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„Nie wieder“ – Erinnerungstag im deutschen Fußball

Die Deutsche Fußball Liga und die Klubs gedenken am 28. Januar der Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus. Ein Interview mit Ernst Grube, der Häftling im Konzentrationslager Theresienstadt war.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

26.01.2011

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee der Sowjetunion die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Auf dieses Datum fällt jedes Jahr der Internationale Gedenktag für die Opfer des Holocaust und des Nationalsozialismus.

Am Spieltag um den 27. Januar 2011 (28. bis 31. Januar 2011) erinnert die Initiative „Nie Wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball“ zusammen mit der DFL Deutsche Fußball Liga und den Klubs bundesweit bis in die Regionalligen an die Verfolgten und Ermordeten der Nazidiktatur. 

Schon zum siebten Mal engagieren sich am „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ Vereine, Faninitiativen, Fanprojekte, Spieler, Trainer und Einzelpersönlichkeiten mit kreativen Aktionen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im Fußball und in der Gesellschaft.

Das folgende Interview mit dem jüdischen Fußballer und Zeitzeugen Ernst Grube ist als Beitrag für Stadionmagazine gedacht. Es schlägt die Brücke zwischen damals und heute. Grube, 78 Jahre, war von Februar bis 8. Mai 1945 als Zwölfjähriger zusammen mit seinen beiden Geschwistern und seiner Mutter Häftling im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt (heute Tschechien). Wer nicht dort schon ermordet wurde, den trieben die SS-Schergen in Auschwitz ins Gas. Die Befreiung der überlebenden Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 rettete ihm und seiner Familie das Leben. Ernst Grube lebt heute in München. Er spielte von 1947 bis 1951 in den Jugendmannschaften von TSV München von 1860 und Helios München als linker Verteidiger. Er ist Malermeister und Stellvertretender Präsident der Lagergemeinschaft Dachau.

FRAGE: Ernst Grube, warum bist Du nach Deiner Befreiung aus dem KZ Theresienstadt durch Soldaten der Roten Armee zu den „Sechzigern“ gegangen?

ERNST GRUBE: Der TSV München von 1860 war damals ein richtiger Arbeitersportverein. Ich fand das gut, und da wollte ich hin. Fußballspielen war für meine Altersgenossen und mich die Freizeitbeschäftigung schlechthin. Für mich persönlich bedeutete das Fußballspielen im Verein, dass ich gleichberechtigt war und akzeptiert wurde. Das war für mich ein ganz neues Gefühl. In der Nazizeit erlebte ich fast nur Ausgrenzung. Ich durfte weder in die Schule gehen, noch in einem Verein Fußball spielen.

FRAGE: Als Du dann von Theresienstadt nach München zurückgekommen bist und gekickt hast, wie war das für Dich nach Ausgrenzung und Diskriminierung?

GRUBE: Unglaublich schön. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben frei und von Gleichaltrigen angenommen gefühlt. „Elf Freunde sollt ihr sein!“ Das hört sich heute altmodisch an. Für  mich war der Satz klasse. Ich habe ihn aufgesogen und gelebt. Für mich war der Teamgeist in meiner Mannschaft gut für meine Seele, und aus diesem Grund habe ich auch besser gespielt.

FRAGE: Rechtsradikale und Neonazis melden sich wieder stärker in den Stadien und um die Fußballplätze herum zu Wort. Sie treten als Biedermänner in Vereine ein oder gründen neue und verbreiten dort ihre Botschaften. Und öffentlich zeigen sie sich auch.

GRUBE: Ja, ich bekomme das eins-zu-eins mit. Da wird gesungen „Auschwitz ist eure Heimat. Eure Häuser sind die Öfen.“ – „Wir bauen euch eine U-Bahn bis nach Auschwitz.“ Diese Sprüche machen mich erst mal fassungslos. Das ist schockierend. Ich will nicht wahrhaben, dass 66 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz Fußballfans diese menschenverachtenden Parolen ihrem sportlichen Gegner entgegen brüllen. Es macht mich vor allem aber auch traurig. Es erinnert mich an meine Kindheit. Als jüdisches Kind wurde ich von Gleichaltrigen und Älteren ausgegrenzt und als „Judensau“ beschimpft. Aber dann kommt in mir eine starke Wut hoch. Diese menschenverachtenden Parolen, die teilweise da im Stadion gebrüllt werden, dem muss etwas entgegengesetzt werden, von den Vereinen, von den Fußball-Verbänden, von der Politik, von den Fans. Am besten wäre es, die echten Fans würden sich dagegen zur Wehr setzen. Und auch die Vereinsbosse.

FRAGE: Hast Du Vorschläge?

GRUBE: Wenn Fangruppen rassistische Parolen brüllen, zum Beispiel gegen afrikanische Spieler der gegnerischen Mannschaft, dann muss der Schiedsrichter oder der Stadionsprecher sich einmischen. Er muss sich diese Provokationen im Namen seines Vereins verbitten und die Zuschauer auffordern, diesen Sprechchören ein Pfeifkonzert entgegen zu setzen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass der Schiedsrichter das Spiel unterbricht, die beiden Spielführer zu sich bittet und ihnen mitteilt, er werde das Spiel abbrechen, wenn die diskriminierenden Parolen nicht gestoppt werden. Ich glaube, das hat der DFB in seinem Schiedsrichter-Regelwerk jetzt so festgelegt.

FRAGE: Macht es für Dich Sinn, wenn vor einem Fußballspiel oder in der Halbzeitpause der Stadionsprecher die Fans anspricht und sie auffordert, der Opfer der Nazidiktatur zu gedenken und sich heute gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zur Wehr zu setzen?

GRUBE: Natürlich macht es Sinn. Wir erleben heute einen zunehmenden Rassismus. Dieser speist sich unter anderem aus der Gewalt. Gewalt erleben wir leider immer wieder in den Fußballstadien. Sie richtet sich meist gegen den sportlichen Gegner, aber vor allen gegen Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen – wir erleben vermehrt Intoleranz. Hier hat das Erinnern an die Verbrechen der Nazis – an das billigende Verhalten der meisten Bürger – eine  große und wichtige Bedeutung. Wir müssen jeder Form von Gewalt, Intoleranz und Rassismus, in welcher Form auch immer, entgegentreten.

 

Autoren: Schulz/Schultz

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