Paralympics in Peking vom 6. bis 17. September
Es ist erst 20 Jahre her, seit Seoul 1988, dass die Paralympics stets nach den Olympischen Spielen am selben Ort ausgerichtet werden.

03.09.2008

Seitdem haben sich die Weltspiele der Athleten mit einer körperlichen Funktionseinschränkung zum zumindest zahlenmäßig zweitgrößten sportlichen Weltereignis hochgeschraubt. Die Organisatoren der XIII. Sommer-Paralympics vom 6. bis 17. September in Peking erwarten rund 4.000 Sportler sowie 2.000 Betreuer aus 150 Nationen. In 20 verschiedenen Sportarten, von Bogenschießen bis Tischtennis, wird an 18 Wettkampfstätten um Medaillen gekämpft. Die Sportstätten sind die gleichen wie zwei Wochen vorher, und wie bei Olympia werden auch die Segel- und Reitwettbewerbe auswärts in Qingdao respektive in Hongkong ausgetragen. 30.000 Freiwillige sollen an den zwölf Wettkampftagen im Einsatz sein, denn es werden auch 1,5 Millionen Zuschauer und 4.000 Pressevertreter erwartet. ARD und ZDF wollen im Tageswechsel 88 Stunden lang berichten, so viel wie noch nie und vor allem in Live-Übertragungen am Nachmittag und Zusammenfassungen am Vorabend. Auch Eurosport zeigt einige Events live und fasst zusammen.
471 Medaillenentscheidungen
Die beeindruckenden Zahlen dürfen nicht täuschen. Abseits der Paralympics fristet der so genannte Behindertensport immer noch ein stiefmütterliches Dasein. „Danach wird es wieder ruhig um uns. Und das ist sehr schade“, sagt Goalballerin Conny Dietz (46), die in Peking zum sechsten Mal bei Paralympics startet und deren schwungvolle Entwicklung aktiv miterlebt hat. Erst 1984 wurde die Bezeichnung „Paralympics“ vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) bestätigt. Als Erstauflage gelten die 1960 in Rom ausgetragenen „9. International Stoke Mandeville Games“.
Es gibt beim Megaevent Paralympics indes auch Zahlen, die rückläufig sind. Zum einen die der Medaillenentscheidungen. 471 wird es in Peking geben. 1992 in Barcelona waren es noch 621, 2004 in Athen 525. Der Rückgang liegt an der ständigen Reduzierung der Wettkampfklassen in den einzelnen Sportarten und Disziplinen. Denn zusätzlich zu den übergeordneten Kategorien – Sehgeschädigte; stehende Sportler mit einem Körperhandikap, zum Beispiel Amputierte; Rollstuhlfahrer; Sportler mit spastischer Lähmung – werden je nach Grad des Handikaps weitere Unterteilungen vorgenommen. Wobei zunehmend Athleten mit unterschiedlichen Handikaps, aber ähnlichen Bewegungspotenzialen zusammengelegt werden. So werden die paralympischen Wettbewerbe übersichtlicher und auch medienfreundlicher.
Kleineres deutsches Team
Auch das deutsche Team hat seine Größe reduziert. Nahmen 2004 in Griechenland noch 211 deutsche Sportlerinnen und Sportler teil, wurden für die Peking-Paralympics 103 Männer und 67 Frauen nominiert. Hinzu kommen 106 Personen aus dem Funktionsteam, darunter Trainer, Ärzte und Betreuer. „Unsere Mannschaft ist deutlich kleiner als noch vor vier Jahren in Athen“, sagt Karl Quade, Vizepräsident des Deutschen Behinderten-Sportverbandes und Chef de Mission in Peking, „dort hatten sich mehr Mannschaften qualifiziert“. Diesmal treten im Fünfer-Fußball der Sehgeschädigten, im Goalball der Männer sowie im Sitzvolleyball der Frauen und Männer keine deutschen Teams an.
2004 belegte Deutschland im Medaillenspiegel mit 19 Gold-, 28 Silber- und 32 Bronzemedaillen den achten Rang. Prognosen für 2008? „Wir wollen nicht nur die Goldmedaillen zählen, sondern eine tolle Mannschaftsleistung erbringen“, lautet die Devise von Karl Quade. Favorit auf den Gewinn der Länderwertung ist wie bei Olympia das Ausrichterland. Chinesen gelten fast in allen Sportarten als Medaillenkandidaten. Schon 2004 gewannen sie 141-mal Edelmetall (63 Gold-, 46 Silber-, 32 Bronzemedaillen) und führten damit die Nationenwertung an. Ein auf 2008 ausgerichtetes Sichtungssystem brachte 27.000 Behindertensportler im Reich der Mitte hervor. Auch diesmal müsse „der Rest der Welt damit auskommen, was China übrig lässt“, sagt Quade. DBS-Sportdirektor Frank-Thomas Hartleb will nach Rang zehn in Sydney und Rang acht in Athen „unseren Aufschwung weiter fortsetzen“.
Deutsche Medaillenhoffnungen
Mit zu den größten Hoffnungen zählen die Rollstuhl-Basketballerinnen, die als Europameisterinnen anreisen. Leichtathlet Wojtek Czyz (Kaiserslautern) will seinen Triumphzug von Athen am besten wiederholen. Vor vier Jahren gewann der heute 28-Jährige dreimal Gold über 100 Meter, 200 Meter und im Weitsprung. In Peking startet der Oberschenkelamputierte über 100 Meter und im Weitsprung. Im Radsport peilt Michael Teuber (40) die Titelverteidigung im Zeitfahren und im Straßenrennen an. Während der inkomplett querschnittsgelähmte Münchner mit eingeschränkter Beinfunktion auf erneute Goldjagd geht, will der Cottbusser Stefan Bäumann (38) im Handbike und in den gleichen Disziplinen mit seinen Händen als Weltmeister zum ersten Paralympics-Sieg kurbeln. Im Segeln sind die Aussichten für Heiko Kröger (Kiel) gut. Der 42-Jährige, dem der linke Unterarm fehlt, gewann bereits in Sydney Gold in der Bootsklasse 2.4mR. Im Tischtennis ist zum Beispiel der 30 Jahre alte Kölner Holger Nikelis favorisiert. Der Rollstuhlfahrer holte bereits in Athen Gold. Ein guter Tipp ist auch die querschnittsgelähmte Schützin Manuela Schmermund (36, Mengshausen/Hessen), die in Athen Gold mit dem Luftgewehr gewann.
Leistungsniveau ist stark angestiegen
Im Judo gehen sehgeschädigte Zwillinge aus Schwerin als Favoritinnen auf die Matte. Carmen Brussig (31) im Superleichtgewicht bis 48 kg als Weltmeisterin, ihre Schwester Ramona bis 57 kg als Europameisterin und Titelverteidigerin. „Ich möchte alles geben, um den Erfolg zu wiederholen. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber vielleicht ist es möglich“, sagt Ramona Brussig und weist so auf das in vielen Sportarten schier explodierte Leistungsniveau hin. Um mithalten zu können, schuften viele Paralympioniken heute wie Olympiastarter. Schwimmerin Kirsten Bruhn (38, Neumünster) berichtet: „Eine halbe Stunde Krafttraining“ nach dem Aufstehen, „dann mindestens zwei Stunden Wasser und danach noch einmal zwei Stunden Kraft“. Im Trainingslager war sie vier bis fünf Stunden pro Tag im Wasser – macht zwischen 40 und 50 Kilometer Schwimmen in der Woche. Heraus kommen dann knapp 34 Sekunden auf 50 Meter mit einer Querschnittslähmung. Im National Aquatics Center von Peking, dem Wasserwürfel, zählt sie so zu den aussichtsreichsten Deutschen. Die mehrfache Weltrekordlerin gewann in Athen Gold über 100 Meter Brust sowie drei weitere Medaillen und betrieb schon vor einem Motorradunfall 1991 Leistungssport. Sie sagt: „Der paralympische Sport hat sehr, sehr viel mehr Herz. Es gibt ein näheres, liebevolleres Beisammensein zwischen den Menschen. Irgendwie sind wir durch den Schicksalsschlag, den wir erlitten haben, oder dadurch, dass wir von Geburt an körperlich gehandikapt sind, ein bisschen nachdenklicher, ein bisschen dankbarer. Und das macht sich bemerkbar.“