Hanauer Leuchtturm
Wie sich die Turn-Gemeinde (TG) Hanau am Ort einen vereinseigenen „Sport-Campus“ zulegte.

09.12.2024
Pausenlos habe er in den vergangenen Monaten und Wochen viele Neugierige aus nah und fern übers Gelände seines Sportvereins mit 20 Abteilungen und 25 Sportarten ohne Fußball führen müssen, berichtet Präsident Rüdiger Arlt jüngst bei seinem Vortrag auf der vom LSB Hessen ausgerichteten Sportstätten-Messe „sportinfra“, die ihr zehnjähriges Jubiläum feierte. Der zu Jahresbeginn eröffnete und vereinseigene Hanauer Sport-Campus auf gut 30.000 Quadratmetern mit einer großen Dreifelder-Halle als Herzstück sowie mehreren Kurs-Räumen, Cafeteria, Konferenz-Raum sowie „Mucki-Bude“, Geschäftsstelle und Lagerflächen unterm selben Dach. Ums Gebäude gruppieren sich draußen Anlagen etwa für Leichtathleten, Bogenschützinnen, Beach-Volleyball und -Handball und drei Tennis-Plätze. Ein Ensemble, das wegen seiner Entstehungsgeschichte allgemeines Interesse erregt. Ob er von etwas Vergleichbarem in der bundesdeutschen Sportlandschaft gehört habe? Rüdiger Arlt schüttelt bei dieser kleinen Nachfrage den Kopf. Nicht, dass er wüsste. Niemand aus der Szene der knapp 90.000 Sportvereine habe wohl je ein ähnliches Millionen-Projekt in ehrenamtlicher Regie auf die Beine gestellt wie seine 1837 aus der Taufe gehobene Turn-Gemeinde (TG) in der Geburtsstadt der Märchen-Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm, von Rudi Völler, dem Komponisten Paul Hindemith oder dem Schauspieler Dominic Raacke.
Er kenne „nichts Vergleichbares“, unterstreicht Rüdiger Arlt stolz. Der Kopf der Projektgruppe von 15 Vereins-Mitgliedern, die abertausende Stunden ihrer Freizeit in den Campus investierten, weiß jedoch ebenso gut: Dieses „Pilotprojekt“ und dieser „Hanauer Leuchtturm“, das kann unmöglich der Ausweg sein, um der maroden und dringend sanierungsbedürftigen Sportstätten-Infrastruktur überall und endlich Herr zu werden. Immerhin so viel beweise das „Hanauer Modell“ eindrucksvoll. Wenn es die Bedingungen vor Ort hergeben, wenn ein Sportverein, Kommunalpolitiker*innen und Schulen kräftig und vertrauensvoll zum Vorteil aller am selben Strick ziehen, kann etwas wirklich Großes entstehen.
Auch am Anfang der Vorzeige-Geschichte aus dem Hessischen stehen abrissreife, zumindest zwingend zu renovierende Sportstätten. Die Sanierung der Jahn-Sporthallen, seit den 60er Jahren sportliche Heimat der TG-Mitglieder, hätte einem Gutachten zufolge rund elf Millionen Euro verschlungen. Eine Kosten-Nutzen-Reaktion, die schnell verworfen wurde. Ein Neubau sollte her, das war spätestens 2018 beschlossene Sache. Stadt und Verein suchten dafür nach einem Standort, nach einigen Arrondierungen war das vereinseigene Grundstück die beste Wahl. Von TG-Seite auch deshalb, weil der eigene Grund als Unterpfand in die Rechnung einfloss, die alles in allem bis 2041 auf insgesamt 15,7 Millionen Euro hinausläuft - 14,3 Millionen Euro fürs Gebäude und 1,4 Millionen Euro für die Außensport-Anlagen.
Den Löwenanteil zur Finanzierung übernahm die Sparkasse am Ort mit 12,3 Millionen Euro bei einer Laufzeit von 18 Jahren und einem Zinssatz von 1,27 Prozent. „Wenn er an diese Konditionen denkt, treibt es dem Direktor vielleicht noch immer ein paar Tränen in die Augen“, frotzelt Rüdiger Arlt. Der Banker kann sich doppelt trösten. Zwar hat die Bank mit diesem Investment kaum etwas verdient, dafür trägt der neue Sport-Campus offiziell ihren Namen und außerdem hat sie der ganzen Stadt einen außerordentlich nützlichen Dienst erwiesen. Der Finanzierungs-Part der Kommune: Sie bürgt für den Kredit und schoss überdies 1,5 Millionen Euro zu. Der Landkreis Main-Kinzig steuerte 930.000 Euro bei und 200.000 Euro das Land Hessen. Nicht zu vergessen, dass außerdem sämtliche Förderfonds durchforstet wurden und auf diese Weise zum Beispiel 47.200 Euro aus einem Klimaschutz-Fonds für die überdachten Abstellplätze für 56 Fahrräder flossen. Pkw-Parkplätze auf dem Areal sind insgesamt 58 vorhanden, allesamt nicht gefördert.
Mit ihrem Sport-Campus bekamen die TG-Mitglieder binnen einer rekordverdächtigen Bauzeit von anderthalb Jahren nicht nur ein hochmodernes Domizil samt begrüntem Dach. Die Finanzierung wurde ursprünglich unter der Annahme berechnet, dass dem Verein stabil mindestens 3.000 Mitglieder die Treue halten. Es kam überraschend anders - und besser. Seit der Eröffnung im Januar dieses Jahres wuchs die Turn-Gemeinde binnen elf Monaten um rund eintausend auf aktuell rund 4.000 Mitglieder an. Eine beachtliche, auf die nicht vorhersehbare Magnet-Wirkung des neuen Sport-Campus zurückzuführende Steigerung, die zugleich den Vereins-Finanzen sehr gut bekommt. Die Turngemeinde als großer Kreditnehmer dürfte somit zu einem noch verlässlicheren Rückzahler werden. Das wird den Sparkassen-Direktor überaus freuen. Über den neuen Campus freuen sich vor allem auch die Schüler*innen zweier Gymnasien im Umkreis von einem halben Kilometer. Für deren Sport-Unterricht sind wochentags von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr stets zwei Felder in der großen Halle reserviert - und zusätzlich pro Woche zwölf Stunden über alle drei Felder hinweg, vorzugsweise für die schulische Arbeitsgemeinschaft Handball.
„Trotzdem kann das noch lange nicht den Bedarf an Hallenzeiten abdecken, den die Schulen haben“, berichtet TG-Chef Rüdiger Arlt. Eines der beiden Gymnasien in der Nähe weise zum Beispiel sage und schreibe 14 fünfte Klassen aus. Ein eindrucksvoller Beleg für den aktuellen Zustrom in den per S-Bahn gut und schnell erreichbaren Speckgürtel östlich von Main-Frankfurt. Schon soll die Zahl der Einwohner*innen von Hanau offiziell die Marke von 100.000 durchbrochen haben, so dass man jetzt offiziell als Großstadt gelten darf. Mit Folgen zugleich für die bejahrten Sportstätten in der Stadt. Sie dienten den TG-Sportler*innen - mit Ausnahme der Outdoor-Akteur*innen - noch so lange für ihr sportliches Hobby, bis der neue Sport-Campus Ende Januar 2024 seine Pforten öffnete. Trotzdem müssen die Jahn-Hallen nun weiterhin zumindest teilweise sporttauglich erhalten bleiben. Ihr Komplett-Abriss sei derzeit sicher keine Option, berichtet Rüdiger Arlt auf Nachfrage. Wenigstens ein Teil müsse erhalten und schulsporttauglich bleiben. Das erzwingen die Bedürfnisse des Sportunterrichts in Hanau. Das ist der Preis für eine Kommune, in der sich zuletzt erfreulich viele Familien ansiedelten und ihr Zuhause fanden.
(Autor: Andreas Müller)