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Veränderungen gehören zum Wettkampfprogramm

In welchen Sportarten um olympisches Edelmetall gekämpft wird, ist seit jeher selbst einer der wichtigsten Wettkämpfe. Das IOC hat sich immer vorbehalten, Kandidaten aus dem Wettkampfprogramm zu streichen oder neu in die olympische Arena zu schicken.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

01.08.2008

Entscheidungen, die für die betroffenen Athleten entweder mit Leid und Bitternis verbunden sind oder von Glücksmomenten und Freude bei den Sportlern begleitet werden. Der Wandel im Programm gehört von Beginn an zur Geschichte der Spiele wie die würdige Ehrung von Siegern und Platzierten. Das wird auch bei den Sommerspielen vom 8. bis 24. August in Peking so sein, wo insgesamt 302 Entscheidungen in 28 Sportarten stattfinden. Jubeln durften diesmal schon vorab die BMX-Radsportler. Sie werden ihre olympische Premiere erleben und auf einem rund 350 Parcours mit engen Kurven und Hindernissen zeigen können, wozu Mensch und Spezialrad in der Lage sind. Ein Novum wird in Peking ebenfalls das Langstreckenschwimmen über 10 Kilometer sein, bei dem Angela Maurer aus Wiesbaden und Thomas Lurz aus Würzburg beste Chancen haben, die Gunst der Stunde zu nutzen. Neu sein wird desgleichen ein 3000-Meter-Hindernisrennen für die Frauen, wobei auf jeder der 7,5 Stadionrunden vier Hürden sowie einmal der Wassergraben zu bewältigen sind.  

Auf dem Wasser tauchen erstmals im olympischen Programm die „Radial Laser" mit einer Segelfläche von knapp 6 Quadratmeter auf. Das Einer-Boot ersetzt bei den Frauen die bis 2004 olympische „Europe"-Klasse. Bei den Windsurfern folgen die kürzeren und mit 90 Zentimetern anderthalb Mal breiteren RSX-Bretter denen der „Mistral"-Klasse. Auch im Tischtennis wurde das Programm modifiziert. Erstmals tragen die Künstler am Zelluloidball statt der Doppelkonkurrenzen bei Damen und Herren einen Teamwettbewerb mit 16 Dreier-Mannschaften aus. Die Fechter, für die bei Olympia in den drei Waffengattungen stets nur vier statt sechs Team-Wettbewerbe gestattet sind und die daher ein Rotationsprinzip eingeführt haben, werden in Peking Mannschafts-Medaillen im Damen-Florett und mit dem Säbel bei den Männern vergeben. Dafür müssen diesmal die Teams im Damen-Degen bzw. im Männer-Florett pausieren.  

Das strategische Zauberwort heißt Substitution 

Das vielfach angewandte Substitutionsprinzip verdeutlicht: Zusätzliche Wettbewerbe sind angesichts der gigantischen Gesamt-Teilnehmerzahlen nahezu tabu. Veränderungen finden nur mehr im Austausch gegen andere Disziplinen statt. Welche neu ins Programm gehoben werden, welche über Bord gehen und welche außen vor bleiben, das entscheidet allein die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Sie reagiert damit in erster Linie auf neue Trends und Sportarten, die sich weltweit gerade unter jungen Menschen zunehmender Beliebtheit erfreuen. Das BMX-Rad kam Ende der 60er Jahre in Kalifornien in Mode, 1982 fand die erste Weltmeisterschaft statt. Weitaus rasanter war die Entwicklung bei den Mountainbikern und bei den Beach-Volleyballern, die seit den Sommerspielen 1996 in Atlanta zur olympischen Familie gehören und neue Akzente setzten. Die Beach-Wettbewerbe am berühmten Bondi-Strand von Sydney gerieten vor acht Jahren wegen ihrer großartigen Stimmung zu einem regelrechten Renner und machten die junge Sportart auf Anhieb zum Publikumsmagneten. 

Zittern als „olympische Dauerbrennerdisziplin" 

Oft genug ist das Votum des IOC zugleich ein existentieller Richterspruch. Entsprechend darf großes Zittern sozusagen als einer der „olympischen Dauerbrennerdisziplinen" gelten, seitdem Olympia im neuzeitlichen Gewand 1896 seine Premiere erlebte. Der olympische Status bedeutet für einzelne kleinere Sportarten zumeist, dass sie weiterhin bzw. erstmals staatliche Förderung bekommen und ihr wirtschaftliches Überleben gesichert ist. Andernfalls droht der Absturz in die totale Bedeutungslosigkeit, wie Klaus Schormann, der Präsident des Deutschen und Internationalen Verbandes für Modernen Fünfkampf, aus eigene Erfahrung weiß. „Alle Sportarten sind gefordert, mit der Zeit zu gehen und sich modern aufzustellen", sagt Schormann, dessen Weltverband das olympische Siegel nur dank einer drastischen Reform zu behalten vermochte. Aus einem Mehrtages-Ereignis wurde der traditionelle Fünfkampf zu einer Konkurrenz, die binnen sechs Stunden und für den Besucher nachvollziehbar an einem Tag über die Bühne geht. Um das Geschehen für Zuschauer attraktiver zu machen, werden die Teildisziplinen Reiten, Springen und Laufen jetzt in einem Stadion ausgetragen. Bei der WM jüngst in Budapest wurde sogar ein transportables Schwimmstadion benutzt. 

Während sich die Fünfkämpfer retten konnten, stehen Softball und Baseball in Peking vorerst zum letzten Mal auf dem Programm. Diese von den US-Girls bzw. von den Kubanern dominierten Teamsportarten erfahren damit dasselbe Schicksal wie Cricket, Golf, Lacrosse, Polo, Rugby, Tauziehen oder Sackhüpfen, die einst olympisch gewesen sind und allesamt schon vor dem Zweiten Weltkrieg gestrichen wurden. Im Gegenzug brachten sich Neulinge bei den Spielen über so genannte Demonstrationswettbewerbe ins Gespräch. Doch weder American Football (1932), Segelfliegen (1936) und Budo (1964) noch Wasserski (1972) und Rollhockey (1992) erreichten das erhoffte Ziel. Weit erfolgreicher setzten sich Badminton und Taekwondo in Szene. Deren Vorführeffekt überzeugte die Olympier, so dass diese Sportarten 1992 in Barcelona bzw. 2000 in Sydney ihre olympische Premiere erlebten.  

Golf, Karate, Rugby und Squash hoffen auf Kopenhagen 2009 

Soft- und Baseball sind derzeit von den 28 olympischen Sportarten die einzigen Streichkandidaten. Bei seiner Session im vergangenen Jahr in Guatemala legte das IOC fest, dass alle anderen 26 Sportarten zum Programm der Sommerspiele 2012 in London gehören und zumindest bis 2016 nicht zittern müssen. Im Gegenteil kann die IOC-Vollversammlung 2009 in Kopenhagen für 2016 sogar noch zwei weitere Sportarten hinzu wählen. Softball und Baseball wollen sich dem Vernehmen nach erneut bewerben. Doch Golf, Karate, Rugby oder Squash werden bessere Chancen eingeräumt, künftig den Olympischen Status zu erringen. Bridge zählt eher zu den krassen Außenseitern. Für Sotschi 2014 wurden bereits jene sieben Sportarten bestätigt, die auch 2010 in Vancouver zum Programm der Winterspiele gehören. Freifahrtscheine soll es in Zeiten immer neuer Dopingskandale jedoch nicht geben. „Wer gegen die Antidopingregeln verstößt, muss weiter seinen Ausschluss befürchten", droht IOC-Vize Thomas Bach mit dem Äußersten. Wäre es nach der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG) gegangen, dann hätte es den ersten Bannstrahl schon geben müssen. Die DOG-Forderung, den Radsport kurzerhand in Peking aus dem Programm zu nehmen und damit ein Zeichen für sauberen Sport zu setzen, fand beim IOC und seinem Präsidenten Jacques Rogge kein Gehör. 

Noch Mancher wird das Kurzer-Schicksal teilen 

Bei allen Diskussionen um Meinungsfreiheit, Menschrechte und die Situation in Tibet, das sportliche Geschehen dürfte bei den Olympischen Sommerspielen in Peking wie schon bei den 26. Sommerspielen zuvor im Zentrum aller Aufmerksamkeit stehen. Zirka 12.000 Sportlerinnen und Sportler aus mehr als 200 Ländern werden diesmal um insgesamt 302 Goldmedaillen wetteifern. Sieger werden in 28 Sportarten gekürt, während bei der ersten Auflage der neuzeitlichen Spiele 1896 lediglich Wettbewerbe im Fechten, Gewichtheben, der Leichtathletik, im Radsport, Ringen, Schießen, Schwimmen und Turnen auf dem Pogramm standen und ausschließlich Männer startberechtigt waren. 246 Teilnehmer aus 14 Nationen hatten sich damals in Athen eingefunden. Carl Schuhmann kehrte nach der Premiere mit vier Goldmedaillen sowie einmal Bronze im Gewichtheben, Ringen und Turnen als erfolgreichster deutscher Athlet nach Hause zurück. Derlei Medaillen geschmückte Multitalente sind heutzutage undenkbar. Zu sehr und in extremer Weise ist in den einzelnen Sportarten bzw. Disziplinen die Spezialisierung fortgeschritten. Wie sehr Weltklassesportleer inzwischen festgelegt sind, zeigt das Beispiel von Manfred Kurzer aus Frankfurt/Oder. In Athen 2004 umjubelter Olympiasieger im Wettbewerb „Laufende Scheibe", musste der Meisterschütze anschließend seine Karriere beenden - seine Paradedisziplin wird in Peking fehlen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Es wird noch manchen hoch dekorierten Medaillengewinner geben, der das sportliche Schicksal von Manfred Kurzer teilen und den ständigen Veränderungen ganz persönlich Tribut zollen muss.

Zusammengestellt von Andreas Müller

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