„Trainer sind der Schlüssel für die Zukunft“
Als Sportstadt – „Stadt mit Kick“ – präsentierte sich Wiesbaden, die zum ersten Male vom Bund Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) als Austragungsort für den Internationalen Trainer-Kongress (ITK) vom 28. bis 30. Juli 2008 ausgewählt worden war.

14.08.2008

Die hessische Landeshauptstadt bot dabei allerbeste Voraussetzungen mit den Rhein-Main-Hallen für die Vorträge und der Brita Arena – Heimstätte des Zweitligisten SV Wehen Wiesbaden – für die Praxiseinheiten. Es war ein Kongress der kurzen Wege und einer wunderbaren Gastfreundschaft für die über 1.000 Fußballtrainer. Das Leitthema des ITK 2008 lautete: „Taktische Trends der EURO 2008 und ihre Auswirkungen auf die Trainingsarbeit.“ 1.050 Fußballtrainer, davon 40 ausländische Gäste aus 23 Nationen, bedeuten eine Rekordbeteiligung, auf die BDFL-Präsident nicht ohne Stolz bei der Eröffnung hinwies. Der Berufsverband, der kürzlich sein 4.000 Mitglied begrüßen konnte, überschritt erstmals die 1.000-Teilnehmer-Marke bei einem ITK in seiner 51-jährigen Geschichte.
Die DFB-Sportlehrer Bernd Stöber, Frank Wormuth, Erich Rutemöller und Frank Engel präsentierten zum Kongress-Start ihre Erkenntnisse und Ergebnisse der EURO 2008. Im taktischen Bereich konnten wenige Innovationen konstatiert werden. Erfolgreich war am Ende des Turniers die Mannschaft mit den besten Einzelspielern und der größten taktischen Variabilität. Die Lehre für die Ausbildung von Spielern kann deshalb auf die Formel gebracht werden: individuelle Klasse fördern und diese Fähigkeiten dann für die Mannschaft einsetzen. „Das ist ein lebender Prozess", meinte Bernd Stöber, der im Hinblick auf die deutsche Nationalmannschaft bei der EM „hier und da noch Defizite" sah. Dem Team habe die Konstanz gefehlt, die die Spanier das ganze Turnier über ausgezeichnet habe: „Nun ist es an uns, uns mit typisch deutschen Tugenden heranzuarbeiten." BDFL-Vizepräsident Felix Magath: „In jedem Land wird anders gespielt, die Mentalität spiegelt sich im Fußball wider. Die Deutschen haben nicht immer den besten, aber oft den erfolgreichsten Fußball gespielt.“ Deutschlands zweimaliger „Trainer des Jahres“ möchte taktische und Systemfragen nicht zum Dogma erheben, favorisiert selbst aber das Spiel mit zwei Spitzen: „So spielt man am flexibelsten nach vorne. Grundsätzlich bestimmen aber die Spieler, die man zur Verfügung hat, die Taktik.“ Dass bei der EURO 2008 von den meisten Topteams auf ein System mit nur einem echten Angreifer zurückgegriffen wurde, ist laut Magath vor allem dem ergebnisorientiertem Denken bei einem Großereignis geschuldet: „Damit haben die Trainer versucht, das defensive Potenzial der Mannschaften zu erhöhen.“ Generell sei es leichter, Abwehrarbeit zu verrichten – und auch, diese als Trainer zu vermitteln.
Am zweiten Kongress-Tag referierte DFB-Sportlehrer Jörg Daniel über „Das Torhüterspiel bei der EURO 2008 – Konsequenzen für das Training?“ als Abschluss der DFB-EURO-Analyse. Darüber hinaus informierten die beiden DFB-Ausbilder Bernd Stöber (B- und A-Lizenz) und Frank Wormuth (Fußball-Lehrer) über die Neuerungen in der Trainerausbildung des DFB. Wormuth: „Trainer müssen ihr Leben lang lernen.“ Wer die höchste deutsche Trainerlizenz erwerben will, die als UEFA-Pro-Lizenz zugleich dazu berechtigt, Teams in allen europäischen Topligen zu führen, müsse sich inzwischen einer deutlich praxisbezogeneren Ausbildung unterziehen. Fußball muss dabei immer der rote Faden in der Trainerausbildung sein, so die Ausbilder.
Am Dienstagvormittag standen die Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum eines Bundesligisten (Bodo Menze, Leiter der Nachwuchsabteilung von Schalke 04) und die Zertifizierung der Nachwuchsleistungszentren der 1. und 2. Bundesliga (Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann, Uni Erlangen) im Mittelpunkt des Programms. Im Bereich der Talentförderung hat Deutschland internationale Maßstäbe gesetzt. Parallel wurde von den Teilnehmern unter fachkompetenter Leitung (Peter Starzmann, Ramon Berndroth) über Vorstellungen zur Gestaltung eines Trainings im Ablauf einer Woche im mittleren/oberen Amateurbereich diskutiert. An den beiden ITK-Nachmittagen übten die Demogruppen vom SV Wehen Wiesbaden in der „Brita-Arena“ mannschaftstaktisches Abwehr- und Angriffsverhalten mit unterschiedlichen Themenschwer-punkten. Auch der Spielaufbaun und das Herausspielen von Torchancen stellten einen Schwerpunkt bei den Praxisdemonstrationen dar. Diese Übungsformen, die den Trainern handfeste praktische Anleitungen für das eigene Training liefern sollen, wurden von den ITK-Teilnehmern auf der Westtribüne der Brita-Arena aufmerksam und dankbar aufgenommen.
Der Schlusstag hielt einige Höhepunkte für die Trainer bereit: Der Mittwoch bildete auch in Wiesbaden den krönenden Abschluss eines erfolgreichen ITKs. Zunächst referierte Volker Finke (Ex-Trainer SC Freiburg) mit eindrucksvollen Bildern über „Die Euro 2008 aus der Sicht des Trainers und TV-Kommentators“ und hielt ein Pladoyer für effektiven Kombinationsfußball. Danach gab Ralf Rangnick (Cheftrainer TSG 1899 Hoffenheim) in seinem Vortrag über „Die Bedeutung der taktischen Ausbildung im Fußball aus der Sicht des Profitrainers“ den Trainerkollegen wertvolle Tipps und verdeutlichte, wie taktisches Verhalten im Spiel umgesetzt und im Training vermittelt werden kann. Rangnick machte sich für die inhaltlich hochwertige Arbeit des BDFL stark: „Der Beruf des Trainers hat in Deutschland nicht den Stellenwert wie im europäischen Ausland. Das liegt nicht nur an den Medien, sondern auch an unserer eigenen Identität. In den letzten 40 Jahren waren wir sicher prägend als Turniermannschaft, aber im taktischen Bereich waren wir eben nur selten die Trendsetter.“
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit Volker Finke, Matthias Sammer, Ralf Rangnick und Heiko Herrlich unter der souveränen Moderation von Marcus Jung (Premiere) über „Die Erkenntnisse der EURO 2008 und deren Auswirkungen auf die Trainingsarbeit“ gingen die Meinungen doch auseinander, und es wurde stellenweise kontrovers diskutiert. Es war eine Gesprächsrunde mit Format, mit breitem Fachwissen aller beteiligten Trainer und somit für die Zuhörer eine Bereicherung zur eigenen Meinungsbildung. Matthias Sammer betonte die Eckpunkte seiner Erfolgsphilosophie, in deren Mittelpunkt immer der Trainer steht. „Die Trainer sind der Schlüssel für die Zukunft des Fußballs“, sagte Sammer. Für den DFB-Sportdirektor haben bei der EM gerade auch die starken spanischen Defensivspieler den Ausschlag zum Erfolg gegeben. Sammer: „Die Zukunft des Spiels liegt in der Ausbildung der Innenverteidiger, die immer häufiger, bedingt durch das Mittelfeld-Pressing des Gegners, eine aktive Rolle beim Spielaufbau übernehmen müssen.“ Der Triumph der deutschen U19-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Tschechien war auch Gesprächsthema beim 51. ITK. „Dieses Ergebnis zeigt, dass der deutsche Fußball seine Hausaufgaben gemacht hat“, sagte BDFL-Präsident Horst Zingraf vor dem Plenum. „Es wurden schon vor einigen Jahren die Grundlagen geschaffen, die jetzt die ersten Erfolge bringen.“