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„Ich war noch nie so motiviert wie jetzt“

Lukas Märtens (23), Olympiasieger und Weltrekordhalter über 400 Meter Freistil, spricht vor den Deutschen Meisterschaften über mentale Stärke, das neue Vertrauen in seinen Körper und den Prozess, den es braucht, um große Triumphe zu verarbeiten.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

28.04.2025

Drei Männer freuen sich über ihre Medaillen
Lukas Märtens präsentiert stolz seine Goldmedaille. Der Australier Elijah Winnington (r.) holte Silber, Bronze ging an Kim Woomin (l., Südkorea).).

DOSB: Lukas, gut zwei Wochen ist es her, dass du in Stockholm über die 400 Meter Freistil als erster Mensch die 3:40-Minuten-Marke unterboten und den Weltrekord von Paul Biedermann um elf Hundertstelsekunden auf 3:39,96 verbessert hast. Konntest du bereits realisieren, was dir da gelungen ist?

Lukas Märtens: Nicht wirklich. Ich glaube, das wird noch ein bisschen dauern, so wie damals auch nach meinem Olympiasieg. Im Moment ist es für mich noch nicht wirklich zu begreifen.

Du hast nach dem Rennen gesagt, dass es sich nicht besonders schnell anfühlte und du total überrascht warst, als du die Zeit gesehen hast. Hatte sich eine solche Leistung gar nicht angedeutet?

Nein, es war wirklich total überraschend. Ich habe mich an dem Tag zwar richtig gut gefühlt, aber zwischen sich gut fühlen und einem Weltrekord liegen normalerweise Welten. Zumal ich direkt aus dem Höhentrainingslager in der Sierra Nevada nach Schweden gekommen bin und es in der Regel zwei, drei Wochen dauert, bis sich ein solches Training in der Leistung bemerkbar macht. Man weiß nie genau, wie man nach einer derartigen Belastung körperlich drauf ist, aber bei mir hat sich diesmal der Effekt anscheinend deutlich früher eingestellt.

Dein Trainer Bernd Berkhahn hat deine Leistung auch damit in Verbindung gebracht, dass du die vergangenen Wochen ohne körperliche Probleme voll durchtrainieren konntest. Ist das der erhoffte Effekt der operativen Eingriffe, die du wegen deiner chronischen Nasennebenhöhlen-Entzündung hinter dich bringen musstest?

Ja, das spielt definitiv eine Rolle. Ich bin weniger infektanfällig, das war früher oft mein größtes Problem. Die Operation war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, auch wenn die Heilung noch einige Zeit brauchen wird.

Der mentale Effekt allerdings dürfte schon jetzt eine große Rolle spielen, oder? Zu wissen, dass der Körper weniger anfällig ist: Ist das eine Befreiung für den Kopf?

Definitiv. Wenn du ständig im Hinterkopf hast, dass dein Körper nicht ganz mitspielt, dann wirkt sich das natürlich auch mental aus. Du zweifelst, ob du deine Leistung abrufen kannst, und das ist Gift für den Kopf. Ich arbeite schon lange mit einer Sportpsychologin zusammen und weiß, wie viel im Kopf entschieden wird. In der Weltspitze sind alle fit, aber mental stark zu sein macht meistens den Unterschied. Deshalb ist dieses neu gewonnene Vertrauen in den Körper für mich eine echte Befreiung.

Die Reaktionen der internationalen Schwimmszene auf deine Weltrekordzeit waren überwältigend. Welche hat dich am meisten gefreut?

Natürlich war ich stolz und fühlte mich sehr geehrt, dass ehemalige und aktuelle Weltstars wie Ian Thorpe, Adam Peaty oder Ariarne Titmus meine Leistung gefeiert haben. So etwas erlebt man nicht alle Tage - das bedeutet mir sehr viel. Am meisten aber habe ich mich über die Reaktion von Paul Biedermann gefreut. Von so einer Legende solch wertschätzende Worte zu bekommen, das hat mich sehr stolz gemacht. So kann es gern weitergehen!

Weiter geht es zunächst in dieser Woche bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin. Welchen Stellenwert hat so ein nationaler Wettkampf für einen Weltrekordhalter?

Einen großen. Einerseits sportlich, weil wir nicht viele Gelegenheiten im Jahr haben, uns auf nationaler Ebene mit der Spitze zu messen. Darauf freue ich mich sehr! Zum anderen ist es einfach schön, vor heimischem Publikum zu schwimmen.

  • Schwimmer Lukas Märtens lächelt

    Schwimmen hatte lange keinen einfachen Stand. Wenn wir jetzt mit unseren Erfolgen dazu beitragen können, dass Sport und insbesondere der Schwimmsport sichtbarer und attraktiver werden, ist das für mich Ansporn und Belohnung zugleich.

    Lukas Märtens
    Olympiasieger und Weltrekordler über 400 m Freistil
    SC Magdeburg

    Was bewirken Heimwettkämpfe? Deutschland möchte im Zeitraum 2036 bis 2044 Gastgeber für Olympische und Paralympische Spiele werden. Wie profitieren Athlet*innen von einem solchen Heimvorteil?

    Ich bin da vielleicht kein Paradebeispiel, schließlich habe ich den Weltrekord in Schweden aufgestellt und in Frankreich mein Olympiagold gewonnen. Leistung kann man also auch im Ausland zeigen! Aber ich weiß dennoch aus eigener Erfahrung, dass der Heimvorteil einiges bewirkt, dass er Kräfte freisetzen kann. Wenn viele Menschen live dabeisein können, wenn Sportlerinnen und Sportler aus ihrem Land Leistung zeigen, dann kann das viele, insbesondere junge Menschen inspirieren, ebenfalls in den Leistungssport zu gehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass das in Deutschland passiert.

    Spürst du seit deinem Olympiasieg eine gewachsene Verantwortung, weil du als Vorbild angesehen wirst? Und ist diese Verantwortung Last oder Lust?

    Mich erfüllt sie mit großem Stolz, wenn ich mit meinen Leistungen dazu beitrage, andere Menschen zum Sporttreiben zu animieren. Schwimmen hatte lange keinen einfachen Stand. Wenn wir jetzt mit unseren Erfolgen dazu beitragen können, dass Sport und insbesondere der Schwimmsport sichtbarer und attraktiver werden, ist das für mich Ansporn und Belohnung zugleich.

    Die Football-Legende Tom Brady hat auf die Frage nach seinem liebsten Titel gern geantwortet: „Der nächste.“ Manche Olympiasieger*innen fallen dagegen nach dem Triumph in ein tiefes Motivationsloch. Welcher Motivationstyp bist du, wie ist es dir nach den verrückten Tagen von Paris ergangen?

    Ich habe tatsächlich ein bisschen gebraucht, um wieder in den Rhythmus zu kommen. Die Wochen nach Paris waren sehr intensiv - viele Termine, TV-Auftritte, Interviews. Das war schön und auch Neuland für mich. Ich habe mir bewusst Zeit genommen, um auch mal durchzuatmen, war mit meinen Jungs im Urlaub und habe Dinge gemacht, für die sonst kein Platz war. Dann kam die Operation, ich habe die Kurzbahn-WM im Dezember ausgelassen und im Januar wieder richtig losgelegt. Die Lust war sofort wieder da. Ich war noch nie so motiviert wie jetzt.

    Das ist sicherlich von Nutzen, schließlich hast du mit deinem Fabelrekord ein starkes Statement gesetzt und bist noch mehr der Gejagte. Der Saisonhöhepunkt ist die WM in Singapur (11. Juli bis 3. August). Wie schaffst du es, dann noch einmal dein Leistungsmaximum zu erreichen und deiner Favoritenrolle gerecht zu werden?

    Das ist tatsächlich gar nicht so leicht. An so einem Tag muss einfach alles zusammenpassen, die Tagesform entscheidet. Wir haben mit dem Rekord natürlich ein starkes Zeichen gesetzt, aber wir werden weiter hart arbeiten, vor allem mental. Ich möchte bei der WM in Topform sein - körperlich wie auch mental. Was dann am Ende dabei rauskommt, wird man sehen.

    • Team D / Philipp Reinhard
    • Team D / Philipp Reinhard

      Zur Person

      Lukas Märtens, geboren am 27. Dezember 2001 in Magdeburg, schaffte bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris Historisches. Der 1,92 Meter große Topathlet vom SC Magdeburg holte über seine Paradestrecke 400 Meter Freistil nicht nur die erste Goldmedaille für das deutsche Team, sondern auch den ersten Olympiasieg für einen deutschen Schwimmer seit Michael Groß 1988 in Seoul (Südkorea). Am 12. April unterbot er bei einem Meeting in Schwedens Hauptstadt Stockholm den Weltrekord seines Idols Paul Biedermann um elf Hundertstelsekunden und schwamm in 3:39,96 Minuten als erster Mensch die 400 Meter Freistil unter 3:40 Minuten. Märtens, dessen Schwester Leonie (21) ebenfalls erfolgreiche Freistilschwimmerin ist, gewann 2022 auch EM-Gold und WM-Silber über die 400 Meter Freistil. In seiner Freizeit drückt der Olympiasieger den Fußballprofis des 1. FC Magdeburg, die noch um den Aufstieg in die Bundesliga kämpfen, die Daumen.

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