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Mein Inneres war dabei, sich aufzulösen

Burnout bei Spitzensportlern: Das Beispiel der Fußballerin Sarah Günther zeigt, dass Leistungssportlern oft psychologische Betreuung fehlt, doch das Angebot ist gering.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

07.03.2012

Sarah Günther ist immer noch aufgebracht, wenn sie von ihrer aktiven Zeit beim 1. Frauen Fußball Club (FFC) Frankfurt berichtet. Mit 22 Jahren, als hoch motivierte und aufstrebende Spielerin, kam sie 2005 vom Hamburger Sportverein nach Frankfurt. „Umworben und geradezu auf Händen getragen“, beschreibt sie ihren damaligen Empfang in einem der begehrtesten Clubs im Frauenfußball. Verlassen habe sie den Frankfurter Verein als nervliches Wrack, mit der Diagnose Burnout. Dass ihr Leben noch eine glückliche Wende gefunden habe, verdanke sie ihrem unbändigen Leistungswillen und dem Impuls eines ehemaligen Trainers, der erkannt habe, dass die Spielerin psychologische Hilfe benötigte. „Mein Inneres war schon dabei sich aufzulösen. Ich dachte, Sarah Günther verschwindet jetzt einfach“, erzählt sie heute, gut drei Jahre nachdem sie eine Psychotherapie als Überlebenschance begriffen habe. Aber wie konnte es soweit kommen?

Vom Verein im Stich gelassen

Die Nationalspielerin passte nach ihrem Vereinswechsel zunächst gut ins Team – gehörte sie doch zu den Leistungsträgerinnen. Anfang 2006 verletzte sie sich im Training allerdings so schwer, dass sie fast für zwei Jahre ausfiel. „Die Sehnenplatte unter dem Fuß war abgerissen“, sagt Günther, „und es war erst nicht klar, wie behandelt werden sollte.“ Sie arbeitete hart an ihrem Comeback, auch wenn sie sehr unter dem Auf- und Ab ihrer Beschwerden litt, sie die Sehnsucht nach dem Fußball und die Einsamkeit schmerzte. In Frankfurt war sie auf sich gestellt, die Familie in Bremen viel zu weit weg, um ihr in ihrer seelischen Not beizustehen.

Monate vergingen und Therapien wurden ausprobiert, bevor feststand, dass eine Operation unumgänglich sei. „Die Kosten dafür wollte der Verein tragen. Das wurde mir zugesagt“, so Günther. Damit fasste sie wieder Mut. Die Sportlerin fühlte sich unterstützt, zumal sie sich in der Ausbildung zur Physiotherapeutin befand und der Rechnungsbetrag über 2.000 Euro für sie eine enorme Last dargestellt hätte. Aber diese Last blieb ihr nicht erspart.

Als sie die Rechnung einreichen wollte, habe das Vereinsmanagement sie einfach abgefertigt, sagt sie. Sie sei auf den Kosten sitzengeblieben. „Da ist aller Glaube von mir abgefallen. In den nächsten Monaten hat mich der Verein völlig allein gelassen“, erzählt sie, „jeden Tag musste ich den Berg neu erklimmen und mir selbst Mut zu reden.“ Immer mehr sportliche Begleiter verließen sie. Sie solle froh sein, so hätten ihr die Vereinsverantwortlichen vermittelt, dass man sie überhaupt noch unter Vertrag hätte – mit dieser Verletzung. „Halt habe ich nur noch in meiner Ausbildung gefunden“, sagt die Athletin heute. „Wenn ich die nicht gehabt hätte… .“

Körperlich fit, aber psychisch erledigt

Trotz allem kämpfte sie sich Ende 2007 zurück aufs Fußballfeld. Mit spielentscheidenden Verteidigungsszenen, Wohlwollen und Schulterklopfen endete ihr erster Einsatz gegen Potsdam – sie dachte, sie habe es geschafft. Doch auch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Danach habe sie nur noch Minuteneinsätze bekommen. Bis heute betrübt sie, dass nie jemand mit ihr über die Gründe gesprochen habe, warum sie kaum eingesetzt wurde. „Ich dachte immer es liegt an mir, ich muss noch mehr Einsatz zeigen, noch härter trainieren“, sagt sie. Vergebens. Eine Wende hat sie danach nicht mehr geschafft, wenngleich sie nach einem Trainerwechsel neue sportliche Chancen nutzte. Ihre verfahrene Situation im Verein und im Team habe sie nicht mehr ausgehalten. 2010 verließ sie den Club – körperlich fit, aber psychisch erledigt. Ausgebrannt, weil sie bis dahin ihre gesamte Situation alleine habe stemmen müssen, erzählt Günther.

Siegfried Dietrich, Vereinsmanager des 1. FFC, kann die Position der ehemaligen Spielerin nicht nachvollziehen. „Wir haben immer wieder Gespräche geführt und Sarah Günther dort geholfen, wo sie es zugelassen hat“, sagt er. „Für ihre privatärztliche Behandlung hat sie sich selbst entschieden. Eine feste Zusage der Kostenübernahme für die Operation gab es nicht.“ Zum Schluss sei man aber, dem Empfinden des Managers nach, einvernehmlich auseinander gegangen. Die Ursache für das Burnout sehe er eher in der Doppelbelastung von Ausbildung und Leistungssport und dem damit verbundenen Zeitmanagement, sagt Dietrich. „Sie war ein Supertalent und hätte es bei besserer Gesundheit auch wieder in die Nationalmannschaft schaffen können.“

Inzwischen hat Sarah Günther ihre Leistungssportkarriere beendet. Der Fußball fehle ihr zwar sehr, sagt sie, das Vereinsumfeld und die Nationalmannschaft indes nicht. Die Ehe mit der ehemaligen Spielerin Wiebke Werlein hat für sie 2010 den neuen Lebensabschnitt eingeleitet.

Trainer kommen oft Fürsorgepflicht nicht nach

Was Sarah Günther erlebt hat, könne auch anderen Athleten passieren, unabhängig von der Sportart, sagen Experten. Einerseits, weil die psychologische Betreuung von Spitzensportlern immer noch zu wenig berücksichtigt werde. Andererseits, weil der Erfolg oft vor dem Individuum stehe. Was also muss sich ändern, damit die Helden des Sports nicht nur die Arena, sondern auch ihr Leben meistern können? Dem Leistungsgedanken abzuschwören sei nicht die Lösung, sagt Suzanna Maric, Psychotherapeutin vom Institut für Integrative Psychotherapie in Friedrichsdorf. „Die Leistung ist von allen erwünscht, aber man muss sie von Beginn an betreuen.“

Maric, die auch Sarah Günther behandelt hat, arbeitet bereits seit mehr als 20 Jahren als Therapeutin mit Sportlern. In ihrer Praxis sehe sie, dass Trainer der Fürsorgepflicht für die Sportler oft nicht nachkämen. „Mentales Training und psychologische Unterstützung müssen im Hochleistungssport einfach dazu gehören“, sagt Maric. Aber anstatt die positiven Effekten des mentalen Trainings zu nutzen, sei die Zusammenarbeit mit Sportpsychologen oft angstbesetzt. Wenn überhaupt ziehe man das mentale Training oft erst als letztes Mittel zur Leistungsoptimierung hinzu, um etwa die höhere Toleranz gegen körperliche Belastungen oder bessere Konzentrationsfähigkeit zu erreichen. „Dass Leistungsblockaden aber tiefere Ursachen haben, bedenkt kaum jemand“, sagt die Therapeutin.

Die Kopfarbeit sei indes die Basis für die nötige mentale Stärke und Härte im Leistungssport, meint sie. „Die Sportler müssen früh lernen, sich abzugrenzen und nicht zu viel Wert auf die Meinung anderer zu legen.“ Dazu bräuchten sie auch Menschen, die sie unterstützten und auf deren Schweigepflicht sie bauen könnten. „Im Grunde bräuchten wir eine zentrale Anlaufstelle für Spitzensportler in seelischer Not“, fordert Maric. Sie kooperiert mit dem Olympiastützpunkt Hessen, der als Serviceeinrichtung für Athleten eine erste Anlaufstelle sein kann. Auch andere Olympiastützpunkte arbeiten mit Psychologen zusammen. „Aber“, so sagt die Therapeutin, „das Angebot deckt bei weitem nicht den Bedarf ab.“

(Quelle: DOSB/Yvonne Wagner)

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