Eine „multipräsidiale“ Persönlichkeit: Erika Dienstl wird 95 Jahre alt
Die erste Präsidentin eines deutschen Sportverbands hat die nationale und internationale Sportwelt mehr als 50 Jahre geprägt.
27.01.2025
Sie ist die älteste „multipräsidiale“ Persönlichkeit des deutschen Sports, sie hat mit ihren verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten die nationale und europäische Sportwelt weit über 50 Jahre geprägt - und sie war die erste Frau als Präsidentin eines deutschen Sportverbandes: Erika Dienstl vollendet am Samstag, 1. Februar, an ihrem Wohnort in Stolberg in der Städteregion Aachen ihr 95. Lebensjahr.
Erika Dienstl war von 1986 bis 2000 erste Präsidentin des Deutschen Fechter-Bundes, anschließend wurde sie zur Ehrenpräsidentin ernannt. Von 1982 bis 2002 war sie als Vizepräsidentin im Deutschen Sportbund (DSB), einer der Vorgängerorganisationen des heutigen Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), tätig und hier insbesondere für die Ressorts „Internationales“ sowie „Sport und Umwelt“ zuständig.
Ihre eigene aktive Karriere im Fechtsport begann sie 1952 mit dem Eintritt in den Stolberger Fechtclub, nachdem sie schon im Alter von sechs Jahren beim Allgemeinen Turnverein Stolberg-Atsch das „Bewegungs-ABC“ im Kinderturnen erlernt hatte. Nach dem Abitur und der Ausbildung zur Industriekauffrau startete Erika Dienstl eine berufliche Karriere beim Chemiekonzern Grünenthal an ihrem Heimatort in Stolberg, wo sie später bis in eine Führungsposition im Einkaufsmanagement aufstieg. Neben dem Berufsleben war und ist der Sport jedoch ihre wichtigste Berufung - frühzeitig mit Schwerpunkten auf der ehrenamtlichen Funktionärsebene.
Ihr Talent für „höhere“ Aufgaben wurde im Frühjahr 1968 in der Sportschule des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen (LSB NRW) in Duisburg-Wedau entdeckt, als Erika Dienstl von der Sportjugend des LSB NRW zum Auswahlwettbewerb für den Betreuerstab der Deutschen Sportjugend (dsj) beim Olympischen Jugendlager in Mexiko nominiert wurde und sich auch prompt dafür qualifizieren konnte. Ihr Amt als Jugendwartin des Rheinischen Fechter-Bundes hatte sie da schon abgelegt und war zur Jugendwartin im DFB aufgestiegen. 1970 wurde sie Vorstandsmitglied in der dsj für internationale Aufgaben, von 1972 bis 1982 folgte sie dann dem Vorsitzenden Dieter Buchholtz als die erste Frau in der Geschichte der dsj in diesem Amt und setzte hier sowohl sportfachliche als auch soziale Akzente.
Eines ihrer Lieblingsprojekte war der Deutsch-Japanische Jugendaustausch im Sport: „Damals wurde die Idee geboren, welche bis heute Bestand hat: Der Simultanaustausch zwischen der Japan Junior Sport Club Association und der Deutschen Sportjugend. Nicht nur alle vier Jahre zu den Olympischen Spielen, sondern jedes Jahr wollten wir Jugendlichen beider Länder ermöglichen, die Kultur des anderen zu erleben. Die gemeinsame Basis bilden bis heute immer der Sport und die Werte, die mit ihm verbunden sind“, erinnert sich Erika Dienstl an diese dsj-Initiative, an der inzwischen mehr als 10.000 Jugendliche beider Länder teilgenommen haben.
Genau 20 Jahre war Erika Dienstl ab 1982 Vizepräsidentin des DSB, zunächst unter Präsident Hans Hansen, später mit dem Berliner Freiherr Manfred von Richthofen als letztem DSB-Chef vor der Gründung des DOSB im Jahr 2006, der die Jubilarin anlässlich ihres 70. Geburtstages in einer Laudatio als die „engagierte Außenministerin des deutschen Sports“ bezeichnet hatte.
Ein weiteres erfolgreiches Leuchtturmprojekt von Erika Dienstl ist die Errichtung des EU-Büros des Sports in Brüssel 1993, für das sie den ideellen Grundstein gelegt und die diplomatischen Weichen gestellt hat. 2008 wurde sie in Istanbul dafür mit dem Laurel Awards der Vereinigung der Europäischen Olympischen Komitees ausgezeichnet. Bereits 1977 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande überreicht, 1984 folgte das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und 1996 das Große Bundesverdienstkreuz. 1997 erhielt sie den Olympischen Orden des IOC, die höchste internationale Sportauszeichnung überhaupt.
Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper, langjährige Vizepräsidentin des DOSB für Bildung und olympische Erziehung und seit Dezember 2024 Ehrenmitglied des DOSB, sagt: „Erika Dienstl kann auf ein einzigartiges Lebenswerk zurückblicken. Für ihr jahrzehntelanges Engagement in vielen unterschiedlichen Facetten des Sports gebührt ihr unser großer Dank. Ihr ist es gelungen, den Grundstein für nachhaltige Entwicklungen im Sport zu legen. Das ist ein Ansporn für uns alle."
Den Sport verfolgt Erika Dienstl weiterhin täglich medial in Zeitungen und im Fernsehen - nicht ohne hier und da schon mal ihre energisch-kritische Stimme zu erheben. Genauso gern erzählt sie „anekdotische Fakten“ aus ihrem langen Sportfunktionärsleben. Alle, die mehr über sie lesen möchten, können das im Buch „Voilà, une dame: Facetten aus dem Leben und Wirken der Erika Dienstl“ des Leipziger Sportwissenschaftlers Berndt Barthtun.
Die Vorfreude auf ihren 95. Geburtstag ist groß bei Erika Dienstl, zumal der erste prominente Glückwunsch schon eingetroffen ist. IOC-Präsident Thomas Bach, Fecht-Olympiasieger von Montreal 1976, fühlt sich der Jubilarin in besonderer Weise verbunden: „Erika Dienstl war zu meiner Zeit als junger Fechter oft unsere Delegationsleiterin und damit unsere Chefin. Das ist sie für mich bis heute geblieben. In all ihren vielen Funktionen im Sport wurde sie von allen höchst respektiert. Und immer war ihr das Wohl der Sportlerinnen und Sportler am wichtigsten. Der deutsche und internationale Sport verdanken ihr sehr viel“.
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann