Traineroffensive: Prämie, Gehaltsanpassung und Paradigmenwechsel
„Wir haben viele hervorragende, engagierte und leidenschaftliche Trainer, die alles dafür tun, dass ihre Athletinnen und Athleten bestens betreut werden", sagte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper nach einer Debatte im Sportausschuss.

28.01.2009

"Problematisch sind allerdings die Bedingungen, unter denen die Spitzensporttrainer teilweise arbeiten müssen. Zwischen 1997 und 2008 hat es beispielsweise keine Vergütungsanpassung gegeben, keine Lohnerhöhungen. Erstmals ist es im vergangenen Jahr gelungen, eine Gehaltssteigerung von sieben Prozent draufzulegen. Mit den Mitteln, die uns das Parlament im Zuge der Haushaltsberatungen bereitgestellt hat, haben wir dann auch noch 60 neue Trainerstellen geschaffen. Wir brauchen diese Positionen, denn für den sportlichen Erfolg ist ein harmonisches Dreieck absolut entscheidend: das Talent des Aktiven, die Sportanlage als Trainingsstätte und ein kompetenter und qualifizierter Trainer“, so Vesper weiter.
Dr. Vesper war mit Thomas Sinsel (Ressortleiter Olympische Sommersportarten) und Michael John (Ressortleiter Wissenschaft), beide Ressortleiter des Geschäftsbereichs Leistungssport im DOSB, am 21. Januar in den Sportausschuss des Deutschen Bundestages gekommen. Auf der Tagesordnung stand das Thema „Stellenwert der Trainer im deutschen Spitzensport“. Im Rahmen der Besprechung, die nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages keine Anhörung war, führte die IOC-Aktivensprecherin und das neue IOC-Mitglied Claudia Bokel aus: Verlangt werde von diesem Berufsstand ein fachspezifisches Know-how, „ein hoher Grad an Spezialisierung“, daneben aber auch pädagogische, medizinische und leistungsdiagnostische Kenntnisse; überdies seien generelle Erfahrungen nötig, damit auch das gesellschaftliche Umfeld des Athleten eingebettet werden kann. Claudia Bokel: „Der Trainer ist auch häufig der Busfahrer, er bucht das Hotel und checkt bei Wettkämpfen die örtliche Infrastruktur ab.“ Geringe Karrierechancen, ungünstige Arbeitszeiten und eine unangemessene Vergütung kennzeichneten die Nachteile im Alltag eines Trainers im Spitzensport.
Keine Trainer-Interessenvertretung
Dr. Lutz Nordmann, Direktor der in Köln ansässigen Trainerakademie des DOSB, unterstrich: Der Austausch des Wissens und der Erfahrungen von Trainern und Wissenschaftlern auf höchstem Niveau und über die Grenzen einzelner Sportarten oder Disziplinen hinaus sei eminent wichtig. Sogenannte Wissensarbeiter würden mehr als siebzig Prozent ihrer Entscheidungen auf der Basis „impliziter Wissens- und Erfahrungsbestände“ treffen, die in keinem Lehrbuch stehen. Ein Manko sei auch, dass es keine Interessensvertretung von Trainern gibt. Wichtig sei auch ein hohes Maß an Sozialkompetenz. „Er muss wissen, wie ein Knie aufgebaut ist, aber nicht wissen, wie man es operiert.“ Die Trainerakademie, so erläuterte Dr. Nordmann, bilde seit 1972 Diplomtrainer aus; es sei eine staatlich anerkannte Ausbildung nach Regelungen des Landes Nordrhein Westfalen. Zugangsvoraussetzung sei die A-Lizenz. Die meisten Bewerber kämen mit einen Hochschulabschluss nach Köln, was allerdings nicht zwingende Voraussetzung sei. Die ehemalige thüringische Eisschnelllauf- Dauersiegerin Gunda Niemann-Stirnemann sei Absolventin des im Frühjahr endenden Ausbildungsabschnitts. Jürgen Mallow, Mitglied des Beirats Leistungssportentwicklung des DOSB, auch Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, machte deutlich: „Es gibt kein einheitliches Berufsbild für Trainer.“ Zum Anforderungsprofil deutscher Spitzensporttrainer meinte er: „In Bayern nennt man so etwas Eier legende Wollmilchsau.“ Da es zuwenig Stellen gebe, komme es zu einer Überforderung. Trainer seien abhängig von Sport-funktionären und natürlich auch von ihren Athleten: „Das sind Abhängigkeiten, die sich in Disbalancen auswirken.“ Wesentlich abhängig seien sie von der öffentlichen Bewertung, einerseits im internen Zirkel des Sports, andererseits auch durch Presse, Funk und Fernsehen. Dennoch seien die meisten Trainer hochidealistisch und kämen mit vorhandenen Problemen des Anforderungs-Mixes durchaus zurecht.
Cheftrainer trägt die Verantwortung
„Es gibt ein sehr großes Massenträgheitselement im System“, konstatierte Trainingswissenschaftler Prof. Joachim Mester von der Deutschen Sporthochschule Köln. Er wies darauf hin, ein qualitativer Veränderungsprozess, um die deutschen Defizite zu lösen, überhaupt Reformschritte dürften nicht von unten beginnen. Der ehemalige Rektor: „Wir müssen das Problem von der Spitze aus lösen. Benötigt werden allseits kompetente Bundestrainer oder Chefcoachs, die ein breites Grundlagenwissen haben. Diese Allrounder müssen dann den Mittelbau in den Bundes- und Olympiastützpunkten anleiten und zu einer höheren Qualität führen. Der Cheftrainer trägt die Verantwortung. Er muss in der Lage sein, die wissenschaftlichen Teilbereiche zu übersehen: Biomechanik, Psychologie, Pädagogik usw.; und er muss befähigt sein, sein Team zu führen. Da er natürlich nicht auf allen Feldern ein Spezialist sein kann, sollte er deshalb Experten zu Rate ziehen. Der Profifußball, etwa TSG Hoffenheim oder Bayern München, zeigen, wie man es richtig macht.“
Prof. Ansgar Thiel, Sportwissenschaftler von der Universität Tübingen, gab einen Überblick über seine vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderte Trainerstudie. Das Forschungsprojekt lief von April 2006 bis September 2008. Einige der Erkenntnisse der Befragung von 1.812 Trainerinnen und Trainer und 616 Funktionsträgern: Rund ein Viertel der Trainer arbeitet auf Honorarbasis; über die Hälfte der im Angestelltenverhältnis Beschäftigten verdient weniger als 3.000 Euro monatlich; angestellte Trainerinnen erhalten durchschnittlich 1.000 Euro weniger als die männlichen Kollegen. Und: „Ein bedeutender Teil der Trainer muss neben der Trainertätigkeit einem anderen Beruf nachgehen, für einen großen Teil der Trainer ist ein anderer Beruf sogar die Haupterwerbsquelle.“
Vergütungsanpassungen für 2010 geplant
Dr. Michael Vesper betonte, die vom DOSB vor zweieinhalb Jahren ausgerufene Traineroffensive habe zum Ziel, an einigen Stellschrauben zu drehen: 2010 sollte es eine Vergütungsanpassung für Toptrainer geben, für die der Bund im Rahmen der Etatberatungen die notwendigen Mittel bereitstellen müsste; mit dem Bundesinnenministerium seien hierüber im Vorfeld des Haushaltsfeststellungsverfahrens schon Gespräche geführt worden. Daneben sollte ein Trainerpreis ausgelobt werden. Drittens sprach er sich für eine Erfolgsprämie als „leistungsbezogener Anreiz“ aus, die allen Trainern, die an einem Medaillenerfolg beteiligt waren, gezahlt werden sollte. Für eine Goldmedaille sollte etwa ein Betrag von 50.000 Euro ausgelobt werden. Dr. Vesper: „Diese Prämie sollte nicht allein dem Cheftrainer zustehen, sondern es müsste auch der Heim- und Stützpunkttrainer monetär beteiligt werden.“
Der Vorsitzende des Sportausschusses, Dr. Peter Danckert, bilanzierte am Ende der Besprechung: Die Sportpolitiker des Bundes wollten nunmehr den „frustrierenden Wiederholungszwang“ stoppen; schließlich habe sich die Situation in den letzten dreißig Jahren, wie eine Durchsicht der Ausschussprotokolle ergebe, nicht graduell verändert. „Wenn das so weitergeht, dann ist die Lösung der Trainerproblematik in der Hand des Sports nicht gut aufgehoben“, stellte der SPD-Parlamentarier fest. „Es darf nicht so weiterlaufen, dass der Sport auf seine Autonomie pocht und dabei nichts geregelt bekommt, und wir im Bundestag pumpen parallel dazu sehr viele Steuergelder in die Trainerfinanzierung.“ Der organisierte Sport habe das Problembündel Trainervergütung, Qualifizierung, Weiterbildung und Steuerung bisher nicht lösen können. „Im Umfeld eines jeden Hochleistungssportlers muss es ein Team von höchstqualifizierten Leuten geben“, fasste Dr. Danckert die Debatte im Paul-Löbe-Haus zusammen. Die Sportpolitiker müssten gemeinsam mit dem DOSB und dem Bundesinnenministerium jetzt sehr schnell neue Lösungswege aufzeigen; vielleicht sollte ein sogenannter Schutzschirm Sport aufgespannt werden. Dr. Danckert: „Ansonsten klettert der Spitzensport immer weiter auf den absteigenden Ast nach unten. Es ist ein Weck- und Warnruf, dass sehr schnell gehandelt wird.“ Dr. Vesper erwidert: „Dass Herr Danckert erst jetzt die Trainerproblematik erkennt, wundert uns doch sehr - wir weisen seit zwei Jahren immer wieder darauf hin. Eine Verstaatlichung bietet keinen Ausweg. Nur die enge vertrauensvolle Zusammenarbeit der Politik und des autonomen Sports kann und wird helfen.“
Konzepte der Verbände gefordert
Klaus Riegert, Sportsprecher der Unionsfraktion, erklärte nach der Sitzung, die Vergütungsanhebung für Trainer der Fachverbände sollte mit einer Mittelsteigerung im Bundeshaushalt 2010 abgesichert werden. Er setze sich nach wie vor für eine Erfolgsprämie, wie vom DOSB vorgeschlagen, ein; allerdings sei der Koalitionspartner SPD dagegen. „Trainer ist nicht gleich Trainer“, führte Riegert aus. „Der Großteil unserer Fachverbände hat doch gar nicht die finanziellen Ressourcen, um einen Trainerstab wie beim Fußballbundesligisten TSG Hoffenheim oder wie rund um den erfolgreichen US- Schwimmstar Michael Phelps zu finanzieren. Jeder Verband sollte ein eigenes Konzept vorlegen, welche Qualitätssprünge für Spitzentrainer durchgeführt werden müssten. Das kann der DOSB als Dachorganisation und Serviceeinrichtung für die Spitzenverbände doch gar nicht leisten. Und ein anderer Dauerbrenner der Diskussionen, der ewige Streit bzw. die Konfliktkonstellationen zwischen Heimtrainer und Bundestrainer, erfordert endlich eine Lösung.“
Winfried Hermann, Sportexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, resümierte: „Hohe Erwartungen, semiprofessionelle Strukturen.“ Der ausgebildete Sportlehrer und Autor mehrerer didaktischer Publikationen für den Schulsport meinte, der DOSB müsse jetzt ein Reformkonzept vorlegen, in dem junge kompetente Wissenschaftler und „neue Netzwerke“ eine Rolle zu spielen hätten. „Michael Vesper sagt jetzt schon unverblümt: Wenn wir in London 2012 eine Geige spielen wollen, brauchen wir für die Spitzentrainer mehr Geld. Allerdings muss nicht die Politik das Trainerproblembündel lösen. Der Sport hat jetzt plausible Lösungsansätze vorzulegen; erst dann können wir mehr staatliche Mittel in die Finanzierung stecken.“ Damit wandte sich Hermann entschieden dagegen, dass der Staat mitentscheidend das Zepter des Handelns in der Hand halten sollte, und widersprach somit der Einschätzung des Ausschussvorsitzenden Dr. Danckert.