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Hilfe zur sportlichen Selbsthilfe in Guatemala

Seit April 2013 ist Oliver Scheer als Sport-Auslandsexperte des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Guatemala im Einsatz und zieht im Interview eine erste Bilanz.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

20.01.2014

Ziel des vom Auswärtigen Amt finanzierten Langzeitprojekts ist es, die Leichtathletik in dem zentralamerikanischen Land zu fördern und weiterzuentwickeln. Während der zunächst auf zwei Jahre angelegten Maßnahme steht der Breitensport, besonders im Kinder- und Jugendbereich, im Vordergrund, um langfristig Strukturen zu schaffen, die sich bis in den Hochleistungssport durchsetzen sollen.
 
Im Interview mit sport.diplo.de gibt Oliver Scheer Einblick in seine Arbeit in Guatemala, spricht über plötzliche Hiobsbotschaften und erklärt, warum er bereits jetzt den Olympischen Sommerspielen 2028 entgegenfiebert.
 
Herr Scheer, Sie sind seit April 2013 als Auslandsexperte in Guatemala. Wie sind die ersten neun Monate Ihres Leichtathletik-Langzeit-Projekts verlaufen?
 
OLIVER SCHEER: Ich bin sehr zufrieden. Man hört von Kollegen, die in anderen Ländern im Einsatz sind, natürlich immer von vielen Baustellen, die sich auftun. Aber ich muss zugeben, dass meine Aufgabe in Guatemala bisher sehr positiv verläuft. Das ist sicherlich auch dadurch bedingt, dass in den entscheidenden Positionen Ex-Leichtathleten sitzen, für die das Projekt eine Herzensangelegenheit ist und mich sehr unterstützen und mir auch einige Türen öffnen. Es gab noch fast keine Probleme. Aber für die, die sich aufgetan haben, habe ich bisher immer eine Lösung gefunden.
 
Was für Probleme waren das denn?

 
Ach, gestern (09. Januar, d. Red.) hat mich zum Beispiel die Nachricht erreicht, dass mein guatemaltekischer Counterpart, Kenneth Henry Lizama, der an der DLV-Akademie in Mainz studiert hatte, mit sofortiger Wirkung gekündigt hat. Das war schon eine kleine Hiobsbotschaft. Da muss ich nach meiner Rückkehr nach Guatemala erst einmal herausfinden, aus welchen Gründen er gekündigt hat. Aber ansonsten waren es bei der Bandbreite des Projektes eher Kleinigkeiten, wie zum Beispiel eine ungeheure Bürokratie, die es so in Deutschland nicht gibt. Aber das sind Dinge, an die man sich gewöhnen kann.
 
Welche Aufgabenbereiche umfasst Ihr Einsatz in Guatemala denn genau?
 
In den ersten zwei Jahren des Projektes liegt der Fokus auf der Einführung eines Kinderleichtathletik-Programms, was wir in allen 22 Departamentos, also den Bundesländern Guatemalas, implementieren. Dafür führen wir in den Bundesländern Drei-Tages-Kurse durch, in denen Trainer, Sportlehrer, Sportstudenten und generell Sportinteressierte geschult werden, um in Ihrer Region später Kinderleichtathletik umsetzen und anbieten zu können. Aus diesen Kursen ergibt sich auch direkt die weitere Zusammenarbeit. Wir arbeiten sehr eng mit dem Schulministerium zusammen, sehr eng mit dem Olympischen Komitee und auch mit dem Kultur- und Sport-Ministerium. Darüber hinaus arbeite ich als Verbandsberater bei den Leichtathleten, woraus sich auch noch andere Aufgaben ergeben. Insgesamt gibt es in Guatemala fünf oder sechs Institutionen, die ich direkt mit dem Projekt verknüpfen konnte, um auch ein Netzwerk aufzubauen, das – so hoffe ich – auch nachhaltig bestehen wird. Unser Projekt hat auch einen Pilot-Charakter. Die Dinge, die wir aktuell in der Leichtathletik machen, sollen als Grundlage für andere Sportarten dienen, um auch diese in Zukunft weiterzuentwickeln.
 
Wie fallen denn die Reaktionen auf Ihre Arbeit vor Ort aus?
 
Grundsätzlich ist die erste Reaktion absolute Dankbarkeit für die Unterstützung von Deutschland. Es wird nicht nur auf meine Person beschränkt, sondern es wird hier von allen Leuten auf Deutschland projiziert und sie sind dankbar, dass das Land aktiv ist. Guatemala ist sehr stolz darauf, dass es neben Sambia das zweite Land ist, das in der Leichtathletik unterstützt wird und das ganze Knowhow, die Mittel und die Unterstützung nutzen kann.
 
Wenn Sie sagen, dass die Guatemalteken ihre Dankbarkeit auf Deutschland projizieren, haben sie sicherlich auch Vorstellungen und Erwartungen an Deutschland und Deutsche. Werden Sie manchmal mit solchen Vorstellungen konfrontiert?
 
Klar. Wir Deutsche vertreten gewisse Attribute wie Disziplin, Ordnung, Planung. Mit solchen Eigenschaften ist auch eine gewisse Erwartungshaltung der Guatemalteken da. Was sehr interessant ist, ist eine Maßnahme, die bereits in den 1980er Jahren vom damaligen deutschen NOK durchgeführt wurde. Die war damals zwar im Hochleistungsbereich angesiedelt, aber diese Maßnahme hatte absolut Eindruck hinterlassen und auch Strukturen geschaffen, die bis heute Bestand haben. Das ist sehr gut, bringt für mich aber auch das Problem mit, dass viele Leute erwarten, dass ich auch mit den Hochleistungssportlern arbeite, was aber ganz klar nur meine sekundäre Aufgabe ist. Primär bin ich in Guatemala, um den Breitensport zu fördern. Aber auch in diesen Fällen kann man den Austausch suchen und plausibel erklären, wie man mit Veränderungen in der Basis auch den Hochleistungssport fördern kann.

Also Ihr Fokus liegt sozusagen auf Hilfe zur sportlichen Selbsthilfe?
 
Richtig. Trainerfortbildungen sind auch ein elementarer Teil, und ich habe auch schon einen direkten Draht zu den Verbandstrainern, worauf sich später aufbauen ließe. Aber vorerst liegt mein Fokus auf der Kinderleichtathletik, dem sogenannten Mini-Atletismo.
 
Wie kam es überhaupt dazu, dass es in Guatemala ein Leichtathletik-Projekt gibt. Man könnte davon ausgehen, dass dort, wie in den Nachbarländern, Fußball die beliebteste Sportart ist.
 
So ist es auch. Allerdings haben wir den Vorteil, dass 2012 in Peking erstmals ein Guatemalteke eine Olympia-Medaille gewonnen hat. Erick Barrondo hat die Silbermedaille im 20 Kilometer Gehen gewonnen. Er ist der Sportstar im Land, das generell eine große Läufer- und Geher-Tradition besitzt. Fußball ist eigentlich die Sportart Nummer eins, auch wenn das Niveau Guatemalas sehr schwach ist. Aber danach folgt sofort die Leichtathletik, deren Popularität gerade durch die Erfolge der Geher natürlich noch gesteigert wird. Aber hier gibt es nicht nur Geher. Ich sehe ein viel größeres Potenzial in der Leichtathletik als ausschließlich in den Disziplinen, die von der Regierung und dem NOK bislang gefördert werden. Es gibt gute Werfer, gute Sprinter. Die hiesige Erwartungshaltung ist natürlich die, dass man am liebsten schon in Rio 2016 Medaillen gewinnen möchte. Das ist allerdings ein vermessener Ansatz. Das ist ein Prozess, der entsprechend Zeit in Anspruch nimmt. Ich denke, dass die kurzfristigen Ziele eher in 2020 zu sehen sind, das Projekt aber wahrscheinlich sogar erst mittelfristig, also 2024, 2028 Früchte tragen wird, dass man sagen kann: Auf zentralamerikanischem Niveau bis hoch zu Olympia sehen wir eine Entwicklung.
 
Welche Ziele haben Sie sich denn für das Projekt gesetzt?
 
Ich möchte bis Ende Juli die 22 Seminare durchgeführt haben. Bisher haben wir elf der dreitägigen Basis-Kurse durchgeführt. Mit den geeignetsten Teilnehmern möchte ich im Anschluss daran eine Referenten-Fortbildung machen, weil ich in jedem Bundesland einen Departamental-Direktor haben möchte, der dann auf Gebietsebene diese Seminare weiterführt. Das soll wie ein Schneeballprinzip funktionieren. Dass also nicht immer ich und mein Counterpart durchs Land fahren und fortbilden, sondern wir in den Regionen Multiplikatoren haben, die unsere jetzige Arbeit dort fortsetzen. Weitere Dinge sind Trainer- und Schiedsrichter-Kongresse. Langfristig wäre es für mich persönlich die absolute Wunschvorstellung, wenn aus dem jetzigen Mini-Atletismo in zehn, fünfzehn Jahren ein Olympia-Teilnehmer hervorginge. Das wäre fantastisch, denn dann hätte ich am Ende meiner Arbeit in Guatemala ein funktionierendes System hinterlassen.

(Quelle: sport.diplo.de / Auswärtiges Amt)

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