Zum Inhalt springen

Rückschau auf die Paralympics in Peking

Das war er, Teil zwei der alle vier Jahre abgehaltenen sommersportlichen Leistungsschau. Die Paralympics, vor nicht allzu langer Zeit allenfalls Randnotizen, wurden in Peking auf eine neue Stufe gestellt.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

24.09.2008

Die Herzlichkeit in China war wie erwartet, der Aufwand der Organisatoren „abenteuerlich“, wie der deutsche Chef de Mission Karl Quade feststellte, und die öffentliche Wahrnehmung so groß wie noch nie. Volle Stadien und gute Stimmung auf den Zuschauerrängen begeisterten die Sportler. Die Medien im Land der Mitte und auch in Deutschland berichteten häufiger denn je. Sicher waren auch die Paralympics eine professionell inszenierte Werbeshow der chinesischen Staatsführung, doch 4.000 Sportler aus 150 Nationen, darunter 170 Deutsche, haben mit 472 Entscheidungen in 20 Sportarten beigetragen, dass Menschen mit einer körperlichen Funktionseinschränkung anders wahrgenommen werden, gerade innerhalb von China. 

14 Goldmedaillen für das deutsche Team

Wie bei den zwei Wochen vorher zu Ende gegangenen Olympischen Spielen, wurde auch bei den Paralympics vor allen Dingen Gold gezählt. Diesmal konnte Karl Quade, auch Vizepräsident des Deutschen Behinderten-Sportverbandes (DBS), 14 Striche in dieser Spalte des Medaillenspiegels ziehen. Etwas zu wenig für seinen Geschmack. Den Anfang machte in Hongkong Dressurreiterin Britta Näpel aus dem rheinland-pfälzischen Wonsheim, deren Handikap spastische Lähmungen in Beinen und Rumpf sind. Später legte ihre querschnittsgelähmte Kollegin Hannelore Brenner (Petersau) in Pflicht und Kür zwei weitere Goldmedaillen für die deutsche Reit-Equipe nach und wurde damit erfolgreichste deutsche Teilnehmerin. 

Die eifrigsten Goldschürfer waren mit fünf Erfolgen die Leichtathleten, wo es indes die meisten Entscheidungen gab. Wurfspezialistin Marianne Buggenhagen (Berlin) gewann für sie selbst überraschend mit 55 Jahren und bei ihren fünften Paralympics die neunte Goldmedaille. Diesmal siegte die Rollstuhlfahrerin im Diskus mit Weltrekord (27,90 Meter). Es sollen die letzten Spiele für Buggenhagen gewesen sein, die 1994 vor Franziska van Almsick und Steffi Graf zu Deutschlands „Sportlerin des Jahres“ gewählt worden war, bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne trug und sagte: „Ich habe als Behinderte viel erreicht, vielleicht wäre mir das als Nichtbehinderte nicht gelungen.“ Seine vierte paralympische Goldmedaille gewann der oberschenkelamputierte Wojtek Czyz (Kaiserslautern) im Weitsprung. Vor vier Jahren in Athen noch dreifacher Sieger, konzentrierte er sich nach langer Verletzungspause in Peking auf die Sandgrube, worin er im ersten Versuch prompt bei 6,50 Meter landete - ein weiterer Triumph mit Weltrekord. Eine Sensation war der Sieg im 200-Meter-Rennen der Unterschenkelamputierten durch Katrin Green (Leverkusen). Der sehgeschädigte Matthias Schröder (Berlin) gewann Gold nach 49,45 Sekunden über 400 Meter, und schließlich siegte Rollstuhlfahrerin Martina Willing (Brandenburg) sechs Tage nach Silber im Kugelstoßen noch im Speerwerfen (23,99 Meter). 

Schlag auf Schlag ging es im Radsport: Nach Silber und Bronze auf der Bahn triumphierte Wolfgang Sacher (Penzberg, armamputiert) auf der Straße im Zeitfahren über 24,8 Kilometer. Duplizität der Ereignisse: Auch Michael Teuber (München, inkomplette Querschnittslähmung) gewann nach Bahn-Silber das ersehnte Gold im Zeitfahren. Die dritte Goldmedaille für die deutschen Radsportler steuerte Handbikerin Andrea Eskau (Magdeburg) bei, die nach 36,3 Kilometern 13 Hundertstel vor der Niederländerin Monique van der Vorst lag.

Schwimmer enttäuschten

Enttäuschend war das Abschneiden der deutschen Schwimmerinnen und Schwimmer. Mit nur einmal Gold, dreimal Silber und fünfmal Bronze bei 140 Entscheidungen im „Wasserwürfel“ mussten sie die Überlegenheit anderer Nationen anerkennen. Heraus ragte Kirsten Bruhn (Neumünster, inkomplette Querschnittslähmung), die die Konkurrenz im Finale über 100 Meter Brust in 1:36,92 min deklassierte, im Vorlauf Weltrekord geschwommen war und insgesamt fünf Medaillen gewann, die meisten im deutschen Team. 

Im Tischtennis durchbrach Jochen Wollmert die chinesische Phalanx. Der mit einer Versteifung der Fuß- und Handgelenke geborene Solinger gewann sein Einzelfinale gegen den Chinesen Chaoqun Ye mit 3:1 Sätzen - und wurde nach der Live-Übertragung im chinesischen Fernsehen ständig auf der Straße angesprochen. Und schließlich steuerten die Segler noch eine Goldmedaille bei. Die Berliner Jens Kroker, Robert Prem und Siegmund Mainka siegten vor Qingdao in der Sonar-Klasse. 

Neben den Goldmedaillengewinnern gab es weitere deutsche „Gesichter“ dieser Paralympics. Für Aufmerksamkeit sorgten zum Beispiel die kleinwüchsige Chemnitzerin Maria Götze, die zu Silber und Bronze schwamm, oder die sehgeschädigten Judo-Zwillinge Ramona und Carmen Brussig (Schwerin), die Silber respektive Bronze erkämpften. Oder die deutschen Rollstuhlbasket-ballerinnen, die die erste Medaille seit 20 Jahren gewannen und im Finale den USA unterlagen. Und vor allem Tischtennisspieler Rainer Schmidt, 43 Jahre alter Paralympics-Veteran, schon 1992 Sieger und 16 Jahre später Fünfter. Der „Ohnhänder“ (Schmidt über Schmidt) und Pfarrer war als Aktivensprecher stets mit klugen Sätzen präsent, als Spieler ohne Arme im Tischtennisland China gefragt - und blieb ohne Zugriff auf seine ganz offenbar blockierte Webseite.

Zwischenfälle und Ärgernisse 

So verliefen die Peking-Paralympics nicht ohne Zwischenfälle und Ärgernisse. Seine Goldmedaille wieder gegen Silber eintauschen musste der querschnittsgelähmte Schwimmer Thomas Grimm (Berlin) - an den zuvor wegen zu vieler Tauchzüge zu Recht disqualifizierten Mexikaner Pedro Rangel. Das skandalöse Urteil war eine delikate Angelegenheit für das Internationale Paralympische Komitee (IPC): Nur wegen eines IPC-Formfehlers und eines übereifrigen Kampfrichters, der das „falsche“ Ergebnis schnell an der Anzeigetafel veröffentlicht und damit eine „Tatsachen-Entscheidung“ geschaffen hatte, kam der Mexikaner zu Gold. Auch positive Doping-Tests gab es, und der DBS musste beschämt von einem in eigenen Reihen berichten: Rollstuhlbasketballer Ahmet Coskun hatte ein Haarwuchsmittel mit einer verbotenen Substanz genommen und war bei einer Trainingskontrolle erwischt worden.

DBS zeigt sich zufrieden mit Ergebnis 

In rein sportlicher Hinsicht war man beim DBS „zufrieden“ mit dem „so erwarteten“ Abschneiden. Dabei konnte die anvisierte Verbesserung des achten Rangs im Medaillenspiegel von Athen nicht erreicht werden; diesmal sprang mit 14 Gold-, 25 Silber- und 20 Bronzemedaillen Rang elf heraus. Die 59 Medaillen bedeuteten zwar die zahlenmäßig siebtbeste Ausbeute, übertünchen aber nicht, wo die Unterschiede zu besseren Nationen liegen. Die Professionalisierung hat den Behindertensport eingenommen. China - das 211 Paralympics-Medaillen, darunter 89-mal Gold, per Staatsplan einfuhr - mal außen vor gelassen, sind Großbritannien (102/42), die USA (99/36), die Ukraine (74/24) oder Australien (79/23) der Maßstab. Länder, in denen Behindertensportler wie Profis trainieren können, langfristig freigestellt und finanziell ausreichend unterstützt werden. Nur wenn die deutschen Paralympioniken professioneller sporten können, wenn auch hier Eliteschulen, neue Trainingszentren, mehr hauptamtliche Trainerstellen geschaffen und die Athleten durchgängig in den leistungsmäßig nahen „normalen“ Spiel- und Wettkampfbetrieb eingebunden werden, können sie international konkurrenzfähig bleiben und Helden werden - und so auch als Repräsentanten einer viel größeren Gruppe deren Wahrnehmung Stück für Stück verändern.

Title

Title