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„Das Gutachten ist die Einladung, es so gut wie möglich zu machen“

Nina Reip, Referentin für Demokratieförderung im DOSB, erklärt die Bedeutung des neuen Gutachtens zum Thema vereinsschädigendes Verhalten und gibt Tipps für den Umgang damit.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

10.03.2025

„Vereinsschädigendes Verhalten: Ein rechtswissenschaftliches Gutachten“ – das ist eine höchst sachliche Überschrift für die umfangreiche Arbeit, die die Sportrechtsexpert*innen Caroline Bechtel und Martin Nolte im Oktober vergangenen Jahres im Auftrag des DOSB vorgelegt haben. Auf 72 Seiten zeigen sie auf, was Vereine und Verbände zu diesem komplexen Themenfeld wissen sollten. Weil juristische Gutachten mitunter für rechtliche Laien, die die meisten im Sport nun einmal sind, etwas sperrig daherkommen können, hat Nina Reip die Inhalte auf 54 leicht verdaulichen Seiten zu einer Handreichung zusammengefasst. Im Interview erläutert die 43-Jährige, die für die Deutsche Sportjugend und den DOSB als Referentin für Demokratieförderung arbeitet, warum ihr dieses Projekt so am Herzen liegt. 

DOSB: Nina, ganz direkt gefragt: Warum braucht es 72 Seiten Gutachten zum Thema vereinsschädigendes Verhalten? 

Nina Reip: Wir haben 2021 in Zusammenarbeit mit Martin Nolte den ersten Teil dieses Gutachtens erstellt. Darin ging es um parteipolitische Neutralität von Sportvereinen. Wir haben gespürt, dass das Thema „Neutralität“ viele Vereine und Verbände, auch in anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen, umtreibt. Im Zuge der Demos gegen den Rechtsruck Anfang vergangenen Jahres wurde dann der hohe Informationsbedarf noch einmal deutlich, der aus Fragestellungen rund um das Themenfeld entsteht. Wir waren heilfroh, dass wir das erste Gutachten und die Praxis-Handreichung zur „Parteipolitischen Neutralität“ da bereits zur Hand hatten. Dieser Bedarf ist bis heute ungebrochen. Und mit der Auseinandersetzung um die eigene Haltung im Verein oder Verband stellt sich auch die Frage: Was machen wir, wenn wir uns positioniert haben und Mitglieder unsere „rote Linie“ überschreiten? Daraus ist dann das zweite Gutachten und die entsprechende Handreichung zu „Vereins-/Verbandsschädigendes Verhalten“ entstanden. Die 72 Seiten ergeben sich aus den vielen Fragen, die wir und die Praxis an das Thema hatten und haben. 

Die Praxis-Handreichung ist dein „Baby“, du hast dich sehr dafür stark gemacht. Warum? 

Weil es wichtig ist, die Thematik möglichst niedrigschwellig einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Wir haben sie so aufgebaut wie 2021 bei dem ersten Gutachten, gegliedert in Fragen und Antworten. Wir haben uns auf drei Themenkomplexe fokussiert: Werte des Sports, weiterführende Handlungsmöglichkeiten, also Sanktionen und Ausschluss, und Umgang mit parteipolitischen Realitäten. Dabei haben wir eng mit dem Landessportbund Thüringen kooperiert, der in diesen Feldern bestens aufgestellt ist und mit der dort sehr starken AfD ein intensives Praxisbeispiel vor sich hat, mit dem es umzugehen gilt. Unser Anliegen bei der Praxis-Handreichung war wieder, die Essenzen des Gutachtens einfach und verständlich zu formulieren. Wir verweisen an vielen Stellen auf das Gutachten, und Frau Bechtel und Herr Nolte haben die Handreichung selbstverständlich auf Rechtssicherheit geprüft. Denn die kurzen, praxistauglichen Antworten sollen selbstverständlich weiterhin rechtlich korrekt sein. 

An wen richten sich die Publikationen genau? Sollte sich jedes einzelne Vereinsmitglied mit dieser Thematik auseinandersetzen? 

Es ist utopisch zu glauben, dass das möglich wäre. Die meisten der rund 28,8 Millionen Menschen, die in Vereinen und Verbänden in Deutschland Mitglied sind, wollen einfach Sport treiben, und das ist auch vollkommen okay. Unser Angebot richtet sich in erster Linie an alle Vereine und Verbände, die sich positionieren und dann nicht wissen, wie es weitergeht, wenn es zu Verstößen kommt. Dafür wollen wir mit dem Gutachten die Basis legen. Es richtet sich aber nicht nur an die Führungsebenen, sondern an alle gesellschaftspolitisch engagierten Menschen, die sich mit diesem Themenfeld auseinandersetzen müssen oder wollen. 

  • Das Anliegen des Gutachtens ist, aufzuzeigen, was man tun muss, um rechtssicher vereinsschädigendes Verhalten zu erkennen und damit umzugehen. Der erste Schritt ist, sich mit dem Thema zu befassen, bevor etwas passiert. 

    Nina Reip
    Referentin Demokratieförderung
    Deutscher Olympischer Sportbund

    Wie kommen Interessierte an die Ausarbeitungen? 

    Das neue Gutachten und die Handreichung gibt es derzeit digital zum Download, sie werden demnächst aber auch gedruckt und stehen dann zur Bestellung bereit. 

    Wie stellt ihr sicher, dass ihr wirklich die Breite des Sports in Deutschland erreicht? Welche Resonanz habt ihr bislang erhalten? 

    Wir hören immer wieder, dass die beiden Gutachten dringend notwendige Orientierung liefern, und das ist für uns ein sehr wichtiges Feedback. Um die Breite zu erreichen, kooperieren wir eng mit den Landessportbünden und den Landessportjugenden, zum Beispiel über die vom Bundesinnenministerium geförderten „Zusammenhalt durch Teilhabe“-Sportprojekte. Die LSB, LSV, Fachverbände und Sportjugenden bieten Veranstaltungen selbstständig oder mit unserer Unterstützung an. Sie sollten für Vereine auch immer der erste Ansprechpartner sein. Ich selbst gebe auch digitale Schulungen, zuletzt bei den KSB im Emsland und in Brandenburg, kann aber leider unmöglich alle beraten. Es gibt aber definitiv ausreichend Angebote. 

    Sind diese Angebote aber auch ausreichend bekannt?

    Das ist wahrscheinlich immer ein Problem. Noch wissen viele nicht, dass es diese Broschüren gibt. Es wäre ein riesiger Schritt, wenn wir das flächendeckend bekannt machen könnten. Uns ist auch klar, dass in manchen Vereinen andere Themen wichtiger sind oder die Kapazitäten fehlen, um sich um diese Dinge zu kümmern. Aber unsere Arbeit besteht darin, sicherzustellen, dass es diese Unterlagen gibt und alle Interessierten Zugang dazu bekommen. 

    Welches konkrete Ziel hat das Gutachten? Ist es eine Handlungsanweisung für Problemfälle oder eher ein Aufrütteln in dem Sinn, dass es für alle Vereine und Verbände wichtig ist, sich mit dem Thema zu befassen?

    Das Anliegen des Gutachtens ist, aufzuzeigen, was man tun muss, um rechtssicher vereinsschädigendes Verhalten zu erkennen und damit umzugehen. Der erste Schritt ist, sich mit dem Thema zu befassen, bevor etwas passiert. Letztlich ist das Gutachten eine Einladung dazu, die eigene Satzung zu überprüfen und zu überarbeiten mit dem Ziel, die Haltung des Vereins auch in der Satzung transparent darzustellen. Und sich der Werte des Vereins bewusst zu werden. 

    • Vereinsschädigendes Verhalten kann alles sein, was dem Verein schadet. Das klingt banal, ist aber wichtig zu verstehen. Es kann dabei um kleine Dinge gehen, die auch außerhalb des Vereinskontextes geschehen, diesem aber trotzdem schaden können. Und dann gibt es einen umfangreichen Katalog an Maßnahmen zur Sanktionierung, der aber nur greifen kann, wenn die Satzung auf dem neuesten Stand ist.

      Nina Reip
      Referentin für Demokratieförderung
      Deutscher Olympischer Sportbund

      Viele denken bei vereinsschädigendem Verhalten an Vorfälle, die Ausschlüsse von Mitgliedern nach sich ziehen. Dabei fängt das Thema deutlich früher an. 

      Absolut richtig. Vereinsschädigendes Verhalten kann alles sein, was dem Verein schadet. Das klingt banal, ist aber wichtig zu verstehen. Es kann dabei um kleine Dinge gehen, die auch außerhalb des Vereinskontextes geschehen, diesem aber trotzdem schaden können. Und dann gibt es einen umfangreichen Katalog an Maßnahmen zur Sanktionierung, der aber nur greifen kann, wenn die Satzung auf dem neuesten Stand ist. Und ein konkretes Beispiel: Rassismus ist nur dann klar vereinsschädigend, wenn in der Satzung festgehalten ist, dass der Verein oder Verband sich gegen Rassismus stellt. Wenn eine Person Mitglied einer gesichert rechtsextremen Vereinigung ist, kann man deren Ausschluss rechtssicher anstreben, wenn in der Satzung festgehalten ist, dass Rechtsextremismus nicht mit den Werten des Vereins vereinbar ist, und die Person ihre Ansichten öffentlich sichtbar macht. Dagegen ist es juristisch noch nicht abschließend bewertet, ob ein Mitglied einer solchen gesichert rechtsextremen Partei nur deshalb ausgeschlossen werden kann, weil es Mitglied ist. Das entspricht nicht dem Grundsatz der parteipolitischen Neutralität, allerdings dem Prinzip der wehrhaften Demokratie. 

      Ein aufkommendes Thema ist die unfaire Behandlung von Sportvereinen durch Antidemokraten, zum Beispiel, wenn Hallenzeiten ohne triftigen Grund gestrichen werden, weil die Haltung des Sportvereins nicht in die rechtsextreme Gesinnung der Regierenden passt. Was bietet das Gutachten in solchen Fällen an Lösungsmöglichkeiten?

      Wir sind uns einig, dass es nicht rechtlich korrekt ist, aufgrund einer Ideologie Hallenzeiten zu streichen. Das würde allerdings die zuständige Stelle auch niemals so formulieren, sondern sich auf veränderte Prioritäten zurückziehen, mit denen dann begründet wird, warum andere Vereine mehr Zeiten brauchen und das missliebige Angebot hinten herunterfällt. Deshalb müssen wir zugestehen, dass ein rechtswissenschaftliches Gutachten an seine Grenzen stoßen kann, weil es Fragen gibt, die nicht nur rechtlich geklärt werden können. Wir sehen aber, dass dieses Thema der unfairen Behandlung ein wichtiges werden wird in den kommenden Jahren. 

      Der Fall des Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar, der wegen mutmaßlich falscher Anschuldigungen seine Kandidatur für die Landesliste zurückziehen musste und sich einer medialen und innerparteilichen Vorverurteilung ausgesetzt sah, hat viele aufgeschreckt. Welche Instrumente bietet das Gutachten hinsichtlich solcher Fälle?

      Wir haben das Thema mitgedacht, dass der Vorwurf einer justiziablen Tat, die vereinsschädigendes Verhalten erfüllt, genutzt werden kann, um Menschen zu schaden. Dazu gibt es im Gutachten einen Passus. Grundsätzlich geht es darum, dass die Rechte aller Beteiligten gewahrt bleiben, und dazu gehören sowohl die von mutmaßlich Betroffenen als auch die mutmaßlicher Täter*innen. Es muss in allen Fällen faire Anhörungen geben, die Beteiligten müssen über den Fortgang der Ermittlungen ein vollständiges Bild erhalten. Das sind Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. 

      Abgesehen von den vielen Fallstricken, die solche Fälle bieten, geht es immer auch um das Thema Geld. Welche Antworten gibt es auf die Frage nach den Kosten?

      Zunächst einmal geht es darum, dass Vereine und Verbände sich in der Thematik schulen und ihre Antennen dafür schärfen. Das kostet Zeit und Energie, aber kein Geld. Der nächste Schritt ist, sich damit auseinanderzusetzen, für welche Werte man stehen möchte. Es erleichtert den Umgang mit Fällen, wenn die roten Linien bekannt sind. Auch das kostet kein Geld. Erst danach geht es um die Übertragung in die Satzung. Die Beratung dafür gibt es in den LSB kostenlos, der Eintrag ins Vereinsregister ist auch kein großer Faktor. Teuer werden kann es im Falle eines Rechtsstreits, aber da schließt sich der Kreis, denn wer eine gute, rechtssichere, moderne Satzung hat, erhöht die Chancen, einen Rechtsstreit schnell und erfolgreich beizulegen. Und ein Rechtsstreit ist auch die Ausnahme. Ziel sollte sein, die Themen und etwaige Konflikte mit den Mitteln des Vereins beziehungsweise des organisierten Sports zu bearbeiten. Mein Fazit ist also: Wenn man sich gut vorbereitet, ist der Kostenrahmen gut zu bewerkstelligen. 

      Wir halten also fest: Das Gutachten kann nicht alle Probleme lösen, aber es hilft unbedingt weiter, um sich für das sensible Thema des vereinsschädigenden Verhaltens zu wappnen.

      So ist es. Das Gutachten ist die Einladung, es so gut wie möglich zu machen.

      Praxis Handreichung RECHTSsicherheit im Sport Teil 2 Positioniert, und jetzt?! Vereinsschädigendes Verhalten, Werte des Sports, Sanktionen und Ausschluss 

      Zur Person

      Zum 1. Januar 2025 wurde im DOSB eine Stelle „Demokratieförderung“ eingerichtet und mit Nina Reip besetzt. Die dort entwickelten Angebote richten sich an Mitgliedsorganisationen von Deutscher Sportjugend (dsj) und DOSB. Gegenstand der Arbeit sind u. a. die Beratung und Unterstützung im Themenfeld sowie die Weiterentwicklung von Positionen und Strategien. Nina Reip ist bereits seit 2018 im organisierten Sport tätig und arbeitete bis 2024 als Leiterin der Geschäftsstelle des Netzwerks „Sport & Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde“ bei der dsj. 

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