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DOSB/VDS-Journalistenpreis: Persönliche Weltrekorde

Mit diesem Beitrag gewann Friedhard Teuffel (Berlin) den 2. Preis im vom DOSB geförderten Berufswettbewerb des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) zum Thema „100 Jahre Deutsches Sportabzeichen“.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

01.04.2014

Der Ordensmeister wartet schon, gleich wird er ein Ehrenzeichen verleihen, ganz offiziell, es darf am Revers getragen werden wie das Bundesverdienstkreuz. So sagt es das Ordensgesetz. Peter Plaschke hat sich dem Anlass entsprechend angezogen, Turnschuhe und Trainingshose. Es geht um die Auszeichnung, besonders fit zu sein. Als der zu Ehrende kommt, setzt Plaschke seine Lesebrille auf, zieht aus einer Klarsichthülle eine Urkunde für das Sportabzeichen und überreicht sie mit den feierlichen Worten: „Horst, hier haste es, dass Du ein guter Sportler bist, ham wir dir ja schon gesagt.“

100 Jahre wird das Deutsche Sportabzeichen in diesem Jahr alt.  Es hat eine Jubiläumstour durchs ganze Land hinter sich. Sie endet an diesem Samstag da, wo auch sonst höchste Orden verliehen werden, beim Bundespräsidenten, im Park von Schloss Bellevue. 500 Teilnehmer sollen sich nochmal in Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer und Koordination versuchen, einer der Prüfer wird Plaschke sein. Fast ein Drittel der Sportabzeichen-Geschichte hat Plaschke aktiv mitgemacht. In 30 Jahren hat er Tausende von Prüfungen abgenommen, Höhen und Weiten gemessen, Zeiten gestoppt. „Das Sportabzeichen ist eine Einstiegsdroge für den Sport“, sagt er. Er scheint ihr genauso verfallen zu sein, wie denen, den er sie anbietet.

Um 17 Uhr hat Plaschke an diesem Tag eine kleine Ballauswahl auf die Steinstufen des Ernst-Reuter-Stadions in Zehlendorf gelegt, Schlagball, Schleuderball, Medizinball, dazu ein Maßband und das entscheidende Utensil: die Tabelle, in der drinsteht, wer wie viel leisten muss, um welches Abzeichen zu bekommen. „Wir haben Cracks dabei und wir haben Pflaumen dabei“, sagt er und knetet in seinen Fingern das Papier eines Eukalyptusbonbons.

Die ersten Sportler kommen, 24 werden es an diesem Abend sein. Wer an der Steintribüne vor der Weitsprunggrube auftaucht, geht gleich auf Plaschke zu und schüttelt ihm die Hand. Sportabzeichen ist hier keine einmalige Fitnessprüfung. Es geht ums Sporttreiben allgemein und auch um ein bisschen Geselligkeit. 1500 Leute kommen zu Plaschke in einer Saison,  die immer am ersten Freitag im April losgeht und am letzten Freitag im September endet. Etwa 600 haben dann die Prüfung abgelegt, manche ihm auch persönliche Sorgen erzählt.

Aus Plaschkes Überzeugung für das Sportabzeichen ist ein Verein geworden, Tell Berlin, 10 Mitglieder, davon sechs aus der Familie Plaschke. „Wir wohnen ja auch nur 150 Meter Luftlinie vom Stadion entfernt.“ Seine Frau beginnt mit der Aufwärmgymnastik. Sogar den Urlaub würden sie nach der Saison legen, um jeden Freitag im Stadion sein zu können, sagt der 69-Jährige. Er selbst hat das Abzeichen in diesem Jahr zum 26. Mal gemacht. „Um mir zu zeigen, dass ich noch nicht vergreise.“

843 890 Mal wurde das Sportabzeichen 2012 in Deutschland abgelegt, es gab  Jahre, in denen die Millionengrenze durchbrochen wurde. Hinterhergeworfen bekommt man es nicht. „Das Sportabzeichen ist ein Leistungsabzeichen, keine Pille-Palle-Geschichte“, sagt  Bernd Laugsch, der beim Deutschen Olympischen Sportbund für das Sportabzeichen verantwortlich ist, „wir wollen aber kein ,Entweder du schaffst es oder du schaffst es nicht.‘ Das Sportabzeichen ist ein Instrument für unsere Vereine, um Mitglieder anzusprechen und zu halten.“ Um das Abzeichen attraktiver zu machen, ist in diesem Jahr einiges verändert worden, es gibt nun etwa Leistungsstufen von Bronze über Silber zu Gold. „Das entspricht dem Charakter des Sports, sich zu verbessern und zu messen“, sagt Laugsch.

Wie es oft ist bei langen Beziehungen, so kann auch Plaschke beim Sportabzeichen über kleine Macken nicht mehr leicht hinwegsehen. Dass es für die Altersklasse ab 75 keine 100 Meter-Läufe mehr gibt zum Beispiel, sondern 30 Meter, ärgert ihn. „15 Muskelfaserrisse hatte ich deshalb schon in diesem Jahr“, knurrt Plaschke. Enttäuscht ist er auch darüber, dass die Schwimmfähigkeit nun nur noch alle fünf Jahre nachgewiesen werden muss. „Es fehlen die Schwimmbäder. Sie sind für die Kommunen zum Luxus geworden.“  Das Sportabzeichen erzählt auch von Zuständen und Veränderungen im Land. Dass immer weniger Menschen zwischen 30 und 50, also in der Rush-Hour des Lebens, Sport treiben. „Unsere Leute kommen bis 15 und dann wieder ab 50“, sagt Plaschke.

Die Gymnastik ist vorbei, jetzt sind die einzelnen Disziplinen dran. Plaschke nimmt seine Liste zur Hand und fährt mit dem Finger hoch und runter wie ein Bahnhofsvorsteher über seinen Fahrplan. Jeder Sportler will in eine andere Richtung. Und auch verschiedene Geschwindigkeiten gibt es von eilig bis zu express. Plaschke erteilt jedem seine Auskunft. Für den Behindertensport nimmt er ebenfalls Sportabzeichenprüfungen ab.

Er findet, das ist vielleicht seine größte Leistung, für jeden ein eigenes, motivierendes Wort. Einem Schlaganfallpatienten, der 60 Zentimeter hoch sprang, sagte er: „Das ist heute dein persönlicher Weltrekord.“ Begeistern ist Plaschkes Talent. „Wer rumsteht und die Prüfung geschafft hat, ist demotivierend für die anderen.“ Deshalb schafft er neue Herausforderungen: „Nimm doch statt Kugelstoßen auch mal Steinweitwurf.“ Und wen auch das noch nicht fordert, dem bietet Plaschke einfach das österreichische Sport- und Turnabzeichen an oder das norwegische. Bei Peter Plaschke kann man so auch noch Sportabzeichen-Europameister werden.

(Quelle: Friedhard Teuffel/Tagesspiegel)

Hinweis: Dieser Beitrag von Friedhard Teuffel (39) ist am 14. September 2013 im Tagesspiegel erschienen. Damit gewann der Berliner den 2. Preis im vom DOSB geförderten Berufswettbewerb des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) zum Thema „100 Jahre Deutsches Sportabzeichen“. Der Beitrag ist nicht zur Weiternutzung für Vereine und Verbände freigegeben.

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