Die Unverzichtbaren
Ohne sie ist Wettkampfsport nicht möglich. Sie sind objektiv, neutral und mitten im Geschehen: Die Schieds,- Kampf- und Punktrichter im Sport.

12.08.2015
„Stopp! Stopp!“ Karl-Heinz Piwolinski ist ein alter Hase. Und was er gerade gesehen hat, hat dem Supervisor der Düsseldorfer Stadtmeisterschaften im Boxen nicht gefallen. Denn eben gab ein Ringrichter einen Kampf frei, ohne den Gong abzuwarten. Das ist nicht regelgerecht und Piwolinski kennt da nichts, er grätscht sofort dazwischen. Der Mann kann pingelig sein.
Kein Wunder: Als Supervisor – das ist so etwas wie ein Oberschiedsrichter – trägt er die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Ablauf des Wettkampfes sowie die Einhaltung des Regelwerks. Und ein Ringrichter hat nun einmal das Zeichen des Gongs abzuwarten. Punkt.
Boxen ist Leidenschaft. Auch in Düsseldorf kocht die Stimmung bisweilen hoch. Trainer ereifern sich, und Angehörige der Boxer schreien Kommandos in den Ring - was nicht erlaubt ist. Piwolinksi hat seine Augen überall, schreitet mehrmals ein. Dabei ist er nicht alleine. Zu einem Kampfgericht, ohne das ein Boxkampf nicht stattfinden kann, gehören neben dem Supervisor der Ringrichter, die Punktrichter und Zeitnehmer. Außerdem ist immer ein Arzt dabei.
„Die Gesundheit der Boxer hat oberste Priorität!“, betont Piwolinski. Dafür trage ebenfalls der Ringrichter eine große Verantwortung. „Er muss erkennen, ob ein Boxer angeknockt ist, auch wenn er nicht k.o. ist, und gegebenenfalls den Kampf abbrechen.“ Selbst wenn die Betreuer anderer Meinung sein sollten...
Einhaltung der Regeln ist das A und O
Im Boxring „tanzt“ derweil der Ringrichter um die Kontrahenten herum. Eine wahre Choreografie, um unerlaubte Schläge zu erkennen und schnell eingreifen zu können, selbst wenn „nur“ ein Mundschutz rausfliegt.
„Es ist schon vorgekommen, dass ein Ringrichter einen Schlag abbekommen hat, was im Schwergewicht nicht ohne ist. Ist aber sehr selten“, erzählt Piwolinksi auf Nachfrage. Überhaupt: Im Großen und Ganzen gingen Kampfrichter und Sportler respektvoll miteinander um.
In der Tat: Ohne Respekt geht es im Schiedsrichterjob nicht. Das ist nicht immer leicht. „Ich bin überzeugt, dass Schiedsrichter nicht absichtlich für oder gegen jemanden pfeifen“, sagt Axel Garnatz, 1. Vorsitzender des Wasserball-Bundesligisten ASCD Duisburg: „Aber als Fan kann ich gar nicht objektiv sein. Was uns der Schiedsrichter schenkt, finde ich normal, aber was er uns kaputt pfeift, das sehe ich sofort.“
Dabei gilt gerade im Wasserball: „Diese Sportart ist die schwierigste, die es für Schiedsrichter gibt“, meint Christian Vollmert, Landestrainer am Olympiastützpunkt Rhein-Ruhr, „man kann fast jede Situation in die eine oder andere Richtung interpretieren, weil vieles unter Wasser stattfindet.“
Schiedsrichter Helmut Glaß relativiert etwas: „Natürlich dürfen wir nur pfeifen, was wir auch sehen. Aber selbst wenn unter Wasser gehalten wird, erkennen wir an den Reaktionen der Spieler, ob einer schauspielert.“ Nun, einfach klingt das nicht. Und tatsächlich: Obwohl beim Wasserball mit zwei Schiedsrichtern gepfiffen werde, kommt es gelegentlich vor, dass die beiden die gleiche Situation zu Gunsten der jeweils anderen Mannschaft beurteilen. Dann muss der Schiedsrichterball entscheiden...
Unruhe kommt oft von der Bank und nicht von den Spielern
Grundsätzlich fühlt sich Glaß respektiert. „Die Spieler sind diszipliniert und wissen, wenn ich eine Entscheidung treffe, dann steht die, und wenn er protestiert, ist das Spiel für ihn zu Ende. Die Unruhe kommt eher von der Bank.“ OSP-Landestrainer Vollmert kennt die sensible Situation: „ Manche Trainerkollegen verstehen ihre Rolle eher als Coach, und versuchen dem Schiedsrichter „Entscheidungshilfen“ zu geben.“ Funktioniert das? „Es kommt halt darauf an, wie gut ist der Schiedsrichter ist und wie stark als Persönlichkeit.“
Helmut Glaß hat Persönlichkeit und weiß dennoch um die Unvollkommenheit seiner Tätigkeit: „Vor jedem Spiel mache ich ein „Reset“. Alles geht ab Null, egal was war. Aber man kann sich als Mensch wahrscheinlich nicht davon freisprechen, unterbewusst im Fall der Fälle gegen jemanden zu pfeifen, der schon öfter mal schlecht aufgefallen ist.“
Gleich doppelt „richten“ muss Swetlana Dehn, wenn sie als Kampfrichterin in der Rhythmischen Sportgymnastik unterwegs ist. Zwei Werte fließen beim Wettkampf in die Endnote einer Gymnastin ein. „Mit dem D-Wert bestimmen wir den Schwierigkeitsgrad der körper- und gerätetechnischen Elemente. Der E-Wert ist für deren Ausführung, für Ausdruck, Emotionalität und Musik zuständig“, erläutert Dehn.
Eine komplexe Aufgabe, denn die Elemente, die eine Gymnastin turnen möchte, sind auf einem Formblatt aufgezeichnet. Das Kampfgericht muss während der Vorführung vergleichen, ob und wie sie diese Elemente ausführt. Dafür braucht es ein gutes Auge und viel Erfahrung. Denn die Elemente folgen schnell aufeinander. „Es hilft, wenn man selber Gymnastin war oder Trainerin ist“, sagt Swetlana Dehn, die beides kennt.
Dabei sehen die verschiedenen Kampfrichterinnen die Leistung der Sportlerinnen nicht immer gleich. „Wenn wir mit unseren Bewertungen zu weit auseinander liegen, ruft uns die Oberkampfrichterin zu sich und wir müssen uns einigen“, sagt Dehn, „daher versucht man mit seiner Bewertung immer innerhalb der Toleranz zu liegen, die wir vorher in der Kampfrichterbesprechung festgelegt haben.“ Das gelingt nicht immer - und zeigt, dass bei größter Objektivität und festgelegter Wertungskriterien bei vielen Sportarten nicht alles messbar ist.
Auch damit müssen Sportler leben – und Schiedsrichter ebenfalls. Damit und mit allen Unvollkommenheiten, die der Job mit sich bringt. Aber Schieds-, Kampf- und Punkterichter ermöglichen erst den Wettkampfsport, und jene, die sich berufen fühlen, geben definitiv ihr Bestes. Mehr kann man nicht verlangen!
(Quelle: Michael Stephan/Text für den Landessportbund Nordrhein-Westfalen erschien zuerst im LSB-Magazin „Wir für Sport“)