Umkämpfte Liebe
Afghanistan, Albanien, Irak, Eritrea, Mazedonien, Syrien: Über die Lage der Ligen und die Sportfavoriten in den Ländern, aus denen die Menschen nach Deutschland fliehen.

14.04.2016
Afghanistan, Favoriten: Cricket, Badminton
(31.382 Asylbewerber im Jahr 2015*)
Beim Cricket spielten die Taliban mit. Der einzige Sport, den die früheren Gewaltherrscher erlaubten, spielt in Afghanistan bis heute eine Sonderrolle. Trotzdem besteht inzwischen eine gewisse Vielfalt: Neben dem im gesamten asiatischen Raum beliebten Fußball entwickelte sich eine lebendige Badmintonszene – die von Spielerinnen dominiert wird. 300 Frauen schlagen derzeit organisiert übers Netz, geführt von einer Geschlechtsgenossin: Mustoora Arzo steht an der Spitze des einzigen Sportverbands des Landes, dessen federleichtes Thema speziell junge Mädchen begeistert und der, so will es Arzo, bald 1000 Frauen vereinen soll.
Albanien, Favorit: Fußball
(53.805 Asylbewerber im Jahr 2015*)
Diese Namen sind Zungenbrecher. Berat Djisili, Shkelzen Gashi, Nager Aliji, Migjen Basho und Taulant Xhaka spielen in der Schweizer Super League. Xhaka? Genau, da ist noch einer: Granit, in Gladbach. Er und die genannten Secondos – Kinder von in der Schweiz geborenen Migranten –bilden den Kern der albanischen Fußballnationalmannschaft, die unter dem italienischen Trainer Giovanni di Biasi Zweiter ihrer EM-Qualifikationsgruppe wurde, hinter Portugal. Auf nach Frankreich, die Nation war selig. Nun fiebert sie dem ersten Kontinentalvergleich entgegen. Ein Fieber, das die Protagonisten anderer Sportarten (v)erblassen lässt, auch in den relativ populären Disziplinen Basketball, Volleyball und Sportschießen.
Irak, Favoriten: Fußball, Futsal, Gewichtheben
(29.784 Asylbewerber im Jahr 2015*)
Mexiko ist weit weg, die WM-Teilnahme 1986. Aber die Erinnerung an Jakarta, den Gewinn der Asienmeisterschaft 2007, ist präsent, etwa in Form eines Monuments in Bagdad. Der Fußball im Irak nährt sich davon, denn die Gegenwart ist eher karg, trotz namhafter Trainer wie Zico oder Wolfgang Sidka. Dafür ist Futsal ein Schlager. Die Tore müssen ja nicht in der Halle stehen, unter freiem Himmel ist reichlich Platz für das technisch anspruchsvolle Spiel auf relativ engem Raum. Wer weiß, vielleicht wird es irgendwann olympisch und macht Gewichtheben und Taekwondo Konkurrenz, in denen der Irak meist vertreten ist bei den Spielen. Im Kraftsport hob Abdul Wahid Aziz einst sogar Bronze: in Rom 1960, noch länger her als Mexiko.
Eritrea, Favorit: Langstreckenlauf
(10.876 Asylbewerber im Jahr 2015*)
Der Alltag ist hart in Eritrea, geprägt von Armut und einem nur formal demokratischen Regime. Der Sport Nummer eins ist es auch: Langstreckenlauf. Die Vorliebe dafür teilen die Bewohner des ostafrikanischen Landes mit ihrem südlichen Nachbarn, ausgerechnet: Äthiopien ist der politische Feind, war jahrzehntelanger Gegner im Unabhängigkeitskrieg. Aber zum Laufen braucht’s halt wenig bis nichts Materielles, und spätestens seit Zersenay Tadese 2004 in Athen Bronze über 10.000 Meter holte, wissen die Kids, dass lange Wege zum Ruhm führen können. Wie das Marathongold von Ghirmay Ghebreslassie, damals 19, bei der WM 2015 in Peking bestätigte. Beliebt ist in Eritrea auch Radsport, seinerseits ein Erbe der italienischen Kolonialherren. Drei Eritreer fahren aktuell für ein südafrikanisches Profiteam.
Mazedonien, Favorit: Handball
(9083 Asylbewerber im Jahr 2015*)
In Barcelona ist er einer unter vielen Handballstars, doch wenn der 35 Jahre alte Kiril Lazarov durch Skopje läuft, kommt er kaum voran. Autogramme, Selfies. Der Profi mit dem beeindruckenden linken Armzug wird in der Heimat gefeiert wie ein Popstar. Dank seiner Tore haben sich die mazedonischen Handballer zuletzt für fast alle großen Turniere qualifiziert – obwohl das Land nur zwei Millionen Einwohner hat. Handball ist Nationalsport, hat Fußball abgelöst, von anderen Sportarten ganz zu schweigen.
Syrien, Favorit: Basketball
(158.657 Asylbewerber im Jahr 2015*)
Ja, Syrien kannte mal ein Sportsystem. Vor dem Bürgerkrieg gab es eine professionelle Basketball-Liga mit dominierenden Teams in Damaskus und Aleppo, wobei sich der Verband damals manches bei den erfolgreichen türkischen Kollegen abschaute. Zudem bewegte der Fußball die Massen. Jedenfalls der in der heimischen Liga, denn die Nationalmannschaft war selten erfolgreich. Auch die herausragende Sportgröße des Landes spielte Basketball, sie war Nationalspielerin – dann aber wechselte Ghada Shouaa zur Leichtathletik und gewann 1996 in Atlanta Gold im Siebenkampf.
*Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, offiziell gestellt Asylanträge
(Quelle: Sportdeutschland - Das Magazin 1/2016)