Vancouver ist Olympiastadt 2010
Die nächsten Olympischen Spiele, diesmal sind es Winterspiele, steigen in Vancouver. Unser Reporter Frank Schneller hat die kanadische Metropole in British Columbia zum wiederholten Mal besucht.

12.11.2008
Fazit: Die Perle am Pazifik genießt noch immer zurecht den Ruf, eine der Traumstädte auf der Welt zu sein – eine Traumstadt, die aber durchaus mit einigen Problemen im Hinblick auf Olympia zu kämpfen hat. Hier seine Reportage:
Oben, in den Bergen, laufen sie Ski. Unten, auf den Wellen des Pazifik, surfen sie. Diese traumhafte Umschreibung wird gerne herangezogen, wenn es darum geht, Kanadas westlichste und wärmste Metropole zu umschreiben. Und tatsächlich: Vancouver, aufgrund seiner herrlichen Lage und des entspannten Flairs oft mit Traumzielen wie San Francisco, Kapstadt oder Sydney in einem Atemzug genannt, ist von der Natur regelrecht geküsst. Macht man die wenigen Schritte aus der pulsierenden Downtown hinein in den Stanley-Park, wird man das verstehen.
Die grünflächige und bewaldete Hälfte jener Halbinsel zwischen English Bay, Fraser River und Burrard Inlet, die den Vancouverites wie auch zahllosen Waschbären als willkommenes Naherholungsgebiet dient, ist ein Refugium, eine Art urbaner Regenwald. Hier relaxt man wie auch an den kilometerlangen Stadt-Stränden. Plusfaktoren, mit dem British Columbias (B.C.) größte City in knapp eineinhalb Jahren ihre Olympia-Gäste aus aller Welt für sich gewinnen will.
Es wird auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) bei der Vergabe der XXI. Winterspiele 2010 (12.– 28.2.) und der Paralympics (12. – 21.3.) gewiss beeindruckt haben, mit welchen Vorzügen die Region Vancouver - genauer: das Organisationskomitee VANOC - im Rahmen des Bewerbungskonzepts aufwartete. Doch nicht allein die Symphonie zwischen Großstadt und Natur, zwischen funkelnder Skyline und glitzerndem Meer im Schatten der Berge wird die IOC-Session veranlasst haben, der Perle am Pazifik den Zuschlag zu geben. Die Erwartungshaltung an die nicht nur in Chinatown gen Asien gerichtete Stadt nahe der US-Grenze ist groß.
Vancouver muss nach den aufgrund der weiten Distanzen kritisch bewerteten Winterspielen von Turin 2006 auch faktisch, das heißt organisatorisch, verkehrstechnisch wirtschaftlich und möglichst umweltfreundlich - überzeugen. Kein leichtes Unterfangen. Knapp 7.000 Aktive und Offizielle (inkl. der Paralympics) sowie rund 10.000 Medienvertreter aus aller Welt werden in die Region kommen, etwa zwei Millionen Zuschauer die Wettkämpfe live verfolgen - ein logistischer Kraftakt. Rund 20.000 freiwillige Helfer sollen zum reibungslosen Ablauf der Spiele beitragen.
Vancouver bringt sich in Stimmung. Dabei macht das derzeit noch allgegenwärtige Obdachlosenproblem den Stadt-Oberen enorm zu schaffen. Tausende leben auf der Straße, die meisten von ihnen sind drogensüchtig – da wird eine Gegend wie die rund um die East Hastings Street nahe des Medienzentrums zur Problemzone. Bei allen Vorzügen Vancouvers - das Straßenbild ist mancherorts kritisch und steht im krassen Gegensatz zur Harmonie, von der man sich als Besucher eigentlich einfangen lassen möchte.
Zudem spielt auch die nationale Vergangenheit eine Rolle, blickt man auf die Vorbereitungen in Vancouver und im 120 km entfernten Whistler, dem größten Skigebiet Nordamerikas und Schauplatz zahlreicher Wettbewerbe, insbesondere der alpinen Medaillenkämpfe, in den Coastal Mountains. Denn obwohl es bereits 1988 in Calcary olympische Winterspiele gegeben hatte, ist da immer noch die Erinnerung an die Blamage der Sommerspiele von Montreal 1976, die aufgrund eklatanter Fehlplanungen quasi auf einer Baustelle stattfanden. Aber das, so sagen sie in B.C. gerne mit einem Grinsen in Richtung Quebec, sei nicht nationale, sondern frankokanadische Historie.
(Diese) Geschichte werde sich laut VANOC sowieso nicht wiederholen. In die Infrastruktur sind nach offiziellen Angaben 580 Mio. US-Dollar geflossen – zu je 50 Prozent aus der kanadischen Staatskasse und dem Budget der Provinz British Columbia. Ein Etatvolumen, das anspornen soll: Die Neu- und Ausbauten der Olympia-Unterkünfte nebst Gebäude-Renovierungen sind, so verheißt es das Konzept, im Herbst 2009 abgeschlossen.
Die Zeremonienstätte (Eröffnungs- und Abschlussfeiern der Spiele und Paralympics wie auch Siegerehrungen) steht bereits: Das BC Place Stadium gehört schon lange zum Stadtbild Downtown Vancouvers. Eröffnet wurde die 55.000 Zuschauer fassende und derzeit im Jahr an rund 200 Tagen ausgelastete Arena 1983. Aktuell erfährt die noch immer über eine der weltweit modernsten Membrandachkonstruktionen verfügende Eventstätte eine Modernisierung. Ein – zum Glück ohne Personenschäden abgelaufener - Zwischenfall wie der teilweise Einsturz des Daches während eines Schneesturms im Januar 2007 bringt die Vancouverites nicht aus der Fassung. Es sei „nicht viel passiert“, erklärte geschwind ein Stadion-Manager, die Olympia-Vorbereitungen „nicht tangiert“. Tatsächlich liegt man im Plan: Die insgesamt neun Wettkampf-Schauplätze verteilen sich auf Vancouver (4), Whistler (3), West Vancouver und Richmond (je 1) sind überwiegend schon für Testwettbewerbe oder zu Trainingszwecken in Betrieb.
Dennoch wird in der Region – die vielen Baukräne zeugen davon – derzeit noch fleißig gebaut - und nicht immer ist Gästen wie auch Einheimischen sofort klar, ob die chirurgischen Eingriffe olympischen Hintergrund haben. Die beiden insgesamt rund 4500 Betten starken Olympiadörfer von Vancouver und Whistler werden im Anschluss am jeweiligen Standort in die bestehende Infrastruktur, also in Wohn-, Arbeits-, und Sportstätten eingegliedert. Die Ausbauten des markanten „VCEC“, des Convention Centers an der östlichen Uferpromenade Vancouvers, gehören zu den prägnantesten Baustellen: Hier, neben dem optisch hervorstechenden „Canada Place“ – Vancouvers Antwort auf die Oper in Sydney –, wird das Medienzentrum (MMC) sein. An den Lärm der startenden und landenden Wasserflugzeuge übrigens kann man sich gewöhnen – die lauten Motorgeräusche, die vom Naturhafenbecken herüberdringen, gehören regelrecht zum Sound der Stadt.
„Spiele der kurzen Wege“? Das ist eher Auslegungssache. Die Verkehrsplanung sei „weniger komplex“ als in Turin, erklärt VANOC-Generaldirektor John Furlong. Gleichwohl gilt es erneut, zwei olympische Dörfer logistisch miteinander zu verbinden – jenes in Vancouver-Zentrum und das in Whistler. Olympia-Touristen soll der Transfer zu den Events durch ein spezielles Park and Ride- System erleichtert werden.
Als Verbindungsstrecke dient der eigens für Olympia konzipierte „Sea-to-Sky-Highway entlang der Küste hinauf in die Berge. Wer die noch im Bau befindliche Strecke – übrigens auf dem ersten Stück identisch mit dem Zubringer nach Horseshoe Bay, einem der wichtigsten Fährhäfen auf dem Weg nach Vancouver Island – schon einmal gefahren ist, erkennt hier eine Schwachstelle im VANOC-Konzept. Olympia-Pendler, die per Shuttle-Bus die Route bewältigen müssen, sollten mit mindestens 90 Minuten Fahrtzeit rechnen, etwaige Wetter-Beeinträchtigungen nicht eingerechnet.
Kalkulieren lässt sich das Winterwetter am kanadischen Pazifik nicht immer präzise. Für die Kosten der Spiele gilt das augenscheinlich genauso: Auf rund 1,3 Milliarden US-Dollar war Vancouvers Gesamt-Budget von den Organisatoren und Zahlen-Experten des Organisationskomitees ursprünglich beziffert worden. Fast 430 Mio. Dollar speisten sich gemäß Finanzkonzept aus den vom IOC weltweit vermarkteten TV-Geldern (rund 3 Milliarden Zuschauer rund um den Globus). Die einkalkulierten Erlöse aus dem Ticket-Verkauf (Start: Herbst 2008) wurden auf rund 230 Mio. taxiert. Hinzugerechnet: Beträchtliche Sponsorengelder, Merchandising-Einnahmen sowie private und öffentliche Zuschüsse. Inzwischen ist nur klar, dass die Budgetierung von einst zu niedrig ausfiel. Über den Umfang der Mehrkosten wird spekuliert, seriöse Angaben indes gibt es nicht. „Verlust werden wir nicht machen“, ließ sich VANOC-Chef Furlong nach der Veröffentlichung des letzten Haushaltsplans im vergangenen Jahr zitieren.
Trotz mitunter kontroverser Diskussionen um das olympische Event, die Obdachlosensituation und die Finanzierung überwiegt die Vorfreude in der übrigens betont umweltbewussten Bevölkerung der Region Vancouver. Etliche Kultur- und Bildungsprogramme sind bereits bis ins Detail ausgerichtet auf die Winterspiele 2010, die atmosphärisch ein wenig an die Fußball-WM 2006 in Deutschland erinnern dürften: Gästen wie Einheimischen werden umfangreiche Public Viewing-Alternativen angeboten. Die heitere Stimmung könnte dabei trotz konträrer Temperaturen vergleichbar sein, denn Kanadier, insbesondere die Menschen in B.C., sind begeisterte Fans des Wintersports. Dieser sei „Teil unserer Kultur“, so John Furlong.
Dass diese Kultur am kanadischen Pazifik zudem stark indianisch geprägt ist, wird allein durch die Symbolik von Olympia-Logo und Maskottchen klar: Das Emblem stellt den Inukshuk dar, eine die Inuit würdigende Steinskulptur am Strand von West End. Und die drei Maskottchen, Quatchi, Miga und Sumi (Patron der Paralympics), entspringen der indianischen Mythologie, die in den sagenumwobenen Wäldern, an den wilden Stränden und in den Coast Mountains von B.C. allgegenwärtig ist. Doch, keine Sorge: Auch der olympische Geist wird sich frei entfalten können bei den Winterspielen 2010 in Vancouver.