Harald Schmid sprach in Berlin vor Handballern über Suchtgefahren
Berlin hält einen traurigen Rekord, denn im vergangenen Jahr hat die Polizei rund tausend alkoholisierte Kinder und Jugendliche auf Straßen, Plätzen und in Parks aufgegriffen und dabei ein Drittel sogar ins Krankenhaus bringen müssen.

12.02.2009

Diese alarmierenden Zahlen nahm der Handball-Verband Berlin (HVB) zum Anlass, um sich im Rahmen seiner stets ausgebuchten Handballschule für Anfänger, die jeweils einmal im Winter und Sommer stattfindet, mit der Suchtproblematik auseinanderzusetzen. Dazu wurde Harald Schmid, der ehemalige Weltklasse-Hürdenläufer und Botschafter der BZgA-Initiative „Kinder stark machen“ eingeladen, damit er vor Trainern, Übungsleitern, Jugendwarten, Eltern und Spielern über das Thema „Sport und Alkohol - das passt nicht zusammen“ referiert und Ratschläge erteilt.
Dass bei Mannschaftssportarten nach einem Spiel, ob nun aus Frust oder Freude, ganz gern zur Flasche gegriffen oder der berühmte Stiefel getrunken wird, das ist längst kein Geheimnis. Und das ist nicht nur bei Fußballern der Fall, sondern auch bei Handballern. Der HVB-Präsident Henning Opitz erinnerte sich ein Erlebnis, das ihn tief betroffen und nachdenklich machte. Anlässlich einer Nordostdeutschen Nachwuchs-Meisterschaft im Horst-Korber-Zentrum reichte der Vorsitzende eines auswärtigen Vereins nach dem erfolgten Titelgewinn seinem Kapitän den Autoschlüssel und sagte zu ihm: „Geh’ zu meinen Wagen, dort befindet sich im Kofferraum ein Kasten Bier, den kannst du jetzt einmal holen.“ Für Schmid ein krasses Versagen, denn wie sollen Jugendliche vor dem Missbrauch von Alkohol, Zigarettenkonsum, Drogen und Cannabis abge-halten werden, wenn nicht ihre Vorbilder im Sport mit gutem Beispiel vorangehen. Und einen noch schlimmeren Fall gab es in den neunziger Jahren, als zwei Berliner Jugendmannschaften mit der Bahn zu einem Turnier nach Schweden unterwegs waren und plötzlich an der Grenze Schnüffel-hunde der Polizei anschlugen. Als die Beamten dann intensiver kontrollierten, kam nicht nur Drogen-, sondern auch Waffenbesitz zum Vorschein. Was anschließend zu sportpolitischen Verwicklungen führte und sogar den Deutschen Handballbund in eine missliche Lage brachte. Zum Glück handelte es sich hierbei um eine bislang nicht wiederkehrende Einmalsituation, doch das Trinken und Rauchen gehört bei Kindern schon ab zwölf Jahren nicht selten zur Tagesordnung - und zwar nicht nur in Berlin.
Der einstige Leichtathlet warnte davor, dass Alkohol und Nikotin über kurz oder lang zur Sucht werden können, von der man dann nicht mehr loskommt. „Bedauerlicherweise ist die Verfüg-barkeit heutzutage viel leichter geworden, als das noch zu meiner Zeit der Fall war“, so Schmid. In diesem Zusammenhang nannte er Tankstellen, Supermärkte oder auch Kioske, die oftmals von den Vereinen während einer Veranstaltung betrieben werden, um die Kasse etwas auf zu bessern. Schlimm wird es, wenn Väter und Betreuer am Spielfeldrand stehen und ungeniert trinken oder rauchen.
Den Trainern und Übungsleitern kommt deshalb eine ganz besondere Bedeutung zu, meinte der heute 52-jährige Hesse aus Gelnhausen „denn zu ihnen blicken die Kinder und Jugendlichen oft mehr hoch als zu ihren eigenen Eltern beziehungsweise hören auf ihre Worte. Sie sind sozusagen ihre Idole, denen es nachzueifern gilt und somit eine wichtige Bezugsperson, zu der man unbegrenztes Vertrauen hat.“
Als weiteres Problem tauchen in jüngster Vergangenheit verstärkt die Medikamentenabhängigkeit und der Cannabis-Konsum auf, berichtete. Schmid: „Um diesem Übel abzuhelfen kann der Sport eine Menge beitragen, denn er vermittelt Spaß, Anerkennung, Selbstbewusstsein, Freundschaft, Fairness, Eigenverantwortung, Selbsteinschätzung, Kreativität, aber auch, mit Sieg und Niederlage fertig zu werden.“ Immer wieder versuchte der promovierte Sportwissenschaftler auch die Wichtigkeit einer Gruppe ins Spiel zu bringen, warnte jedoch davor, wenn diese das Trinken und Rauchen als Vorbedingung für eine Zugehörigkeit macht. „Da sind dann Charakterstärke und der Mut zum Nein-Sagen gefragt.“ Da rund 75 Prozent der Kinder in Deutschland Mitglied in einem Sportverein sind, besteht die große Chance, bei entsprechender Führung durch Trainer und Übungsleiter der Suchtgefahr vorbeugend entgegen zu wirken. Hennig Opitz: „Mit der Einladung von Harald Schmid nach Berlin war kein mir derzeit bekannter Fall verbunden. Wir wollten jedoch ein Zeichen setzen und auf die allgemeine Situation hinweisen, die uns alle angeht und berührt. Es war sozusagen ein Weckruf für die verantwortlichen Männer und Frauen in unseren rund hundert Vereinen und Spielgemeinschaften, immer auf der Hut zu sein, um schon im Vorfeld gewisse Gefahren abzuwenden und womögliche Exzesse zu verhindern. Prävention ist besser als Rehabilitation.“