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Unterwegs „in der olympischen und geteilten Welt“

Sven Güldenpfennig legt eine Biografie über den Olympiasieger im Ruder-Achter von 1968, Horst Meyer, vor.

DOSB Redaktion
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann

03.02.2025

Als Olympiasieger, zweifacher Weltmeister, vierfacher Europameister, siebenfacher Deutscher Meister und USA-Meister im Achter gehört Horst Meyer (1941 - 2020) als Ruderer zweifellos zu den erfolgreichsten deutschen Sportlern in den 1960er Jahren, wenn nicht sogar europa- und weltweit. Darüber hinaus zählt Horst Meyer mit seinen Ehrenämtern und hauptamtlichen Tätigkeiten zu den vielseitig engagierten Persönlichkeiten des deutschen Sports.

Das fing schon während seiner großartigen sportlichen Karriere an, als er bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko nicht nur mit dem Achter des Deutschen Ruder-Verbandes (DRV) die Goldmedaille errang, sondern auch als Athletenvertreter und Sprecher der Olympiamannschaft fungierte. Horst Meyer war danach von 1976 bis 1993 gewähltes persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland (NOK), einer der Vorgängerorganisationen des heutigen Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), und Gründungsmitglied des im NOK eingerichteten Beirates der Athleten. Er wirkte ebenfalls als Mitglied im Gutachterausschuss bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe; hier war er sogar ein Jahr lang hauptamtlich als Geschäftsführer für Personal und Finanzen zuständig.

Jetzt sorgt die posthum veröffentlichte Biografie des langjährigen Berliner Sport- und Kulturwissenschaftlers Sven Güldenpfennig (mit 81 Jahren zeithistorisch selbst aus der Meyer-Generation kommend) dafür, dass wir noch ganz andere, nämlich außersportliche Wege und Stationen aus dem vielschichtigen Leben des Hamburgers Horst Meyer kennenlernen oder uns daran noch besser zurückerinnern können. Mit der kurzweilen Lektüre sitzen wir - um ein sprachliches Bild aus dem Rudersport zu bemühen - mit Biograf Güldenpfennig und Schlagmann Meyer zusammen in einem Boot auf der langen „Fahrt durch die olympische und eine geteilte Welt“ (Untertitel des Werkes).

Bei dieser Fahrt erreichen wir ganz unterschiedliche und zum Teil außergewöhnliche Schauplätze aus dem Leben des Horst Meyer. Die Überschriften der „nur“ 13 Kapitel im Buch deuten diese Orte und damit zugleich die Wirkungskreise Meyers eindrucksvoll an. Er wuchs als „Kind des heißen und des Kalten Krieges“ (Kap. 2) in eher bescheidenen familiären Verhältnissen als Halbwaise auf und erhielt als 13 Jahre alter Junge den Spitznamen „Moppel“ angesichts seiner 70 Kilo Körpergewicht. Das „Sportpolitische Urerlebnis: Der Olympiaboykott“ (Kap. 6) gehört zu jenen Erfahrungen, auf die Horst Meyer und mit ihm alle anderen Athletinnen und Athleten nicht nur aus der Bundesrepublik Deutschland damals gern verzichtet hätten. Wenig später landet Meyer in der Welt der Wirtschaft: „Der Ökonom: Unternehmensberatung unter Einbeziehung der Belegschaften“ (Kap. 8), bevor das Buch fast ministrabel daherkommt: „Ein Staatsamt?“ (Kap. 9). Wir legen kurz an bei der gescheiterten „Olympiabewerbung Hamburg“ (Kap. 11) für das Jahr 2012 und rudern gegen Ende der langen, aber nie langweilen Buch-Bootsfahrt zurück: „Der alte Mann und das Hannoversche Meer“ meint den Maschsee, jene Haus-Ruderstätte des Hannoverschen Ruderclubs (HRC), auf der Horst Meyer mit der verschworenen Altherren-Gemeinschaft „SilverEagels“ als Spiritus Rector immer wieder gern auf dem Wasser unterwegs war – zuletzt im Oktober 2019, bevor er am 20. Januar 2020 plötzlich „aus dem blühenden, lebensfroh gelebten Leben heraus, ungeachtet einiger gesundheitlichen Beschwerden“ (S. 282) ausscheiden musste.

Sven Güldenpfennig zeichnet das Leben von Horst Meyer akribisch recherchiert und facettenreich aufbereitet nach. Der Welt-Begriff erlaubt es ihm dabei, die „olympische und geteilte Welt“ im Leben des Horst Meyer vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Ereignisse zu betrachten. Mehr noch und für eine Biografie eher ungewöhnlich: Güldenpfennig versucht zum Schluss in einer „Pro-Posthum-Perspektive“ Fragen zu stellen, die wir Horst Meyer nicht mehr vorlegen können: In „Horst Meyers mögliche Antworten“ spekuliert Güldenpfennig nicht nur über Meyers Position zum Ausschluss russischer und belarussischer Olympioniken, sondern auch über den Mehrwert der institutionellen Fusion im deutschen Sport, als 2006 das NOK und der Deutsche Sportbund, der im Dezember dieses Jahres 75 Jahre alt geworden wäre, zum DOSB vereint wurden …

Apropos DOSB: Der Autor bedankt sich bei einer Vielzahl von Persönlichkeiten, die ihm bei der Erstellung der aufwendigen Biografie geholfen haben, darunter befinden sich mit Ulrich Schulze Forsthövel und Sigrid Jürgens auch diejenigen, die im Hause des DOSB in Frankfurt für das Projekt „Gedächtnis des Sports“ langjährig verantwortlich zeichnen, ferner Reinhard Rawe als Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes Niedersachsen und das Team von Niedersächsischen Institut für Sportgeschichte (NISH), das inzwischen den Nachlass von Horst Meyer übernommen hat. Leider gibt es am Ende im Buch kein Personenregister: So müssen alle selbst danach suchen, in welchem Kontext Horst Meyer z.B. mit Thomas Bach, Fußballprofi Ewald Lienen (u.a. Arminia Bielefeld) und Gerhard Schröder „vernetzt“ war …

Alle, die jetzt immer noch zögern, ob sie die Lektüre des Buches angehen sollen, denen sei das Vorwort als eine zusätzliche Entscheidungshilfe empfohlen. Es stammt vom heute 70-jährigen Gunther Thiersch, der 1968 in Mexiko als 14 Jahre alter Gymnasiast im Goldachter als Steuermann dabei war und vielen noch als Wetterexperte im ZDF bekannt ist. Thiersch streift in seinem zweiseitigen Vorwort kurz das Prinzip „des mündigen Athleten“, das er unter seinem Rudertrainer Karl Adam (1912 - 1976) kennenlernen und praktizieren durfte. Er verweist beiläufig darauf, dass hinter jeder sportlichen Höchstleistung immer Menschen mit einer besonderen Persönlichkeit stehen - mehr noch und eher grundsätzlich ist Gunther Thiersch aber in Sorge, ob nicht das Prinzip der demokratischen Gleichberechtigung in der heutigen Welt auf der Verliererseite steht: „Vielleicht stellen sich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nach der Lektüre des Buches über Horst Meyer solche Fragen“ (S. 12).

Ganz zum Schluss: Das Buch wurde neulich mit geladenen Gästen im HRC-Clubhaus am Maschsee in Anwesenheit von Meyers Ehefrau Jutta Meyer-Siebert mit viel rührendem Applaus vorgestellt. Die Biografie verdient jetzt nicht nur viele Leserinnen und Leser. Clubhäuser und andere Bühnen eignen sich ganz hervorragend, das Buch im Rahmen von Lesungen zu präsentieren. So behalten wir die Persönlichkeit Horst Meyer ganz lebendig in Erinnerung und können uns so ganz nebenbei unserer eigenen Positionen im Sport und im sonstigen Leben neu vergewissern … der Erhalt demokratischer Werte sollte dabei immer mitbedacht werden!

Sven Güldenpfennig: Horst Meyer. Fahrt durch die olympische und eine geteilte Welt. Eine Biographie. Baden-Baden 2024: Nomos Verlagsgesellschaft. 306 S.; 49,00 Euro.

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