Gänsehaut beim ersten Schwimmbadbesuch
Zabiullah Farahmand musste aus seiner Heimat Afghanistan flüchten, weil er dort nicht mehr sicher war. Nach einer monatelangen Odyssee über das Mittelmeer bis nach Deutschland hat der 29-Jährige sich Deutsch beigebracht, eine Ausbildung absolviert und einen Job gefunden. Dass er im Verein „Schwimmen für alle Kinder“ in Tübingen aktiv ist, ist kein Zufall.
31.07.2024
Farahmand wuchs in Faryab in Afghanistan auf, wo er nach dem Abitur drei Semester Medizin studieren konnte. Dort engagierte er sich für Frauen- und Kinderrechte, unterstützte andere im Umgang mit Computern, was ihn zur Zielscheibe der Taliban machte. Sie bedrohten ihn und seine Familie. Eines Tages wurde er entführt, eingesperrt und gefoltert. Die Narben und Erinnerungen daran sind dem 29-jährigen bis heute geblieben: „Nach einem tagelangen Inhaftierung wurde ich glücklicherweise durch eine NATO-Truppenaktion befreit. Danach konnte ich in meinem Land nicht mehr lange bleiben und flüchtete im Sommer 2015.“ Darauf folgte eine monatelange Odyssee über mehrere Länder und einem Tiefpunkt, bei dem er mit weiteren 40 Geflüchteten von der Türkei nach Griechenland in einem Schlauchbot übersetzen wollten in einer stürmischen Nacht kenterte. Doch er hatte Glück und wachte später in einem Krankenhaus wieder auf. Im Frühjahr 2016 erreichte er einen sicheren Ort: Deutschland.
„Der Anfang im neuen Leben war schwierig,“ sagt Zabiullah Farahmand, den Freunde Zabi nennen. „Ich hatte leider keinen Anspruch auf einen Deutschkurs. Die Albträume, dass ich mich wieder auf dem Meer befinde, haben mich lange begleitet,“ erinnert sich der junge Afghane. Zabi hat es trotzdem geschafft. Er brachte sich selbst Deutsch bei und jobbte bei einem Metallhersteller. Er suchte und fand Wege, sich weiterzubilden, bis er auch eine Ausbildung zum medizinischen Dokumentar absolvierte und arbeitet nun am Universitätsklinikum Tübingen.
Dann sei ihm eine Idee gekommen. Er wollte die Angst aktiv bekämpfen und schwimmen lernen. Mit einem Freund besuchte er fortan regelmäßig das Tübinger Schwimmbad. „Es war alles neu und ungewohnt. In meinem Leben in Afghanistan war ich damit nie in Berührung gekommen. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper“, sagt er. Abends Trainingsvideos im Internet schauen, tagsüber im Schwimmbad das Gesehene umsetzen.
Bis er anschließend über den Verein „Schwimmen für alle Kinder“ (SfaK) erfuhr und sich dem Verein angeschlossen hat. Dort wurde er zu Rettungsschwimmer ausgebildet und unterstützt heute das SfaK-Schwimmteam als Schwimmlehrerassistent mit viel Empathie für die Kinder. Zabiullah ist offen, Neues zu lernen, sich zu verbessern und Aufgaben zu übernehmen. Im Sommer letzten Jahres unterrichtete er im SfaK-Team eine Jugendgruppe afghanischer Geflüchteter. Alle können heute sicher schwimmen. Er war es, der einen Stammtisch für die rund 40 ehrenamtlichen Teammitglieder ins Leben gerufen hat. Heute ist der monatliche Stammtisch eine gemeinsame Auszeit, bei der man ohne Agenda ins Gespräch kommt. SfaK ist offen für alle Kulturen: Im Verein sind Engagierte aus 13 verschiedenen Nationen, die 25 Sprachen sprechen. „Die Geflüchteten sind nicht freiwillig gekommen. Viele kommen aus schwierigsten Verhältnissen“, sagt die SfaK Gründerin Dagmar Müller, „im Umgang mit ihnen sollten wir berücksichtigen, dass sie in zwei Welten leben: hier das Neue, eine neue Sprache und Kultur, und dort die alte Heimat und die Sorge um die Lieben, die sie zurücklassen mussten. Da helfen Sport und neue Freunde.“
Vereine wie „Schwimmen für alle Kinder“ (SfaK) Tübingen sind beste Beispiele für Initiativen, die Schwimmkurse anbieten und zudem eine integrative Gemeinschaft für Geflüchtete bilden. Dagmar Müller ist Gründerin von SfaK in Tübingen. „Meine Motivation war und ist es, dass alle Kinder schwimmsicher sein sollten, auch die, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, sagt Müller. Die Zielgruppe hat sich 2015 durch geflüchtete jugendliche Nichtschwimmer erweitert. „Ich habe Zabiullah als sehr zurückhaltend, bescheiden und überaus höflich kennengelernt. Als er zu SfaK kam, konnte er schwimmen. Er wollte helfen und Freunde finden.“
Dank eigener Kraft und Motivation hat Farahmand es geschafft, sich zu integrieren. Dennoch war er lange Zeit ein abgelehnter Asylbewerber. Der befristete Aufenthaltstitel beruhigt nur bedingt. Farahmand hofft, eines Tages als gleichberechtigter deutscher Mitbürger anerkannt zu werden. Bis dahin will er weiterkämpfen und -träumen, getrieben von der Hoffnung auf eine gute Zukunft. „Die schönsten Momente sind für mich, wenn ich mit Kindern aus verschiedenen Kulturen und Sprachen in Kontakt komme und sie als Schwimmlehrer-Assistent begleite.“ Gefragt nach seiner Motivation, zitiert er Albert Einstein: „Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, ein erfolgreicher Mensch zu sein, sondern ein wertvoller.“