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Die Institute FES und IAT sind für den Spitzensport unverzichtbar

Die Aufregung bei den deutschen Schwimmern um die superschnellen Anzüge des australischen Herstellers Speedo in diesem Jahr konnte Harald Schaale gut nachvollziehen. Vorsprung durch besseres Material ist sein Fachgebiet.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

27.10.2008

„Das Problem mit den Anzügen ist hoch interessant. Zum Beispiel hätten wir eine wissenschaftliche Analyse vornehmen können, um herauszufinden, was da dran ist“, sagt der Chef des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Vom Deutschen Schwimm-Verband wurde die exklusive Fachberatung nicht angestrebt. Für den 53 Jahre alten Ingenieur keine überraschende Erfahrung. „Wir werden oft noch nicht als Chance wahrgenommen. Es gibt im deutschen Sport zu wenig Neugier, was wir machen und was wir können.“  

Die unter dem Dach des großen, weiß gestrichenen, dreistöckigen Hauses in Berlin-Schöneweide zusammengeballte Kompetenz ist beeindruckend. Unter den 53 Mitarbeitern, darunter frühere Weltklasse-Athleten wie Bahnradfahrer Sören Lausberg, gibt es Maschinen- und Schiffbauer, Physiker, Mathematiker, Elektroniker und sogar Spezialisten für Luft- und Raumfahrt. Strömungen im Wasser oder zu Lande zu simulieren, ist für sie fast eine der leichtesten Übungen. Die frühere Medaillenschmiede des DDR-Sports darf zwar mittlerweile auch als eine Art professionelle Prüfstelle für Sportgeräte von der Badehose bis zum Schlittschuh betrachtet werden. In erster Linie aber bleibt es Auftrag des Instituts, selbst erstklassige Kanus und Ruderboote, Rennräder, Bobs oder Schlitten zu bauen sowie hochempfindliche Messsysteme. Im modernen Spitzensport entscheiden oft genug technische Finessen über Sieg und Niederlage, über Gold und Blech. Die Waage im Weltsport möglichst zugunsten deutscher Erfolge zu neigen und die technischen Freiräume des Reglements in den Materialsportarten optimal auszunutzen, dafür tüfteln, basteln, konstruieren und bauen die Experten in Berlin sowie in der Außenstelle im thüringischen Oberhof. Kein deutscher Athlet ist verpflichtet, Material „made by FES“ zu benutzen. Jeder darf. Derzeit bestehen Kooperationsvereinbarungen mit zehn Spitzenverbänden. 

Komplette neue FES-Kanuflotte holte zwei komplette Medaillensätze  

Speziell für die Olympischen Spiele in Peking wurden vom FES mehrere Segelboote in den Klassen Yngling, Tornado und 49er in hoch komplizierten Verfahren getunt. Die Räder der deutschen Bahnsprinter erhielten neue Lenker. Die Schwimmer wurden mit speziellen Diagnosegeräten ausgerüstet und die Diskuswerfer um den WM-Zweiten Robert Harting mit einem neu entwickelten Kraftmesser für den Hüftschwung. Für die Ruderer wurde nicht nur ein neuer Vierer gebaut, sondern zugleich ein weiterentwickelten Messsystem für sämtliche Boote. „Das ist für die einheitliche technische Ausbildung in allen Klassen unentbehrlich, um möglichst synchrone Bewegungsabläufe zu garantieren“, berichtet Schaale. Besonders stolz war man im Vorfeld der Spiele auf die neue deutsche Kanuflotte, die hier komplett konstruiert, gefertigt und möglichst Millimeter genau auf einzelne Athleten zugeschnitten wurde. Je zwei Mal olympisches Gold, Silber und Bronze der deutschen Kanuten war für die FES-Mitarbeiter der schönste Lohn.

Wichtigstes Kriterium für die in Wabenbauweise aus Kohlefaser und Aramid gestalteten Boote: Auf dem Wasser optimal gleiten. Berücksichtigt wurde dabei sogar der individuelle „Fahrstil“. Birgit Fischer, die deutsche Rekord-Olympiasiegerin, die ihre Karriere inzwischen beendete, hatte sich stets sehr ruhig durchs Wasser bewegt. „Heute haben die Jungen einen etwas anderen Paddelstil“, weiß Dirk Böhme, der Projektleiter Kanu. „Das führt zu unruhigeren Bewegungen im Wasser und das müssen wir einkalkulieren“. Entsprechend gehören häufige Besuche von Spitzensportlern im Institut dazu wie die riesigen Schweiß- und Fräsmaschinen in den Werkstätten.  

Als die Peking-Kollektion ausgeliefert war und draußen auf den Trainingsstätten die Phase der Feinabstimmung lief, war an den Computern und Reißbrettern der Blick bereits auf Vancouver 2010 gerichtet. Der übliche Wechsel von Sommer auf Winter eben. Neue Schlitten für die Rodler und Boliden für die Bobfahrer waren schon im Sommer in Arbeit. Nun im vorolympischen Winter werden die Prototypen auf Herz und Nieren geprüft. Das fertige Material bekommen die Athleten laut Schaale jedoch in der Regel erst unmittelbar vor der Olympiasaison in die Hand. „Auf diese Weise können wir uns den technischen Vorsprung gegenüber der internationalen Konkurrenz so lange wie möglich aufheben.“ Was zugleich verhindert, dass Verbände aus anderen Ländern weder Zeit noch Gelegenheit bekommen, die ausgeklügelten Gerätschaften nachzubauen und die deutschen Asse womöglich bei den olympischen Höhepunkten mit deren eigenen Waffen zu schlagen.  

Schotten dicht gegenüber der internationalen Konkurrenz 

Zur Chancengleichheit deutscher Athleten beitragen, so lautet ist die klare Vorgabe des Bundesinnenministeriums als Dienstherr: In den Genuss deren Leistungen dürfen nur deutsche Sportler kommen  Das gilt ebenso für das Institut für Angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig. Im Vergleich mit der „Hardware“ des FES kümmern sich die 83 Mitarbeiter ausschließlich um die „Software“. Aus Diagnosen abgeleitete Trainingsempfehlungen für die Leistungs-entwicklung von Athleten, die nicht den Bundesadler auf der Brust tragen, sind undenkbar und ein Tabu. Um den Wissensvorsprung nicht zu gefährden, müssen sich die Sachsen mitunter bei Publikationen stark einschränken. Trainings- und Diagnostikdaten sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Schließlich soll der internationalen Konkurrenz nicht auf dem Silbertablett serviert werden, welcher langfristigen methodischen und taktischen Trainings- und Wettkampfvorbereitung ein Athlet seinen Triumph bei Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften verdankt. „Andererseits sind unsere Mitarbeiter angehalten, regelmäßig zu publizieren. Das ist unter unseren besonderen Umständen manchmal eine sehr schwierige Situation“, sagt der promovierte Trainingswissenschaftler Arndt Pfützner, seit 2000 Chef des Hauses IAT.  

Dort, wo bis 1989 das Rechenzentrum mit dem klobigen Robotron-Rechner als Herzstück war, breitet sich heute am IAT ein ausladendes Ergometrie-Zentrum aus. Hochmoderne Fahrrad-Messplätze gibt es hier und ähnliche Plätze für Schwimmer, Läufer, Kanuten oder Biathleten. Selbstverständlich können sämtliche Daten sofort auf die Computer der Mitarbeiter in den oberen Etagen übertragen werden. Das beschleunigt die Auswertung. Mit Hilfe von drei Speziallauf-bändern, wovon eins kippbar ist, können ganze Streckenprofile imitiert und Wettkämpfe gegen das eigene Ich ausgetragen werden. Mancher Mitarbeiter beschäftigt sich ausschließlich mit Drehsprüngen, etwa im Kunstturnen am Reck oder bei den Wasserspringern. Die große Testhalle ist mit Messplätzen und Hightech-Geräten bestückt. Es gibt Reckstangen, einen Kugelstoßring, eine Abwurfstelle für Speerwerfer oder Absprungvorrichtungen für Wasserspringer, die mit den verschiedensten Analysegeräten ausgestattet sind. Die meisten der Messplattformen sind unter dem Tartan verborgen, so dass für Aktive und Trainer selbst winzigste Details in den Bewegungs-abläufen sichtbar gemacht werden können. Kein Wunder, dass sich in den Wochen vor Olympia die Top-Athleten am IAT die Klinke in die Hand gaben. Die zweifache Olympiasiegerin und Super-Kraulerin Britta Steffen vertraut den Leipziger Experten wie Speerwerferin Steffi Nerius, Triathlon-Weltmeister Daniel Unger und das Gros der deutschen Olympioniken. Im Vorfeld von Peking wurden unter anderem die kompletten Peking-Teams der Kanuten, der Gewichtheber, der Hockeyspieler, Ringer, Judoka und Boxer hier betreut. 

Die stationäre Unterstützung der Athleten macht nur einen Teil der Arbeit aus. Kamen früher die Olympioniken zu den Tests meist nach Leipzig, ist es mittlerweile so, dass die IAT-Mitarbeiter zu den Sportlern fahren. In Berlin existiert sogar eine eigene Außenstelle für die Eisschnellläufer. „Vor Ort sein. Da, wo die Sportler trainieren und ihre Wettkämpfe bestreiten, das ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden“, unterstreicht Pfützner. Die beiden Kleinbusse und die fünf Pkw sind ständig unterwegs. Rund 60.000 Kilometer legen die hochgradig spezialisierten Experten in den einzelnen Sportarten und in den Fachbereichen Ausdauer, Kraft-Technik oder Technik-Taktik pro Jahr mit jedem der Dienstwagen zurück. Zumeist im Hintergrund agierend, gehören die Kollegen aus Leipzig zu den Nationalteams in momentan 15 Spitzenverbänden selbstverständlich dazu wie die Trainer oder Physiotherapeuten. 

10 Millionen Euro vom BMI einschließlich „Qualitätskontrolle“ 

Einst als Labore des DDR-Leistungssports Geheimnis umwittert, verkörpern beide Einrichtungen heute ein unverzichtbare Größe für den gesamtdeutschen Spitzensport. Die Verzahnung zwischen IAT und FES zugunsten sportlicher Höchstleistungen ist ungeachtet der Versuche beispielsweise in Australien oder Japan, das Modell zu kopieren und nachzuahmen, „in dieser Symbiose weltweit noch immer einzigartig“, wie Pfützner und Schaale unisono betonen. Das Geschwisterpaar in Berlin und Leipzig gilt als Garant für eine optimale Vorbereitung der Aktiven auf die großen sportlichen Wettbewerbe. „Um diese Möglichkeiten“, so der IAT-Chef, „beneidet uns die ganze Welt“.  

Nach dem Mauerfall argwöhnisch betrachtet und von manchem Sportwissenschaftler  mitunter angefeindet wie das IAT oder sogar existentiell gefährdet wie das FES, haben sich die Klasse der Spezialisten an beiden Instituten und die Vernunft zum Nutzen der deutschen Medaillenbilanz durchgesetzt. Längst hat das für die Sportförderung zuständige BMI erkannt: Beide Einrichtungen sind unverzichtbar. Der Vertrauensbeweis erfolgt in klingender Münze. Auf knapp 6 Millionen Euro beläuft sich der Jahresetat für das IAT, auf rund 3,5 Millionen Euro für das FES. Nicht eingerechnet Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe in jüngster Vergangenheit, um beide Institute innen wie außen für weitere Olympiaden fit zu machen. Für das wichtige Jahr 2009 vor den Olympischen Winterspielen in Vancouver, wo Deutschland seine Spitzenposition von Turin 2006 auch dank FES und IAT behaupten will, sind für die beiden Einrichtungen insgesamt knapp 10,1 Millionen Euro in den Bundeshaushalt eingestellt. Allerdings drohte der jüngste „Jahres-bericht der Bundesregierung zur deutschen Einheit“ mit dem Vermerk, FES und IAT würden nur mehr „b.a.w.“ - bis auf weiteres - gefördert. „Die offizielle und autorisierte Fassung des Berichts enthält diesen Vermerk nicht“, hieß es auf Nachfrage aus dem Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, in dessen Zuständigkeit der Jahresbericht zur deutschen Einheit fällt. Die Förderung der beiden Institute werde ohne Abstriche, Einschränkungen oder Vorbehalte weitergeführt, hieß es. Man könne „Entwarnung“ geben. 

Ein Novum gibt es dennoch zu vermelden, denn die beiden im deutschen Einigungsvertrag erwähnten Einrichtungen sollen sich neuerdings wie auch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) in Köln einer „Qualitätskontrolle“ durch ihren Dienstherrn unterziehen müssen. Unklar ist allerdings zurzeit noch, wie dieses Prozdere genau vor sich gehen und welche konkreten Kriterien ihm zugrunde liegen sollen, Sinn würde ein solches Controlling allemal machen. Würde doch damit kontinuierlich zutage gefördert, ob die deutschen Spitzenverbände das Know-how in Berlin und Leipzig und am BISp tatsächlich optimal nutzen und einsetzen und wenn nicht, warum das so ist. Beispielsweise dürfte der Deutsche Ruderverband (DRV) in der gründlichen Auswertung der Sommerspiele nicht um die Frage umhin kommen, warum er in Peking in mancher Bootsklasse lieber auf ausländisches Gerät statt auf einheimisches Material vertraute. Eine solche Diskussion anhand ganz praktischer Beispiele ist hilfreich und kann den deutschen Spitzensport und seine wichtigen Institute noch enger zusammenführen.

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