Das Becken am Brocken
Offen für alles und alle: Der Harzer Schwimmverein 2002 betrieb schon vor seiner Gründung Integrationsarbeit. Seitdem wird es immer mehr, wie Teil 14 unserer Projektporträt-Serie zeigt.

10.12.2014
Integrationsarbeit: Bei den meisten Deutschen blitzen da Bilder aus Berlin-Neukölln auf, aus Hamburg-Wilhelmsburg, Duisburg-Hochfeld oder wie die Plätze sonst heißen, an denen sich Kulturen täglich auf allen Ebenen begegnen. Wernigerode, die mittelgebirgige Stadt in Sachsen-Anhalt mit ihren knapp 34.000 Einwohnern, von denen 3,9 Prozent Migrationsgeschichte haben, kommt vermutlich wenigen in den Sinn. Und doch scheint sich Integrationsarbeit hier, genauer gesagt beim Harzer Schwimmverein (HSV) 2002, so selbstverständlich zu vollziehen wie an wenigen Orten der Republik. Was der Vorsitzende Volker Hoffmann sagt, klingt zusammengefasst so: Gehört für uns dazu.
In Wernigerode, Fachwerkstadt am Brocken, geht es nicht um große Worte und Strategien. Zwar richten sich die integrativen Angebote des Vereins – vom Schwimmkurs über Badepartys bis zur regelmäßigen Schwarzlichttheatergruppe – überwiegend an Kinder und Jugendliche, aber dahinter steckt nicht etwa Nachwuchsmangel. „Wir suchen keine Mitglieder, die kommen sowieso zu uns“, sagt Volker Hoffmann. „Ich könnte sofort noch zwei Schwimmkurse machen, aber dafür fehlen die räumlichen Kapazitäten und die Trainer.“ Man verfolge soziale Motive. „Wir wollen die Toleranz für das 'Anderssein' erhöhen.“
Schon das Angebot wirkt irgendwie verbindend: Breiten-, aber auch Wettkampfschwimmen, Aquafitness neben Funktionsgymnastik. Der Leistungsstützpunkt, die vom DSV zertifizierte Jugend-Schwimmschule (als erster Verein überhaupt) ist zugleich Stützpunkt des Programms „Integration durch Sport“ und Träger diverser Engagement-Preise. Im Landesfinale der Sterne des Sports, des vom DOSB und den Volksbanken ausgeschriebenen Wettbewerbs, wurde der HSV 2013 Zweiter, was große Freude und eine Spur Wehmut auslöste – fast ganz vorn war der Verein in Sachsen-Anhalt schon, er hatte auf den Großen Stern in Silber und die Teilnahme am Bundesfinale geschielt.
Das interkulturelle Denken fing mit einer russischstämmigen Trainerin an – zu Zeiten, als Hoffmann noch die Schwimmabteilung des HSV Wernigerode leitete, aus der 2002 der Verein entstand. Mit besagter Trainerin, sagt Hoffmann, „kam das Thema richtig ins Laufen. Davor haben wir auch schon was gemacht, aber weniger und nicht unter dem Namen Integrationsarbeit“. Mit Einsatz und Bewusstsein für das Thema wuchsen Kontakte und Ansehen. Die Partnerschaft mit dem Internationalen Bund (IB) begann, heute an vielen der Vereinsprojekte beteiligt, die auch Nichtmitglieder ansprechen. Beim Ritterwochenende im Mai 2013 etwa machten HSV und IB 30 Kinder aller Herkunftsländer mit deutscher Geschichte und Kultur vertraut, Herolde, Knappen und Ofenkartoffeln inklusive. Eine ähnliche Zielgruppe hatte das fünftägige Zirkusprojekt, das die Sportjugend Sachsen-Anhalt mit IB und HSV in den folgenden Herbstferien veranstaltete, als Teil der Bundesinitiative „Kultur macht stark“.
Dieser Verein wirkt wie ein Sammelbecken. Schwimmen für Unicef, Umwelt-Wochenenden, Mädchenfitnesstage hat er ebenso schon veranstaltet wie Aktionen für Einkommensschwache und Menschen mit Behinderung oder gegen Alkoholmissbrauch und Schulverweigerung. Geradezu symbolisiert wurde das Sammelbecken während der Woche der Inklusion im August 2013: Im Verbund mit IB, Kreissportjugend, diversen Schulen, darunter eine Fördereinrichtung, brachte der HSV rund 1000 Kids ins Wasser und viele Eltern zum Zuschauen. Sinn der Sache: Barrieren abzubauen, nicht nur gegenüber jungen Menschen mit geistigem oder körperlichem Handicap.
Zugewanderte sind beim HSV immer willkommen – und oft ausdrücklich eingeladen. Beim integrativen Schwimmkurs im Sommer 2013 hatten 9 von 22 Teilnehmenden Migrationsgeschichte, etwa eine russische, vietnamesische oder litauische. Diese Kinder seien häufig weniger mit Wasser vertraut als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund, sagt Hoffmann.
Deshalb ist die Arbeit des Vereins wichtig. Und weil interkultureller Austausch gerade dort Not tut, wo er nicht alltäglich ist. Der HSV habe sich Vertrauen erworben, sagt Hoffmann, Zugewanderte erzählten einander, dass sie „bei uns gut aufgehoben sind“. Ihren Anteil unter den rund 400 Mitgliedern beziffert er auf 8 bis 10 Prozent. Mehr als doppelt so hoch also wie in der Stadt.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 50, Text: Nicolas Richter)