Olympia-Vorbereitungen in Kienbaum auf vollen Touren
Kienbaum - das Sprungbrett nach Peking. Klaus-Peter Nowack, der Geschäftsführer des Bundesleistungszentrums vor den Toren Berlins, reibt sich die Hände, denn die Anlage ist bis zum letzten Bett ausgebucht.

20.02.2008
Und das wird auch in den kommenden Wochen und Monaten nicht anders sein. Ein Großteil der deutschen Spitzenathleten, die die Olympischen Spiele im Visier haben, wollen nämlich hier in der Abgeschiedenheit der wald- und seenreichen märkischen Landschaft ihre Vorbereitungen auf den Höhepunkt der Saison treffen.
Den Anfang hatten zu Jahresbeginn die Judo-Frauen um die Potsdamer Olympiasiegerin Yvonne Bönisch gemacht. Mitte Februar folgen nun die Turner und Turnerinnen einschließlich der Trampolin-Kandidaten, um sich, wie es DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam formulierte, in einem Kick-Off auf das einzustimmen, was sie in der nächsten Zeit erwartet. Komplette Anwesenheit ist Pflicht. Das gilt sowohl für Fabian Hambüchen und das gesamte WM-Bronzeteam als auch für Oksana Chusovitina und Katja Abel, selbstverständlich die beiden Cheftrainer Andreas Hirsch und Ulla Koch, die in ihren Statements die Richtung und Ziele vorgeben, wobei zwei Medaillen, wie Willam im jüngsten „Kienbaum-Journal“ formulierte, durchaus realistisch sein sollten.
Kienbaum ist für viele die erste Adresse
„Für uns ist und bleibt Kienbaum die erste Adresse, was auch die 1.600 Übernachtungen pro Jahr eindeutig bestätigen“, erklärte der DTB-Sportdirektor. „Die Ruhe ist das Allerwichtigste, denn nur so kann sich jeder auf das Wesentliche konzentrieren. Das war vor der erfolgreichen WM in Stuttgart so, und das wird vor Peking nicht anders sein.“ Deshalb zeigten sich die Verantwortlichen auch sehr froh darüber, dass rechtzeitig zum Auftakt des ersten gemeinsamen Trainingslagers in diesem Jahr ein neuer Bodenbelag in die Halle eingebracht wurde, der identisch mit dem in Peking verwendeten ist. Gleiches gilt auch für die anderen Wettkampfgeräte, so dass im Vorfeld nichts unversucht gelassen wurde, um den Turnern die allerbesten Voraussetzungen zu schaffen.
Werferhaus mit Gummiwänden
Die fast komplette Werfercrew des Deutschen Leichtathletik-Verbandes mit Diskus-Weltmeisterin Frank Dietzsch und dem WM-Zweiten Robert Harting an der Spitze ist zum gleichen Zeitpunkt anwesend. Für sie steht sogar ein offiziell angemeldeter Wettkampf auf dem Programm, der als Qualifikation für den Winter-Challenge-Cup in Split herangezogen wird. Hierbei erhoffen sich die Trainer Aufschlüsse darüber, wie gut in den vergangenen Monaten gearbeitet wurde und wo noch Defizite zu beheben sind. „Zum Glück gibt es in Kienbaum ein Werferhaus, so dass wir witterungs-unabhängig sind“, meinte Chefcoach Jürgen Schult. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, in einer Halle an eine vorhandene Gummiwand zu werfen, mit entsprechend präparierten Speeren, Disken und sogar Hämmern. Wer hat so etwas schon zu bieten?
Beklagen können sich auch die Bogenschützen nicht über entsprechende Trainingsmöglichkeiten. Für sie, die ebenfalls in diesen Tagen ihren gesamten A/B-Kader zu Lehrgangsmaßnahmen zusammengezogen haben, wurden eigens wind- und wettergeschützte Unterstände gebaut, damit selbst bei etwaigem Regen ein sicherer Abzug ihrer Pfeile gewährleistet ist.
Kanuten lieben die idealen Bedingungen
Vor allem die Kanuten haben Kienbaum und den unmittelbar angrenzenden Liebenberger See in ihr Herz geschlossen. „Und somit auch die Anlage von Anfang an geprägt“, sagt Jens Kahl, der Sportdirektor im DKV. „Der große Vorteil besteht darin, dass wir hier weder durch Motorbootfahrer, Segler oder Surfer gestört werden. Sogar mit dem Wind und den Wellen lässt es sich wegen der geschützten Lage gut leben.“ Und Andreas Dittmer, der dreimalige Kanadier-Olympiasieger und achtfache Weltmeister, ergänzt: „Zu den idealen Gegebenheiten auf dem Wasser kommen auch noch die Möglichkeiten im Kraftraum sowie die medizinische beziehungsweise physiotherapeutische Versorgung hinzu. Außerdem ist das gesamte ansässige Personal geradezu umwerfend freundlich und zuvorkommend.“ Was auch viele andere Athleten bestätigen, beispielsweise die Volleyballer, die ihren Abschlusslehrgang auf das alles entscheidende Olympia-Qualifikationsturnier im Mai in Leipzig ebenfalls nach Kienbaum verlegt haben.
Sommerfest am 14. Juli als Verabschiedungsfeier der Athleten
Für den Vorsitzenden der Trägergemeinschaft, Dr. Hans-Georg Moldenhauer, hat alles Priorität, was den Athleten nutzt. „Wir sind permanent mit den Trainern und Aktiven im Gespräch, um ihnen die beste Ausstattung zu gewährleisten. Wo immer neue Details oder moderne Dinge wie Startanlagen, Messelemente oder Kältekammern entwickelt werden, sind wir am Ball. Bei unseren Entscheidungen legen wir allerdings besonderen Wert auf eine Zusammenarbeit mit dem FES, IAT und den Olympiastützpunkten. Erfreulicher Weise gab es bei unseren Wünschen für dringend benötigte Anschaffungen auch noch nie Probleme mit dem Bundesinnenministerium. ‚Alles für die Sportler’ lautet stets unsere Devise.“
Ganz besonders stark wird die Drängelei in den kommenden Sommermonaten sein, denn ein Großteil der Olympia-Teilnehmer will ihre unmittelbare Wettkampfvorbereitung in Kienbaum treffen. Weil das so ist, wird das für den 14. Juli geplante Sommerfest auch gleichzeitig zur Verabschiedungs-Feier der sich in Kienbaum vorbereitenden Peking-Fahrer umfunktioniert, zu dem Innenminister Wolfgang Schäuble, der DOSB-Generaldirektor Dr. Michael Vesper, sowie andere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Sport erwartet werden.
Fünf Fragen an Dr. Hans-Georg Moldenhauer, Vorsitzender des Trägervereins Bundesleistungszentrum Kienbaum und DFB-Vizepräsident
DOSB PRESSE: Einst Kaderschmiede des DDR-Spitzensports, heutzutage von vielen Athleten als Deutschlands Trainingszentrum Nummer eins bezeichnet. Sind Sie mit der bisherigen Entwicklung von Kienbaum zufrieden?
MOLDENHAUER: Diese Frage muss mit einem uneingeschränkten, klaren „Ja“ beantwortet werden. Im letzten Jahrzehnt gab es dank der finanziellen Unterstützung durch das BMI eine Vielzahl von Neu- und Umbauten. So entstanden die dringend benötigte Mehrzweckhalle, ein allen Ansprüchen gerecht werdender Kraftraum, ein Funktionsgebäude für die Kanuten und drei moderne Pavillons. Die große Spiel- und Schwimmhalle wurde abgerissen, entkernt und von Grund auf wieder errichtet, ebenso die Mensa einschließlich des gesamten Tagungstrakts sowie die finnische Sauna. Darüber hinaus erhielt auch der Wohnbereich von Kienbaum II eine Komplettsanierung, wo mehr als 200 Übernachtungsmöglichkeiten bestehen.
DOSB PRESSE: Das bedeutet eigentlich, es ist alles im Bundesleistungszentrum am Liebenberger See getan.
MOLDENHAUER: So ist das nicht. Stillstand bedeutet Rückschritt. Zu den bisherigen zehn Fachverbänden (Leichtathletik, Turnen, Kanu, Triathlon, Tischtennis, Bogenschießen, Volleyball, Behindertensport, Eisschnelllauf, Bob und Schlitten), die derzeit dem Trägerverein angehören, wollen sich demnächst noch weitere hinzugesellen, unter anderem die Judoka, Gewichtheber und Handballer. Deshalb müssen wir nach Erweiterungen trachten. Die Gelder für eine Renovierung der alten, in die Jahre gekommenen Halle in Kienbaum II sind bereits bewilligt gewesen, doch auf Grund des Bad Reichenhaller Unfalls haben Fachleute, bzw. Architekten festgestellt, dass das bisherige Dach nicht mehr den derzeitigen Sicherheits-Bestimmungen einer Schneebelastung entspricht, so dass auch hier ein Neubau zwingend notwendig wird. Im Moment laufen
Überlegungen, was in dieser Frage zu tun ist.
DOSB PRESSE: Nun wird sich allerdings in absehbarer Zeit in bezug auf den Status von Kienbaum einiges verändern. Wie sehen Sie die Situation?
MOLDENHAUER: Eigentlich ganz gelassen, denn im Grundsatz wird alles beim alten bleiben. Die vor drei Jahren per Gesetz geschaffene Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BlmA genannt, die sämtliche Rechte und Aufgaben der einstigen Bundesvermögensverwaltung übernommen hat und damit als Hausherr für die Verwertung auch dieser Liegenschaft zuständig ist, wird künftig unser erster Ansprechpartner sein. Ende des Jahres soll eine vertragliche Vereinbarung über alle anstehenden Probleme wie Personal-, Unterhaltskosten und bauliche Veränderungen getroffen werden. Wir sind zwar dann Mieter der BlMA, werden aber weiter vom Bund gefördert und unterstützt.
DOSB PRESSE: Sicherlich wird bei den anstehenden Verhandlungen auch die Unterdruckkammer, eine vom DDR-Sport unter größter Geheimhaltung entstandene Anlage zur Vermehrung von roten Blutkörperchen, ein Thema sein.
MOLDENHAUER: Es gab eine Zeitlang heftige Diskussionen darüber, ob die Anlage wieder aktiviert werden sollte, denn es wäre kein Problem, sie funktionstüchtig zu machen und in Gebrauch zu nehmen. Doch die meisten Fachverbände winkten ab. Jetzt existieren Überlegungen, ob im Anschluss an die von der Zeitgenössischen Stiftung geplanten Drei-Monats-Ausstellungen in Leipzig beziehungsweise Bonn über die Vergangenheit des DDR-Sports so etwas ähnliches oder gar ein Museum in Kienbaum entstehen sollte, das zu bestimmten Anlässen für Besuchergruppen geöffnet werden könnte. Vorerst wollen wir aber mit Wissenschaftlern und Historikern eingehende Gespräche führen, was sie zu unseren Überlegungen sagen und welche Vorschläge sie hätten, um nicht in den Verruf zu gelangen, die Kammer und die Dopingpraktiken des DDR-Sports miteinander zu verquicken.
DOSB PRESSE: Nach Peking ist vor Berlin – oder anderes ausgedrückt, auf die Olympischen Spiele folgen im nächsten Jahr als absoluter Höhepunkt die Leichathletik-Weltmeisterschaften in der deutschen Hauptstadt. Welche Rolle wird Kienbaum dabei spielen?
MOLDENHAUER: Dieses Bundesleistungszentrum ist in aller erster Linie eine Stätte des bundesrepublikanischen Spitzensports. Deshalb werden weder in der Zeit vor noch während der WM, was bereits ins Kalkül gezogen wird, nur deutsche und keine ausländischen Athleten hier trainieren. Das ist mit dem Verband ganz klar abgesprochen. Wir werden auch darüber hinaus darauf achten, dass eine ungestörte Vorbereitung garantiert ist, wenngleich wir unsere anderen Spitzenverbände deshalb nicht aus Kienbaum verbannen werden. Alle Voraussetzungen sind für die Leichathleten geschaffen worden. Es existiert sogar in Kienbaum II eine blaue Bahn, die in Güte und Farbe der im Berliner Olympiastadion entspricht, so dass eine Assimilation gegeben ist.
Leider machen bislang die Fußballer einen Bogen um die Anlage, abgesehen von einigen Nachwuchsmannschaften, obwohl auch sie hervorragende Bedingungen hier vorfänden. Sicherlich gibt es genügend Fußballschulen in Deutschland, aber mitunter werden auch Argumente hervorgebracht, dass Kienbaum irgendwo im Wald und zu weit weg liege, fast schon in Polen, was keineswegs stimmt. Das Bundesleistungszentrum liegt zwar am Wald und dazu an einem schönen See, aber bis Berlin und zu den beiden Flughäfen Tegel und Schönefeld sind es noch nicht einmal eine knappe Stunde Fahrzeit.