Funktionierende Kriminalprävention als Grundvoraussetzung einer guten Sicherheitspolitik – Günther Beckstein im Interview
Der bayrische Innenminister Dr. Günther Beckstein wird den 11. Deutschen Präventionstag als Festredner eröffnen. Im Vorfeld der Veranstaltung am 8. Mai 2006 hob Beckstein die Bedeutung des Präventionstages als unverzichtbare Ideenbörse für Theorie und Praxis rund um das Thema Prävention hervor. Der bayrische Innenminister nannte zudem einen Maßnahmenkatalog für erfolgreiche Präventionsarbeit.

02.05.2006

Angesichts der zunehmenden Gewalt an Berliner und deutschen Schulen werden Forderungen laut, die bis hin zur Ausweisung ausländischer gewalttätiger Schüler gehen. Welche Signale seitens der Politik sind Ihrer Meinung nach in Zukunft wichtig?
Dr. Günther Beckstein: Eines darf ich zur generellen Aussage der "zunehmenden Gewalt an deutschen Schulen" vorweg schicken: In Bayern sind die Straftaten an bayerischen Schulen vergangenes Jahr laut Polizeilicher Kriminalstatistik um 8% zurückgegangen. Was mich besonders freut ist der Rückgang der registrierten Gewalttaten um über ein Viertel (-149 Fälle), so dass wir statistisch gesehen "nur" an jeder 12. Schule ein Gewaltdelikt verzeichnen mussten.
Unabhängig von der Entwicklung der Kriminalstatistik muss die Kriminalität und insbesondere die Gewalt an Schulen fortwährend aufmerksam beobachtet werden. Wir brauchen zu deren Bekämpfung differenzierte und flexible Lösungsansätze. Familien, Schulen, Vereine, Medien, Polizei, Justiz und Gemeinden sind hier gefordert, eng verzahnt zusammenzuarbeiten, um langfristig positive Erfolge zu erzielen. Der Grundsatz "Wehret den Anfängen" muss dabei im Zentrum unserer Überlegungen stehen, um ein klares Zeichen und entschlossene Maßnahmen gegen delinquentes Verhalten zu setzen. Es gilt insbesondere, minderjährige Intensivtäter frühzeitig zu erkennen und kriminelle Karrieren rasch zu stoppen. In Bayern hat sich hier unser personenorientierter Ermittlungsansatz außerordentlich bewährt. Darüber hinaus ist wesentlich, unseren Schülerinnen und Schülern – auch im Rahmen der erzieherischen Auseinandersetzung mit Kriminalität - soziale Kompetenz und Wertebewusstsein zu vermitteln sowie das Verantwortungsgefühl für andere zu stärken. Mit Blick auf unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erachte ich es für unverzichtbar, ausreichende Deutschkenntnisse für die Einschulung vorauszusetzen. Denn das Beherrschen der Landessprache ist der Schlüssel für die Integration.
Insbesondere folgende Maßnahmen sehe ich als sinnvoll an:
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breit gefächertes Angebot der Kommunen und Schulen an Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche;
enge Zusammenarbeit und Vernetzung von Polizei, Staatsanwaltschaften und Jugendämtern sowie von Polizei und Kommunen;
konsequente Umsetzung des Jugendschutzes;
Überwachung und Kontrolle von gewaltverherrlichenden und pornographischen Darstellungen - insbesondere in den elektronischen Medien oder auf Handys;
Vermittlung eines verantwortungsbewussten Umgangs mit Alkohol durch Eltern und Schulen;
effektive Integrationsarbeit bei Aussiedlern und Ausländern, um mögliche Konflikte zwischen eigener und deutscher Kultur zu lösen; dazu gehört vor allem das Erlernen der deutschen Sprache;
Ausweisung jugendlicher ausländischer Intensivtäter, wenn mildere Maßnahmen nicht greifen
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Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu dieser zunehmenden Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen?
Dr. Günther Beckstein: Der Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen können vielfältige individuelle und gesellschaftliche Ursachen zugrunde liegen. Diese treten nur selten isoliert auf und müssen deshalb in ihrer Gesamtheit gesehen werden.
Insbesondere die familiären Gegebenheiten können für das kriminelle Verhalten eine Rolle spielen. Wenn Eltern beispielsweise bei der Erziehung ihrer Kinder kein entsprechendes Engagement zeigen, besteht die Gefahr, dass eine konsequente wertorientierte Erziehung auf der Strecke bleibt. Die Kinder bekommen somit ihre Grenzen gar nicht oder zu spät aufgezeigt. Zudem können Kinder zu wenig Anerkennung von Seiten ihrer Eltern erfahren. Als Folgen wären ein negatives Selbstbild und die Herausbildung einer schwachen Persönlichkeit denkbar. Das kann auch zu einer niedrigeren Frustrationsschwelle führen, die wiederum eine tendenziell höhere Gewaltbereitschaft mit sich bringen kann. Auch die Gewaltbereitschaft in der Familie selbst kann mitursächlich sein. Es ist nicht auszuschließen, dass aus den jugendlichen Opfern von sexuellem Missbrauch, körperlichen Misshandlungen und psychischer Gewalt später "Nachahmungstäter" werden.
Auch durch die Flut gewaltverherrlichender und pornographischer Darstellungen insbesondere in den elektronischen Medien und auf Handys ist ein Abbau "natürlicher" Hemmschwellen oder schlimmstenfalls das Annehmen dieser virtuell gezeigten menschenverachtenden Handlungsmuster möglich.
Zudem können besondere Probleme bei nicht integrierten jungen Ausländern und bei nicht integrierten jugendlichen Spätaussiedlern bestehen.
Was versprechen Sie sich von dem Deutschen Präventionstag im Bereich der Kriminalprävention?
Dr. Günther Beckstein: Der Deutsche Präventionstag hat sich in der Bundesrepublik als unverzichtbare Ideenbörse für Theorie und Praxis rund um das Thema Prävention profiliert. Insbesondere die nachhaltige Vernetzung und Bündelung von Präventionskompetenzen der unterschiedlichsten Bereiche – angefangen von Sicherheitsbehörden und der Wissenschaft bis hin zu Politik und Wirtschaft – halte ich für besonders gewinnbringend. Denn der gesamtgesellschaftliche Ansatz ist der Schlüssel zur erfolgreichen Kriminalprävention. Und funktionierende Kriminalprävention ist Grundvoraussetzung für eine gute Sicherheitspolitik. Hier sehe ich das im Volksmund in Zusammenhang mit der Gesundheitsprävention bekannte Motto "Vorbeugung ist die beste Medizin" in einer weiteren wichtigen Dimension bestätigt.
Auch das Schwerpunktthema des 11. Deutschen Präventionstags in Nürnberg wird einen bedeutenden Beitrag zur Fortentwicklung der Kriminalprävention leisten. Unter der Überschrift "Sport und Prävention" beleuchten eine Vielzahl von Expertinnen und Experten in Fachvorträgen und Foren die verschiedensten Aspekte zu diesem Themenkomplex. Eine informative und vor allem gewinnbringende Veranstaltung ist garantiert.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Sport im Bereich der Kriminalprävention?
Dr. Günther Beckstein: Sport ist bei weitem mehr als "nur" Gesundheitsvorsorge oder Freizeitbeschäftigung. Sport kann Zeichen setzen gegen Gewalt, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Ich erinnere nur an das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland: "Die Welt zu Gast bei Freunden". Neben der Funktion als Botschaftenträger im Bereich des Spitzensports hat Sport für mich eine Reihe weiterer mittelbarer und unmittelbarer kriminalpräventiver Effekte. Ich denke hier beispielsweise an das Trainieren des sozialen Verhaltens und das Vermitteln von sozialen Kompetenzen wie Fairness, Stressstabilität, Kommunikationsfähigkeit oder Leistungsmotivation. Daneben ist unbestritten, dass die körperliche Betätigung auch zum Abbau von möglichem Aggressions- und Gewaltpotenzial führen kann.