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Willi Daume und die NS-Vergangenheit

Im Gespräch mit der DOSB PRESSE bewertet der hannoversche Historiker Jan C. Rode das Ergebnis seiner Recherchen für seine jüngst erschienene Daume-Biographie, in der er erstmals ausführlich auf die NS-Vergangenheit Daumes eingeht.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

20.01.2010

DOSB PRESSE: Warum ist Willi Daumes NS-Vergangenheit erst jetzt wissenschaftlich veröffentlicht und damit diskutiert worden?

JAN C. RODE: Meine Arbeit ist auf dem Stand von 2007, dem Zeitpunkt der Abgabe und auch bereits vor zwei Jahren wurde das Thema im Zusammenhang mit dem „Hall of Fame des deutschen Sports“ diskutiert. Die heftige Reaktion der Öffentlichkeit ist nun in der Tat überraschend. Die neue Qualität kam, glaube ich, durch meine Hinweise auf den Sicherheitsdienst der SS. Aber wenn, wie ich jetzt erfahren habe, Daume schon 1992 bei einer Pressekonferenz bei den Winterspielen in Albertville darüber gesprochen hat, verstehe ich es auch nicht. Der Umgang mit Daumes NS-Vergangenheit ist insgesamt diffus und verwirrend. Wir haben einerseits die Fakten, Mitgliedsnummer und seine eigenen Aussagen über seine Tätigkeit für den SD. Auf der anderen Seite haben wir aber die Erhebungen der ostdeutschen Staatssicherheit, die das nicht herausgefunden haben. Ich vermute, dass die Stasi mit ziemlicher Sicherheit dieses Wissen in den deutsch-deutschen olympischen Auseinandersetzungen auch benutzt hätte.

DOSB PRESSE: Trotzdem: Daume hat sich ja auch schon Anfang 1993 im Gespräch mit Historikern dazu bekannt. Warum sind Sie der erste, der es veröffentlicht?

RODE: Die Interviews wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts „Willi Daume und die Olympischen Spiele 1972“ geführt. Dann hat die Anschlussfinanzierung gefehlt. So lagen die Unterlagen in Hannover, bis ich mich daran gemacht habe, sie aufzuarbeiten.

DOSB PRESSE: Ist Ihnen die Brisanz deutlich geworden?

RODE: Ich fand es zumindest verwunderlich, dass er es so offen, nonchalant erzählt hat.

DOSB PRESSE: Wie erklären Sie Daumes Umgang mit dieser Vergangenheit?

RODE: Damals kamen die ersten Stasi-Fälle bei aktiven Sportlern und Funktionären auf. Ich vermute, Daume hat sich bemüßigt gefühlt, sie in Schutz zu nehmen, weil er in einer ganz ähnlichen Situation gewesen war und das auf gewisse Art und Weise nachvollziehen konnte. Und er hat wohl die innere Überzeugung gehabt: Wenn ich als Sportler, als Aktiver oder auch als Funktionär mit SD oder Stasi zu tun gehabt habe, habe ich ihnen nichts erzählt, was anderen Menschen hätte schaden können. Andererseits, das ist mir als Historiker ganz wichtig: Indem er das so darstellt, ist es auch eine Form der Entschuldung. Was man bei Diem und von Mengden dann auch ganz ähnlich liest, es sei alles gar nicht so schlimm gewesen oder man habe den Sport vor Schlimmerem bewahrt.

DOSB PRESSE: Warum sprechen Sie selbst nur von Daumes Status als Parteianwärter?

RODE: So steht es in den Akten des Entnazifizierungs-Verfahrens. Das fußt aber einzig und allein auf den Aussagen Daumes, dass zwar Mitgliedsbeiträge abgebucht worden seien, er aber nie ein Parteibuch erhalten habe. Das wurde Daume als entlastend zugute gehalten. Ich gehe davon aus, dass er auch Mitglied war. Der Akt des Antrages wurde vollzogen.

DOSB PRESSE: Warum haben das enge Begleiter Daumes, auch Wissenschaftler, für nicht erwähnenswert gehalten?

RODE: Das hat wohl mit der großen Nähe zu tun, die einige zu ihm aufgebaut hatten. Für mich gehört die NS-Vergangenheit aber einfach dazu. Mir war wichtig zu erklären, unter welchen Umständen Daume 1950 DSB-Präsident wurde. Dafür muss man in die Zeit vorher schauen. Dazu gehört auch die Frage: Wie hat er sich zum Nazi-Regime gestellt?

DOSB PRESSE: Müssen wir unser Bild von Willi Daume korrigieren?

RODE: Für mich ist er der klassische Mitläufer. Er hat sich aufgrund seines Alters und seiner Stellung opportunistisch zum System verhalten. Er hat als Unternehmer vom NS-System profitiert. Er soll in seinem Unternehmen auch Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Als Sportfunktionär hat er in der Vereinszeitung Äußerungen veröffentlicht, die in der NS-Sprache gehalten sind: der stete Ansporn zu mehr Leistung; Hinweise auf Volksgemeinschaft oder beispielsweise die Aussage, „wir tauschen den Handball gegen die Handgranate“. Aber es gibt keinerlei antisemitische Äußerungen. Vergleicht man ihn mit Diem, von Mengden oder auch seinem Dortmunder Vereinsführer Barthels, dann ist das eine ganz andere Kategorie. Nach 1950 verwirft er dann glaubhaft die NS-Sportideologie als Grundlage für die weitere Entwicklung in der Jugenderziehung, beim Frauensport oder etwa den Formen der nationalen Repräsentation. Wir müssen unser Bild also nicht korrigieren und Daume vom Sockel stoßen. Wir müssen aber genauer hinschauen. Natürlich hat er dem System passiv gedient, aber das haben Millionen andere Deutsche auch.

 

Richtigstellung: Willi Daume und die NSDAP

Im Beitrag über Willi Daume in der Serie „Sportlerpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte“ (DOSB PRESSE Nr. 49 vom 1. Dezember 2009) wurde im dritten Absatz formuliert, dass Daume „nie Mitglied der NSDAP gewesen“ sei. Diese Darstellung trifft nicht zu und bedarf der Korrektur.

In seiner zum Jahresbeginn in Buchform erschienen Dissertation „Willi Daume und die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1945 und 1970“ hat der hannoversche Historiker Jan C. Rode jetzt auf der Grundlage von Recherchen in der Entnazifizierungsakte Daume im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf bestätigt, dass Willi Daume am 20.12.1937 die Aufnahme in die NSDAP beantragt hatte und unter der Nummer 6089890 Parteimitglied wurde.

Zugleich geht das Buch erstmals in wissenschaftlicher Form auf öffentliche Äußerungen Daumes aus den Jahren 1992 und 1993 ein, nach denen er seit 1943 ferner mit dem Sicherheitsdienst (SD) der SS zusammengearbeitet habe.

Daume habe mehrere Berichte vom Zweitwerk Antwerpen seines Dortmunder Unternehmens aus über die Stimmung der Bevölkerung verfasst, „um dem bei einer Weigerung angedrohten Fronteinsatz im Kampf um Stalingrad zu entgehen“.

Nach eigener Aussage seien diese Berichte aber „blödsinnig“ und „voller Übertreibungen“ gewesen, so dass der SD das Interesse an den Berichten verloren und, so Daume, ihn und einen anderen Informanten aus ihrer Aufgabe entlassen hätte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Daume nach diesen Recherchen vom „Entnazifizierungs-aussschuss im Bereich des Stadtkreises Dortmund“ am 19.11.1948 zu einer Geldstrafe von 1.000 RM verurteilt und in die Kategorie IV als „Mitläufer“ eingestuft.

In der von Daume beantragten Berufungsverhandlung am 29.9.1949 entschied die Berufungskammer, Daume als „entlastet“ in Kategorie V einzustufen. Die Kammer sah es, so Rode, „als bewiesen an, dass Daume durch die Hilfe für seinen Mitarbeiter‚ zumindest innerlich den Nationalsozialismus ablehnte‛ und darüber hinaus nicht als Nationalsozialist in der Öffentlichkeit hervorgetreten sei“.

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