell, weil wir im Januar Weltmeister geworden waren, und zwei Höhepunkte innerhalb einer Saison sind sehr schwierig zu steuern. In diesem Jahr ist die EM der absolute Saisonhöhepunkt, da wird das Team sehr hungrig auf Erfolg sein und Rang vier von der EM 2023 wettmachen wollen. Bei den Frauen sieht es etwas anders aus, da sind wir nach dem Rücktritt einiger Leistungsträgerinnen in einem Zwischenjahr, wir bauen eher einen Kader für Olympia 2028 in Los Angeles auf. Dennoch ist klar, dass wir als Gastgeber nach dem Maximum streben. Zwei Finalteilnahmen wären top – und für uns alle der schönste Lohn für alle Mühen.