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Die Olympische Idee als Erbe und Auftrag des DOSB

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

12.05.2006

Ein Rückblick auf die Geschichte des NOK für Deutschland

Am 20. Mai 2006 geht das Nationale Olympische Komitee (NOK) für Deutschland in der Frankfurter Paulskirche zusammen mit dem Deutschen Sportbund (DSB) in einer neuen Dachorganisation auf, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Mehr als ein halbes Jahrhundert im Zentrum, am Rande und manchmal wohl auch im Abseits sportpolitischen Handelns sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, Anlass für einen kurzen Rückblick.

 

Zu den Selbstverständlichkeiten zählt es, dabei an die Gründerväter wie Herbert Kunze zu erinnern, das einzige noch lebendes Gründungsmitglied des NOK (und gleichzeitig des DSB). Für die über 50jährige Geschichte des NOK stehen Namen langjähriger Präsidenten, zentrale Momente der deutschen olympischen Nachkriegsgeschichte wie „München 1972“, Herausforderungen, die die deutsche Teilung und der „Kalte Krieg“ oder die Legitimation des Hochleistungssports darstellten, kritische Begleiter und Wegbegleiter des olympischen Sports in die Gesellschaft, traditionsreiche olympische Fachverbände und nicht zuletzt sportliche Höhepunkte und Olympiateilnehmer, auf die das NOK als Mitglieder und Repräsentanten zurückgreifen durfte.

 

Im Strudel der Zeitgeschichte

 

Die Geschichte der Olympischen Bewegung in Deutschland ist dabei nicht allein Geschichte olympischer Eliten, eine Geschichte herausragender Persönlichkeiten und Ereignisse der Zeitgeschichte, visionärer Sportpolitiker und herausragender Sportler, sondern auch ein Spiegel der tief greifenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im 20. Jahrhundert. Weltkriege, Kaiserreich, Nationalsozialismus, Besatzungszonen, Berliner Sonderstatus, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Kalter Krieg, Saarland, Beitritt der neuen Bundesländer haben ganz unmittelbaren Einfluss auf Entstehung, Organisation und Entwicklung des olympischen Sports und insbesondere auch des NOK für Deutschland genommen. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und sportwissenschaftliche Institute haben sich, oft mit Unterstützung des NOKs, ausführlich mit dieser Sozial- und Zeitgeschichte der Olympischen Bewegung auseinandergesetzt.

 

Dem NOK für Deutschland sind eine ganze Anzahl von Vorläufer-Organisationen vorangegangen sind. Bereits ein Jahr nach Gründung des Internationalen Olympischen Komitees, am 23. Juni 1894 in Paris, war am 13. Dezember 1895 ein „Komitee für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen 1896 in Athen“ gegründet worden. Initiator war der Chemiker Dr. Willibald Karl August Gebhardt. Erster Präsident wurde Erbprinz Philipp zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Ihm folgten weitere neun Präsidenten, die das Komitee, das zwischenzeitlich sechsmal seinen Namen änderte, durch wechselvolle Zeiten bis zum Jahre 1945 führten. In Folge des Zweiten Weltkriegs wurde der seit 1926 firmierende „Deutsche Olympische Ausschuss“ am 10. Oktober 1945 auf der Grundlage des Alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 2. aufgelöst. Wenig später verfügte eine Direktive des Kontrollrates die Auflösung aller Sportorganisationen bis auf jene lokalen Charakters. Die Olympischen Spiele 1948 fanden ohne deutsche Beteiligung statt, das IOC hatte sich 1947 auf seiner 40. Session in Stockholm gegen eine Teilnahme Deutschlands ausgesprochen. Erst am 24. September 1949 kam es unter der im Jahre 1950 auch vom IOC anerkannten Bezeichnung „Nationales Olympisches Komitee für Deutschland“ zur Wiedergründung und Eintragung als Verein mit Sitz in München in das Vereinsregister. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR existierte von 1951-1965 zunächst ein „Nationales Olympisches Komitee für Ostdeutschland“, später (1965-1990) ein „Nationales Olympisches Komitee der DDR“. Nicht zu vergessen auch das Nationale Olympische Komitee des Saarlandes, das 1950-1957 ein eigenes Kapitel olympischer Nachkriegsgeschichte schrieb. Als erster Präsident des NOK für Deutschland (auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik) agierte das damalige IOC-Mitglied Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg (bis 1951), dem Dr. Karl Ritter von Halt (bis 1961), ebenfalls IOC-Mitglied im Amt folgte. Von 1961 bis 1992 stand IOC-Mitglied Willi Daume, ein Essener Unternehmer, dem NOK vor, der bis 1970 auch den Deutschen Sportbund führte und als Präsident des Organisationskomitees für die Spiele der XX. Olympiade München 1972 die Konzeption dieser Spiele maßgeblich gestaltete. Ihm folgte am 12.12.1992 der bisherige Generalsekretär Walther Tröger im Amt nach. Er wurde am 3. November 2002 in Nürnberg von dem Mediziner Dr. Klaus Steinbach, einem ehemaligen Weltklasseschwimmer und Olympiateilnehmer abgelöst, dessen Amtszeit als NOK-Präsident im November 2006 geendet hätte. Im IOC führt derzeit Walther Tröger (seit 1989) die Liste jener Persönlichkeiten fort, die vor und nach 1949 Aufnahme in diesem Gremium fanden. Nach ihm wurden Dr. Thomas Bach (1991) und Dr. Roland Baar (1999-2004) als Mitglieder in das IOC berufen. Dr. Thomas Bach gelang dabei im laufenden Jahr bereits zum zweiten Mal die Wahl zum Vizepräsidenten und Mitglied der IOC-Exekutive. Unterstützt wird die Arbeit der beiden deutschen IOC-Mitglieder durch zahlreiche deutsche Mitglieder in IOC-Kommissionen und Arbeitsgruppen.

 

Die deutsche Frage lange im Zentrum

Seit seiner Wiedergründung hat das NOK für Deutschland zu allen Olympischen Sommer- und Winterspielen von 1952-2006 mit Ausnahme Moskaus 1980 Olympia-Mannschaften entsandt. Die Diskussion um die 1956, 1960 und 1964 startenden gesamtdeutschen Mannschaften prägten die sportpolitischen Diskussionen und Aufgaben des NOK in den ersten Jahren. Erstmals getrennt – wenn auch noch mit gemeinsamer Flagge (schwarz-rot-gold mit weißen Olympischen Ringen) – ging man 1968 bei den X. Olympischen Winterspielen in Grenoble an den Start. Zu den Spielen der XXII. Olympiade Moskau 1980 wurde aufgrund der Entscheidung der NOK-Mitgliederversammlung am 15. Mai 1980 in Düsseldorf keine Olympiamannschaft entsandt. Dieser Entscheidung gingen entsprechende Empfehlungen von Bundesregierung und Bundestag voraus, die im Zusammenhang mit dem militärischen Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 standen.

Die DDR war nach der vorläufigen Anerkennung ihres NOK durch das IOC 1951 von 1956 bis 1964 innerhalb der Gesamtdeutschen Mannschaften, seit 1968 – nach der vollständigen Anerkennung des NOK der DDR durch die IOC-Session in Madrid mit eigenständigen Mannschaften bei allen Olympischen Spielen mit Ausnahme der vom Ostblock boykottierten Spiele von Los Angeles vertreten.

 

Nach der Auflösung der DDR und dem Beitritt der fünf Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 vereinigten sich am 17. November 19990 auch die beiden deutschen NOKs. Nach gründlichen Vorgesprächen kooptierte das NOK für Deutschland auf der Basis einer temporären Satzungsänderung zehn persönliche und drei Präsidialmitglieder des NOK der DDR, das seinerseits seine Auflösung zum Jahresende 1990 beschlossen und vollzogen hat. In Albertville ging 1992 erstmals nach 28 Jahren wieder eine „echte“ (gesamtdeutsche) Olympiamannschaft an den Start. In den Folgejahren begann eine schwierige, bis in die Gegenwart andauernde Aufarbeitung des Erbes, das der DDR-Sport hinterlassen hat. Stand am Anfang der Versuch im Vordergrund, sportliche Erfolge weiter zu schreiben, so waren es zuletzt die Nebenwirkungen und Folgeschäden, die das System der Talentauswahl- und –pflege, der Trainingsbetreuung und –begleitung, der erlaubten und unerlaubten medizinischen und pharmakologischen „Unterstützung“ und auch der Bespitzelung für seine Leistungssportler bereit hielt.

Legitimation und Verbreitung der Olympischen Idee

Das NOK agierte im Rahmen eines relativ eng umgrenzten Kerngeschäftes, wenngleich sein sportpolitischer Anspruch eigentlich wesentlich darüber hinaus zu reichen schien. Es war dem IOC gegenüber verpflichtet, Aktive zu Olympischen Spielen zu entsenden, bereitete die Teilnahme des deutschen Sports an Olympischen Spielen vor, berief die Mannschaftsleitung und besetzte mit seinem anfangs kleinen, zuletzt auf 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsenen Stab der Frankfurter Geschäftsstelle zusammen mit dem Bereich Leistungssport zentrale Betreuungs-Positionen für die Olympiamannschaften.

 

Über die Teilnahme deutscher Mannschaften an Olympischen Spielen hinaus koordinierte das deutsche NOK zahlreiche weitere internationale Veranstaltungen mit olympischem Zuschnitt auf deutschem Boden. Besonders in Erinnerung geblieben sind dabei die zwischen 1977 und 1981 gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft und der Max-Planck-Gesellschaft durchgeführten Symposien „Olympische Leistung. Ideal, Bedingungen, Grenzen. Begegnungen zwischen Sport und Wissenschaft, der Olympische Kongress 1981 in Baden-Baden mit seinem Beschluss zum Amateurparagraphen, die Besuche der IOC-Präsidenten Samaranch und Rogge (zuletzt zu einem Internationen Forum im September 2005 in Frankfurt) sowie der Mitglieder der IOC-Exekutive in Deutschland (zuletzt im Rahmen des Sportaccord-Kongresses im April 2004 in Berlin) sowie Diskussionsveranstaltungen wie u.a. das Ethik-Seminar „Erst das Siegen, dann die Moral“ im April 1989 in Hannover, das Internationale Forum zur Olympischen Erziehung 2001 in Wiesbaden oder das Internationale Olympische Forum in Frankfurt (2006).

 

Zahlreiche Themen-Veranstaltungen z.B. zu Fragen des Fair Play, Anti-Doping sowie zu Fragen der Internationalen Entwicklung und der Olympischen Erziehung, die das NOK in Deutschland durchführte und mit denen es insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren die sportpolitischen Diskussionen prägte, werden in Erinnerung bleiben. Großer Beliebtheit bei Olympiateilnehmern erfreuten sich Wiedersehenstreffen der Medaillengewinner 25 und 50 Jahre nach den jeweiligen Olympischen Spielen. Eine unter Beteiligung des NOK an der Baisis durchgeführte Veranstaltung ist der „Olympic Day Run“ anlässlich des IOC-Gründungstages, der zuletzt in Zusammenarbeit mit der DOG durchgeführt wurde. Resonanz erzeugten aber auch die NOK-Neujahrsempfänge mit prominenten Festrednern wie dem langjährigen Bundesminister des Innern Otto Schily, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Prof. Dr. Wolfgang Huber oder IOC-Präsident Dr. Jacques Rogge.

 

Mit dem Deutsche Olympischen Institut gelang dem NOK zunächst in Berlin, zuletzt in Frankfurt am Main die Einrichtung einer Begegnungs-, Studien- und Forschungsstätte gelungen, die mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, Publikationen und Dokumentationen Beiträge zur internationalen Olympischen Bewegung und zum Olympischen Sport leistete. Das Institut ergänzte die Arbeit des „Kuratoriums für Olympische Akademie und Olympische Erziehung“ und der „Willi-Daume-Stiftung“. Eine Kooperation in einer „Deutschen Olympischen Akademie Willi Daume“ ist nun angedacht. An den ehemaligen Präsidenten des Komitees erinnert darüber hinaus das seit 1993 an herausragende Nachwuchs-Wissenschaftler und Nachwuchskünstler mit Sportbezug verliehene Willi-Daume-Stipendium.

 

Das NOK folgte mit vielen seiner Maßnahmen, wie im Übrigen auch mit der Herausgabe zahlreicher Schriften, Publikationen und Dokumentationen im weiteren Sinne der Zielsetzung und dem Auftrag des IOC, olympisches Ideengut zu verbreiten und einen „sauberen“ von Ethik und Moral getragenen Hochleistungssport zu legitimieren. Aus diesem Anspruch leitete es die Mitwirkung im Kampf gegen Doping, Manipulation und Betrug im Sport ab, z.B. bei der Gründung der Nationalen Anti-Doping-Agentur aber auch seinen Beitrag bei Gründung und Erhalt des Deutschen Sport- und Olympiamuseums ab. Besonderer Erwähnung bedürfen die vom NOK herausgegebenen Schriften wie u.a. die 1989 unter dem Titel „Rückkehr nach Olympia“ erschienene Publikation zu Vorgeschichte, Gründung und Ersten Jahren, die 1999 herausgegebene, ebenso lesenswerte Zwischenbilanz „Deutschland in der Olympischen Bewegung“ und das Buch „Einblicke. Aspekte olympischer Sportentwicklung“, das sich weniger als die vorgenannten mit historischen Daten und Fakten als mit Olympischen Grundsätzen, Werten, Regeln und Moral beschäftigt. Ebenfalls unter der Regie des NOK herausgegeben wurden Übersetzungen der Olympischen Charta des IOC (zuletzt 2001). Eine ganz zentrale Rolle spielte aber auch die seit 1951 unter dem Titel „Olympisches Feuer“ erscheinende Mitgliederzeitschrift von DOG und NOK, die seit 1970 offizielles Organ des NOK ist. Ungezählte Essays und feuilletonistische Beiträge auf hohem Niveau reflektieren und begleiten darin die Olympische Bewegung in Deutschland.

 

Gewürdigt werden sollte auch die Arbeit des Kuratoriums für „Olympische Akademie und Olympische Erziehung“, die zunächst besonders in den nicht-olympischen Jahren die Arbeit des NOK stark prägte, die Zusammenarbeit mit Schulen, Hochschulen und Kultusverwaltungen suchte und in den vergangenen Jahren insbesondere auch durch hochwertige Lehr- und Lernmaterialien, wissenschaftliche und schulische Wettbewerbe und eigene Jugendlager bei Olympischen Spielen aufhorchen ließ.

 

Kontakte mit den NOKs in der ganzen Welt pflegte derweil die „Internationale Abteilung“. Von ihr wurden in erster Linie und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedsverbänden und Partnern in der Dritten Welt entwicklungspolitische Maßnahmen initiiert und betreut. Diese Arbeit reicht zurück in das Jahr 1961. Seit dieser Zeit bemühte sich der deutsche Sport unter der Federführung des NOK, zuletzt in erster Linie unterstützt durch das Auswärtige Amt, mit Hilfe von nicht weniger als 1300 Entwicklungsmaßnahmen intensiv um den internationalen Dialog und zählte damit zu den Pionieren der Sportförderung in Ländern der Dritten Welt.

 

Olympischen Spiele München als Höhepunkt

Den entwicklungsgeschichtlichen Höhepunkt des NOK für Deutschland stellten vermutlich die erfolgreichen Olympischen Spiele 1972 in München dar. Die bis zu einem Attentat palästinensischer Terroristen heiteren und exzellent organisierten Spiele spiegelten viel von der Aufbruchstimmung der noch jungen Bundesrepublik wider und entwickelten für den deutschen Sport eine enorme Zugkraft.

 

Eine weniger glückliche Hand hatte das NOK mit seinen darauf folgenden Olympiabewerbungen, die nicht mehr vom Optimismus und der Tatkraft der siebziger Jahre getragen waren. Sowohl Berchtesgaden (1992) als auch Berlin (2000) und Leipzig (2012) scheiterten mit zum Teil ernüchternden Abstimmungsergebnissen im IOC.

 

Einhergehend mit einer Renaissance des „Leistungsbegriffs“, zu Zeiten kritischer Theorie genau wie der Spitzensport selbst heftig diskutiert, fordert die Gesellschaft heute auch von den Sportorganisationen den Aufbruch neuer Eliten. Die Vision olympischer Spiele in Deutschland für künftige Generationen wach zu halten und darüber hinaus auch den übrigen vom IOC gestellten und über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg von zahllosen an dieser Stelle nicht genannten Akteuren zum Wohl des deutschen Sports erfüllten Aufgaben, weiterhin mit großem Engagement und olympischen Ehrgeiz nachzugehen, ist deshalb nun Aufgabe des Deutschen Olympischen Sportbundes, einer neuen, gemeinsamen Dachorganisation des deutschen Sports.

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