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Kritischer Geist mit hoher Frustrationstoleranz

Triathlon-Präsident Martin Engelhardt ist neuer DOSB-Vizepräsident. Sein Ziel: den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports auf ein neues Level zu heben.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

10.12.2024

Die Antwort auf die Bitte um ein Interview kommt prompt, und sie lässt tief blicken. Zwischen 6.00 und 7.20 Uhr am nächsten Morgen sei ein ungestörtes Telefonat gut einzurichten, lässt Professor Martin Engelhardt wissen. Das macht zumindest eine Frage obsolet, die sich mit Blick auf die vielen Verpflichtungen gestellt hatte, die der 64-Jährige in seiner Bewerbung um die Vizepräsidentschaft im DOSB aufgelistet hatte: Wie schafft er es bloß, so viel Inhalt in so wenig Tag hineinzupressen? 

„Ich bemühe mich immer um eine gute Organisationsstruktur“, sagt Martin Engelhardt also, als man ihn am nächsten Morgen um 6.40 Uhr auf dem Mobiltelefon erreicht. Die Mitgliederversammlung des DOSB in Saarbrücken, auf der sich der Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU) am Samstagnachmittag hauchzart mit 236 zu 227 Stimmen gegen den bayrischen Landessportverbandspräsidenten Jörg Ammon durchgesetzt hatte, ist nicht einmal 48 Stunden her. Engelhardt sitzt in seinem Büro im Klinikum Osnabrück, wo er als Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie noch immer in Vollzeit arbeitet. Er ist bereits seit mehr als zwei Stunden auf den Beinen. 

„Ich stehe jeden Tag um 4.30 Uhr auf, bin um spätestens 6.00 Uhr in der Klinik und arbeite erst einmal alles ab, was in meinen Ehrenämtern aufgelaufen ist“, sagt er. Sechs Stunden Schlaf pro Nacht sind sein Maximum, „früher habe ich mir nur vier bis fünf gegönnt.“ Nach einer halben Stunde Vorbesprechung geht es um 8.00 Uhr in den OP-Bereich, bis mindestens 12.30 Uhr operiert er untere Extremitäten - also Knie, Sprunggelenke oder Füße -, mittwochs und freitags auch nachmittags. Die Abende gehören dann dem Sport und seinen diversen Ehrenämtern, die Wochenenden auch seiner Ehefrau Iris Reuter, die an der Universität in Gießen, wo die Familie Engelhardt lebt, als Fachärztin für Neurologie doziert. 

Als kritischer Geist im Sport bekannt

Fleiß und Beharrlichkeit sieht Martin Engelhardt als seine größten Stärken, und wer den drahtigen Ausdauerathleten besser kennt, bestätigt das. Als kritischer Geist ist er im Sport bekannt, als einer, der seine Positionen argumentativ ausreizt, dabei aber immer die Sache und nicht das eigene Fortkommen in den Vordergrund stellt. So war das auch 1987, als er zum ersten Mal in seinem Leben zur Mitgliederversammlung der DTU nach Barntrup reiste, um seinen Vereinskollegen Dr. Joachim Fischer zur Wiederwahl als Präsident vorzuschlagen. 

„Damals gab es zwei total zerstrittene Lager, die sich trotz mehrstündiger Diskussionen nicht einigen konnten. Der Vorsitzende des Verbandsgerichts sagte, entweder würde man sich auf einen Kandidaten einigen, oder man müsse ohne Präsidenten auseinandergehen“, erinnert er sich. Und weil er sich bei der Gründung des Triathlonvereins Deutscher Ärzte und Apotheker zwei Jahre zuvor ebenso tatkräftig engagiert hatte wie beim Aufbau eines Triathlon-Symposiums, das 2025 seine 40. Auflage erlebt, wählte der Verbandstag eben ihn zum Präsidenten. „Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie man einen Verband leitet, habe ich mich der Sache angenommen“, sagt er. 

2001 trat er, nachdem die Aufnahme des Triathlonsports in das olympische Programm erreicht war, aus beruflichen Gründen von seinem Amt als DTU-Präsident zurück, zehn Jahre später, als der Verband unter schweren strukturellen und finanziellen Nöten litt, kehrte er zurück - und will auch jetzt, mit der neuen Herausforderung beim DOSB im Rucksack, in Absprache mit seinem Führungsteam weitermachen. Vorsitzender des Trägervereins der Wissenschaftsinstitute des Deutschen Sports und Herausgeber der Zeitschrift „Sportorthopädie-Sporttraumatologie“ ist er auch noch. 

Seine Bestzeit im Marathon liegt bei 2:40 Stunden

Dieses Pflichtbewusstsein hat er im Elternhaus in Hanau gelehrt bekommen. „Ich bin in einem protestantischen Haushalt groß geworden, meine Eltern haben sich immer für die Gemeinschaft engagiert. Anstand und Gerechtigkeit waren die Messlatte ihres Tuns, und das habe ich mir abgeschaut.“ Der Vater, der Grundschullehrer war, hatte sich zum Ziel gesetzt, allen Kindern seiner Klasse in seiner Freizeit am Nachmittag das Schwimmen beizubringen. Das prägte den Sohn, der seine ersten Schwimmzüge ebenfalls unter der Anleitung seines Vaters machte. Martin Engelhardt startete später für den EOSC Offenbach in der Schwimm-Bundesliga, als 18-Jähriger war er Jugendwart im hessischen Schwimmverband. 

Seine Liebe zum Triathlon lebte er als Hochleistungssportler Mitte der 80er-Jahre aus, er schaffte es immerhin bis auf EM-Level. Mitgerissen von seiner Frau, die Mitglied im Nationalkader Marathon war, steigerte er seine Bestzeit über die 42,195 Kilometer auf 2:40 Stunden. Bis heute legt er drei bis vier Ausdauereinheiten pro Woche ein, vornehmlich auf dem Rad oder auf der Laufstrecke. Nur geschwommen wird lediglich noch zum Vergnügen im Großkrotzenburger See. „Mein Pensum im Becken habe ich längst abgearbeitet“, sagt er. 

Das Pensum, das er sich nun mit der neuen Aufgabe im DOSB-Präsidium auferlegt hat, kann Martin Engelhardt, der eine Tochter (38) und drei Enkelkinder hat, noch nicht absehen. „Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, was auf mich zukommt. Aber ich werde erst einmal zuhören und mich dann einbringen, wenn meine Aufgaben umrissen sind“, sagt er. Seine Erfahrungen einzubringen, um Projekte wie die Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele zu unterstützen, ist ebenso Teil seines Plans wie die Ausgestaltung seiner Vision, die Menschen in Deutschland zu mehr Sporttreiben zu animieren. „Da haben wir sicht- und spürbare Defizite, die alarmierend sind. Ich möchte helfen, dem entgegenzuwirken“, sagt er. 

Engelhardt versteht sich als Teamplayer

Dass die Mitgliederversammlung ihm, dem als kritischem Geist bekannten  Weiterdenker, das Vertrauen ausgesprochen hat, wertet Martin Engelhardt als „Wertschätzung und Belohnung für meine bisherige Arbeit im Sport. Ecken und Kanten gefallen nicht allen, aber so eine Wahl ist auch eine Anerkennung für das, was wir mit dem kleinen Triathlonverband im vergangenen Jahrzehnt für den deutschen Sport geleistet haben.“ Dass das Ich immer hinter dem Wir zurücksteht, ist für ihn selbstverständlich: „Ich verstehe mich als Teamplayer und weiß ganz genau, dass ich ohne die vielen Menschen, die mich unterstützen, niemals das erreicht hätte, was wir gemeinsam geschafft haben.“ 

Ein Vizepräsident für den gesamten DOSB wolle er sein; gerade auch für diejenigen, die ihn als Kandidaten der olympischen Spitzenverbände bei der Wahl mit Argwohn betrachtet haben. „Ich war lange genug Präsident eines nicht-olympischen Fachverbands, und ich kenne aus der DTU auch die Befindlichkeiten, dass sich manche Disziplinen gegenüber anderen nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen. Nur mit Respekt vor allen, die im deutschen Sport ihren Beitrag leisten, können wir gemeinsam weiterkommen“, sagt er. Die Nähe zur SPD, die ihm in einigen Medien zugeschrieben wurde, werde keine Rolle in seinem Wirken spielen. „Ich habe mich nie parteipolitisch engagiert. Im DTU-Präsidium sind die politischen Überzeugungen aller demokratischen Parteien vertreten. Das Ziel, die gesellschaftliche Position des Sports auf ein neues Level zu heben, können wir nur erreichen, wenn wir parteiübergreifend alle einbinden und überzeugen.“  

Martin Engelhardt hat in seiner Karriere gelernt, dass große Veränderungen Zeit benötigen und Erfolg immer eine Mischung aus Talent und harter Arbeit ist. „Man braucht Geduld und Vertrauen in andere Menschen. Wer als Triathlet mal auf Hawaii gestartet ist, der weiß, was Frustrationstoleranz bedeutet. Aber das Wichtigste ist, dass man mit Freude an die Arbeit geht, denn wenn die fehlt, geht es nicht“, sagt er. Bleibt ihm also zu wünschen, dass auch das neue Amt Freude bereitet und die Frustrationstoleranz nicht ausreizt. 

(Quelle: DOSB)

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