Zum Inhalt springen

Willkommen auf dem Planeten HipHop

Dieser Tanz ist auch eine Jugendbewegung, das macht ihn so ergiebig als Integrationsinstrument – wenn man weiß, wie diese Bewegung tickt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

02.02.2015

  • So jung, so glücklich: Tracy Mbiyu (8) Jahre und Aliyah Werner (9) vom Stützpunktverein Eintracht Duisburg holten bei der UDO World Championship 2014 Gold in der Kategorie bis zehn Jahre (Quelle: Top Dance)
    So jung, so glücklich: Tracy Mbiyu (8) Jahre und Aliyah Werner (9) vom Stützpunktverein Eintracht Duisburg holten bei der UDO World Championship 2014 Gold in der Kategorie bis zehn Jahre (Quelle: Top Dance)
  • Und mittendrin ein Junge: Im HipHop sind Auftritte geschlechtergemischter Gruppen ganz normal, nicht nur bei TAF-Events wie hier in Essen (Quelle: TAF/eventphotography.eu)
    Und mittendrin ein Junge: Im HipHop sind Auftritte geschlechtergemischter Gruppen ganz normal, nicht nur bei TAF-Events wie hier in Essen (Quelle: TAF/eventphotography.eu)

    Schwarz-Weiß-Denken führt nicht weit in diesem Umfeld. HipHop, sagt Alexander Cristian, sei „eine Kulturgemeinschaft“, in der andere Identitäten unwichtig werden. Äußere Unterschiede, so der Deutsche HipHop-Meister von 2003, der heute Tanzlehrer, Ausbilder und Wertungsrichter ist, interessierten gleich gar nicht. Er verweist darauf, dass die International Dance Organisation (IDO), der größte Verband für modernen Tanz, die WM der behinderten und nichtbehinderten HipHopper als ein Event ausrichtet: gleicher Ort, gleiche Zeit. Eine Ausnahme im Sport. Und er sagt: „Es gibt bei uns Wettbewerbe, da ist man als Weißer klar in der Minderzahl. Das spielt keine Rolle.“ Homophobe oder frauenfeindliche Songs gewisser Rapper, ergänzt er, hätten kommerzielle Hintergründe und „nichts mit HipHop zu tun“.

    Im Großen und Ganzen kann man das stehen lassen: Dieser coole, akrobatische Tanz schafft Verbindungen. Deshalb ist er ein auch in Deutschland beliebtes Integrationsmedium – das sich im organisierten Sport erst allmählich durchsetzt. Bis Anfang des Jahrtausends war er ein exotisches Vereinsangebot, und in Tanzstudios fand er gar nicht statt. Inzwischen gab es jeweils eine Annäherung, aber noch immer gehen die meisten Vereinsinitiativen von Organisationen mit spezieller Ausrichtung aus. Siehe Funtastic Wetzlar, ein Klub für junge Sportarten in Mittelhessen; siehe der Christliche Sportverein Andernach am Rhein, der mit HipHop Gewalt und Drogenmissbrauch vorbeugt; beide werden vom Programm „Integration durch Sport“ (IdS) gefördert, ebenso wie Streetdance-Projekte in Duisburg und Kiel, von denen noch die Rede sein wird.

    Insgesamt zählt The Actiondance Federation (TAF), ein dem Deutschen Tanzverband und der IDO angehörender Amateurverband, rund zehntausend HipHopper, bei landesweit etwa hunderttausend Tänzerinnen und Tänzern, wie Cristian schätzt. TAF-Mitglieder haben eine Lizenz, die sie als Vertreter einer Institution (etwa ein Verein) ausweist und dürfen an Deutschen Meisterschaften teilnehmen.

    Subkultur versus Struktur

    Es fällt nicht schwer, die Distanz zu verstehen: stark strukturierte, tendenziell traditionsbewusste Einrichtungen hier, eine hippe, grenzenarme Szene dort. Mit dem gutgemeinten Anspruch etwa, junge Menschen „von der Straße zu holen“, muss man in dieser Szene vorsichtig sein. Denn die vertritt nicht nur einen Tanz und eine Musikrichtung, sondern auch eine Jugendbewegung, und deren Zuhause ist: die Straße. Dort, genau gesagt in den New Yorker Ghettos, wurde sie Anfang der 70er geboren und geprägt, durch überwiegend afroamerikanische Jungs. Daher der Vorbehalt gegen feste Strukturen, geschlossene Trainingszeiten und -räume bei manchen ihrer Vertreter.

    Und daher das Bewusstsein für Unterschiede, erklärt Cristian, selbst seit 1978 Tänzer: „Damals in der Bronx hat man sich gegen soziale Missstände und Rassendiskriminierung aufgelehnt, aber friedlich. Es ging darum, Respekt einzufordern und ihn allen anderen gegenüber zu leben, unabhängig von der Hautfarbe oder dem familiären und kulturellen Hintergrund.“ Von New York ausgehend erfasste diese Haltung die Jugend der Welt, auch und gerade die am sozialen Rand. Heute drückt sie sich in Wettkämpfen aus, in denen jeder zeigen will, was er und nur er kann. „In anderen Tänzen gibt es einen Weltmeister, dem man nacheifert, im Fußball wollen alle kicken wie Ronaldo. Das will im HipHop kein Mensch. Da möchte jeder etwas zeigen, das noch nie da war und das seine Persönlichkeit ausdrückt“, sagt Cristian.

    Der Kern des HipHop „ist immer noch erkennbar“, bestätigt Martina Böhm. Die Duisburgerin richtet seit 2013 die deutschen Qualifikationen zu Europa- und Weltmeisterschaften der United Dance Organisation (UDO) aus, ein auf Streetdance begrenzter IDO-Konkurrent mit Sitz in London. Wer bei UDO-Events startet, muss keiner Institution angehören. Damit spricht man laut Böhm „auch die urbane Szene an“. In dieser strukturfernen Szene ist „Streetdance“ der gebräuchlichere Oberbegriff über all die HipHop-Stile, vom männlich dominierten Breakdance über Krumping bis zum eher weiblichen Voguing.

    Baggy Pants und so viel mehr

    Woran erkennt man HipHopper? An harten Bewegungen (Breakdance!) zur Rap-Musik, an weiten Hosen – baggy Pants – und Baseball-Kappe? An der coolen Sprache, Gestik, Mimik? Alles richtig, aber keineswegs hinreichend. HipHop hat sich seit seiner Entstehung in New Yorker Ghettos derart erweitert, aufgefächert, dass der Laie die wenigsten Stile, Begriffe und Merkmale kennt. Die klassischen Formen heißen heute oft Streetdance, je nach Verband auch – es gibt mehrere, die Großevents und Weltmeisterschaften ausrichten. Einer ist die International Dance Organisation (IDO), ihm gehört die mit dem Deutschen Tanzverband (DTV) verbundene The Actiondance Federation (TAF) an, die nationale Meistertitel im HipHop und etwa 20 weiteren Tänzen vergibt.

    Ein kunterbunter Tanz

    Es geht ihr nicht um Ideologie, sie führt ja selbst seit 1998 eine Tanzschule. Und sie hat 2009 den TSV Streetdance Duisburg gegründet. Ziel: „die Akzeptanz für den Sport zu erhöhen und Fördermittel für die Teilnahme unserer Tänzer an Wettkämpfen zu erhalten“. UDO-Events kosten eine Startgebühr plus die Anreise, und vielen Kids fehlt das Geld. 2013 schloss sich der TSV dem IdS-Stützpunkt Eintracht Duisburg an, aus „organisatorischen Gründen“, so Böhm. Sie und die Tänzerinnen – es sind fast nur Mädchen – fühlen sich „sehr gut aufgehoben“ im Verein. Dabei kooperiert die Streetdance-Abteilung eng mit UDO, unter anderem helfen Ehrenamtliche bei den Veranstaltungen.

    Bei uns tanzen sehr viele Kinder zugewanderter Eltern: Das betont neben Böhm auch Azita Sadeghi für die von ihr organisierten Wettkämpfe und AGs. Die Tanzpädagogin, Projektleiterin beim „IdS“-Partner Kieler Kids und Chefin der Akademie „Danceducation“, spricht ebenfalls von Streetdance – aus gutem Grund: „Unsere Kinder und Jugendlichen choreografieren nach ihren eigenen Ideen, ihre Auftritte (etwa Musicals, d. Red.) entstehen auf der Straße.“ Das von ihr und etwa zehn Übungsleitern angebotene Tanztraining findet an wechselnden Orten statt, „da, wo wir gerade Platz finden“.

    Klare Regeln, kreativer Raum

    Die Kieler Kids mussten sich erst an Struktur gewöhnen, so offen diese sein mag; ein Ambiente des Respekts löst Aggressionen und Egoismen ja nicht einfach auf. „Es ist immer ein Kampf, die Charaktere und Kulturen zusammenzubringen“, sagt Sadeghi, die Konkurrenz zwischen den Jugendlichen sei hart. Der HipHop hilft, die Energie lenken. Sadeghi spricht an dieser Stelle von einer „Kette“. Erstes Glied: Verantwortung übernehmen, etwa in Form gestalterischer oder organisatorischer Aufgaben. Im Weiteren baut sie bevorzugt aufs Battlen (direkte Duelle auf der Bühne) zwischen Gruppen: „Das ist ein guter Kompromiss. Da können sich die einzelnen Styler messen, aber sie müssen sich dafür andere Leute ihres Geschmacks suchen und schaffen etwas Gemeinsames.“

    Die Mischung aus klaren Regeln und kreativem Freiraum macht es aus, dieses Integrationsmedium. Martina Böhm nennt Streetdance eine „Kunstform“ – mit subkulturellem Image, könnte man ergänzen. Diese Kombination wirkt laut Cristian auf Kinder und, mehr noch, Jugendliche: „HipHop kann vielen durch die Pubertät helfen.“ Es gehe ja „um Abgrenzung, um Individualisierung“. Tatsächlich seien die meisten TAF-Mitglieder zwischen 13 und 15 Jahre – in anderen Sportarten ist dies das typische Dropout-Alter: Viele Teenies treten aus Vereinen aus. Ihnen ein HipHop-Angebot zu machen, sei es als Ersatz oder nur zur Ergänzung, könnte eine Maßnahme sein, die dem Abschied vorbeugt. Martina Böhm zum Beispiel hat bei Eintracht Duisburg auch schon mal einen Workshop für die Fechter ausgerichtet.

    (Autor: Nicolas Richter)

    Title

    Title