E-Sport: Hype und Hybris
Nicht jedes Spiel ist Sport. Allerdings fordert der E-Sport seinen Platz bei Sportveranstaltungen. Autor Hans-Jürgen Schulke hat sich auf der "Gamescom" umgesehen.

30.08.2017

Vor 80 Jahren hat der holländische Philosoph Johan Huizinga in seinem „Homo Ludens“ das Spiel als Wesensmerkmal menschlicher Kultur herausgearbeitet. Auch den Sport hat er dem Spiel zugeordnet. Doch ist nicht jedes Spiel Sport. Auch Musiker oder Theaterleute spielen, der Maler spielt mit Farben und der Bildhauer mit Formen. In ihren Eigenwelten ist Spiel „heiliger Ernst“.
Wie schwer Abgrenzungen und Gemeinsamkeiten zwischen Spiel und Sport (nicht wenige Vereine tragen beides in ihrem Namen, die Olympischen Spiele sind die größte Sportveranstaltung) konnte in diesen Tagen auf einem ganz anderen, weil digitalen Feld besichtigt werden. In Köln wurde gerade die größte Computer- und Spielemesse der Welt, die „Gamescom 2017“ beendet. Vor 25 Jahren eher ein Insidertreffen einiger Nerds, die in Garagen und Kellerräumen mühsam wie originell ihre Computer verlinkten, hat sie im globalen Internet 4.0 veritable Ausmaße erlangt. 350.000 Besucher besichtigten neue Spiele und schnellere Netze, 14 Millionen User machten das interaktiv, eine breite Berichterstattung bis zur Tagesschau in Primetimes, fast 1000 meist hochkarätige Aussteller in der KölnMesse, mehrere gut besuchte Kongresse, die Präsenz bis dahin nie erlebter Bundes- und Landespolitiker – allen voran die Bundeskanzlerin. Sie nannte E-Games pauschal ein „Kulturgut“ und folgte damit Koalitionsvereinbarungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen oder den Wahlprogrammen verschiedener Bundestagsparteien.
Zweifellos ist die „Gamescom 2017“ auf dem Spielemarkt in eine neue Dimension vorgestoßen und ist Ausdruck des aktuellen Hypes in dieser Branche, auch wenn sie bei weitem noch keine Olympischen Dimensionen erreicht. Aber es ging sportlicher zu als noch vor einigen Jahren denkbar. Diverse alte und neue Sportspiele wurden unter großer Aufmerksamkeit registriert (vom Fußball und Tennis bis zu Formel 1 und einem multiplen „Scort“), spannende E-Sportturniere mit respektablen Siegprämien an die Messe angebunden und vielfach die dynamische Entwicklung der elektronischen Sportspiele diskutiert. Schließlich schätzt man mittlerweile 300 Millionen Intensivspieler, Milliarden an Umsätzen und weiß um zweistellige Millionenbeiträge als Prämie in einem einzigen Turnier in diesem Monat in den USA.
Deutlich wurde die klarere Strukturierung nach Spielarten, Regeln, Ligen und Turnieren gefordert bzw. vorangetrieben Die Vertreter der unterhaltsamen E-Gamesindustrie haben zur Koordinierung auch mit der Politik einen Dachverband „GamesDeutschland“ gegründet. Hier soll auch die Kooperation mit den Sportorganisationen erörtert werden. Die zeigen sich ob der Dauerhaftigkeit des Hypes noch reserviert, zudem sind für sie martialische Ballerspiele oder pädagogische „serious games“ nicht mit E-Sports gleich zu setzen. Das IOC hat eine solche Bestimmung deutlich gefordert, andererseits die Offenheit gegenüber E-Sport als Teil des Olympischen Programms angedeutet, in Asien für 2022 bereits beschlossen. Schließlich will man ja die Generation der „digital natives“ und damit einen Teil der Zukunft nicht für die Sportfamilie verlieren.
Leichter wird die Kooperation vermutlich nicht durch die Initiative einiger Agenturen, im November in Helsinki bei einem Symposium die „disruption“ des organisierten Sports zu planen. Was zunächst mehr nach Hybris junger Leute aussieht, sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Facebook, Amazon, Uber waren zunächst auch wenig beachtete Geschäftsmodelle und haben binnen weniger Jahre etablierte Geschäftsmodelle in Handel, Verkehr und Bildung „disruptioniert“, sind zu unvorstellbaren Erfolgsgeschichten aufgestiegen. Warum also sollten nicht im E-Sport mit Unterstützung digitaler global player demnächst stark besuchte „World Championships“ oder „Champions Leagues“ durch start-ups organisiert werden? Schon heute gibt es sie bereits bei Drohnen-Rennen oder Roboter-Fußball.
Das könnte auch beschleunigt werden, wenn den internationalen Sportverbänden ihre monopolartige Stellung bei Sportveranstaltungen bestritten wird. Ein solcher Antrag liegt jedenfalls bei der Wettbewerbskommission der EU vor und die dänische Kommissarin Vesteger hat eine kritische Prüfung in Aussicht gestellt. Vielleicht aber geht es nicht nur mit Konkurrenz und Verdrängung, sondern auch hybride Lösungen praktikabel: Bundesligavereine wie Schalke, Wolfsburg und Leipzig sind bereits dabei, realen wie virtuellen Fußball zu verbinden.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 35, Hans-Jürgen Schulke)