Zum Inhalt springen

„Das Angebot, das der DOSB macht, wird ernst genommen“

Christian Sachs ist der Leiter des Berliner Büros des DOSB. Im Interview bewertet er den Koalitionsvertrag und ordnet ein, wie die Chancen zur Umsetzung stehen.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

15.04.2025

Der Deutsche Reichstag
Der Reichstag in Berlin

DOSB: Christian, du bist seit 2007 Leiter des DOSB-Hauptstadtbüros und hast in dieser Funktion schon einige Koalitionsverträge begleitet. Gibt es im aktuellen Entwurf der Bundesregierung, der am vergangenen Mittwoch vorgestellt wurde, etwas, das dich in besonderer Weise überrascht hat? 

CHRISTIAN SACHS: Die größte Überraschung ist die Detailtiefe, in der die verschiedenen Themen abgearbeitet werden. Das gilt sowohl in Bezug auf Themen mit Sportbezug als auch für den gesamten Vertrag. Der Koalitionsvertrag der vorangegangenen Ampel-Regierung hatte meines Erachtens beispielhaft gezeigt, dass solche Schriftstücke eine Bindungswirkung haben, die von disruptiven Entwicklungen wie dem Kriegsausbruch in der Ukraine obsolet gemacht werden kann. Nach der Zeitenwende-Rede des damaligen Bundeskanzlers Olaf Scholz hätte man den gesamten Koalitionsvertrag ad acta legen und neu ausarbeiten können, vielleicht sogar müssen. Deshalb habe ich mir angesichts der weltpolitischen Entwicklungen dieser Tage die Frage gestellt, ob wir nicht erneut in einer Situation sind, in der durch das Drehen der großen weltpolitischen Stellschrauben die Tektonik unseres Systems in Unwucht geraten ist. Ich hätte mir deshalb einen deutlich kürzeren, abstrakteren Vertrag vorstellen können. Dass es anders gekommen ist, hat mich überrascht. 

Hast du dafür eine Erklärung? War es das verstärkte Werben des DOSB und damit maßgeblich auch deines Teams, das den zehn Forderungen des organisierten Sports Nachdruck verliehen hat? Oder ist schlicht eine höhere Anerkennung des Wertes zu verzeichnen, den die Politik dem Sport beimisst? 

Sachs: Es gibt durchaus inhaltliche Anzeichen dafür, dass die angehenden Koalitionäre das Angebot, das der DOSB macht, um zur gesellschaftlichen Geschlossenheit beizutragen, mit Sympathie betrachtet und entsprechend ernst genommen wird. Das Kern-Zukunftsprojekt des DOSB, eine Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele, taucht in einer hohen Prominenz im Vertrag auf, weil es offenbar auch auf politischer Seite als ein hoffnungsvolles Zukunftsprojekt für die nächste Dekade angesehen wird. Ebenso wichtig ist die Anerkennung, dass die Ertüchtigung der maroden Sportinfrastruktur sowie die Mobilisierung der Bevölkerung, und hier insbesondere der jüngeren Generationen, nicht vernachlässigt werden dürfen. Wir als organisierter Sport stehen in hohem Konkurrenzdruck zu anderen Aktivitäten, insbesondere im Bereich der sozialen und digitalen Medien. Wenn es uns gelingen soll, junge Menschen dauerhaft in Bewegung zu bringen, braucht es dafür angemessene Angebote, Sportflächen, aber auch ausreichend Trainer*innen. Bewegung und Begegnung zu ermöglichen, das ist für die neue Regierung augenscheinlich ein wichtiges Thema. Indem der Bund sich unter dem Schlagwort Bundesmilliarde dazu verpflichtet, die Sportinfrastruktur zu optimieren, vollzieht er einen Paradigmenwechsel, weil er eine Aufgabe übernimmt, die verfassungsrechtlich den Ländern und Kommunen zugeordnet ist. Das ist deshalb ein wichtiges Zeichen, weil der Bund bewusst die positiven Aspekte des Sports stärken und den Menschen das Gefühl geben will, dass sich deren Lebensqualität vor Ort konkret verbessert. 

Tatsächlich wurde die Bundesmilliarde in einigen Medien sehr kritisch bewertet, weil sie sich auf die gesamte Legislaturperiode bezieht und der vom DOSB geforderte Zusatz „pro Jahr“ fehlt. Ist sie denn nun ein Erfolg oder eher ein Dämpfer? 

Sachs: Ich glaube, dass wir hier ein wenig im klassischen Zwiespalt zwischen Wunsch und Realität gefangen sind. Die finanzielle Lage des Bundes ist, um es neutral zu formulieren, durchaus angespannt. Noch lieber hätten wir selbstverständlich gehabt, dass eine jährliche Milliarde festgeschrieben worden wäre. Aber im Vergleich zur Vergangenheit ist das klare Commitment, das eine fixe Summe beinhaltet, ein Fortschritt. Nun wird es darauf ankommen, dieses Geld nach den im Sportentwicklungsplan erarbeiteten Kriterien sinnvoll einzusetzen und die Förderung bestenfalls zu verstetigen. 

Tatsächlich ist Papier geduldig. Das eine ist, was angekündigt wird, das andere, was davon umgesetzt wird. Wie realistisch ist es also, dass die Themen, die den Sport betreffen, in dieser Legislaturperiode auch angegangen werden? 

Sachs: Grundsätzlich ist dieser Entwurf des Koalitionsvertrags mit einem Finanzierungsvorbehalt belegt. Aber die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass es nicht allein reicht, Geld ins Fenster zu stellen. Entscheidend für den Erfolg von Förderprogrammen ist, dass diese Programme gut gemacht sind, dass Kommunen, Vereine und Verbände antragsfähig sind und flexible Lösungen gefunden werden für den oft vorkommenden Fall, dass zum Beispiel Kommunen keine eigenen Beträge zuschießen können. Es muss gelingen, dass die Förderprogramme unter Einbeziehung der Expertise des Sports entwickelt werden. Das gilt nicht nur für die Bundesmilliarde, sondern auch für ebenso wichtige Bereiche wie die Traineroffensive, die Stärkung des Ehrenamts, den Abbau von Bürokratie, den Schutz vor interpersoneller Gewalt sowie Inklusion und Integration. All das im Sport - und damit in breiten Teilen der Gesellschaft - umzusetzen, funktioniert vor allem, wenn es eine extrem enge Kooperation zwischen der Politik und dem organisierten Sport gibt und ein hohes Vertrauen in die selbstorganisatorischen Fähigkeiten der Vereine aufgebaut wird. 

  • Es ist ein wichtiges Zeichen, dass der Bund bewusst die positiven Aspekte des Sports stärken und den Menschen das Gefühl geben will, dass sich deren Lebensqualität vor Ort konkret verbessert.

    Christian Sachs
    Leiter des Hauptstadtbüros
    DOSB

    Aus Sicht des Sports durchaus erfreulich ist die deutliche Positionierung zur Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele, aber ebenso die klare Zusage, auch dem großen Ziel vorgeschaltete Veranstaltungen zu unterstützen, wie zum Beispiel die World Games 2029 in Karlsruhe. Trügt das Gefühl, oder ist in der Politik das DOSB-Mantra, dass der Weg zur Bewerbung viele Chancen bietet und Deutschland nicht fit für, sondern fit durch Olympia werden soll, angekommen? 

    Sachs: Für mich ist diese im Koalitionsvertrag sichtbare, deutliche Positionierung eine konsequente Fortführung von gemeinsam entwickelten Ideen aus der Vergangenheit. Wenn ich an den intensiven und kooperativen Prozess bei der Entwicklung der 2021 vorgestellten „Nationalen Strategie Sportgroßveranstaltungen“ denke, dann entdecke ich in den Formulierungen, dass jetzt Inhalte umgesetzt werden, die wir schon vor Jahren angedacht haben. Die Strategie hat vorgesehen, dass die Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele kein solitärer Akt sein darf, sondern dass die regelmäßige Durchführung von Sportgroßveranstaltungen einen gesellschaftlichen Mehrwert für die Gesamtbevölkerung kreieren kann; unabhängig davon, ob die Olympischen und Paralympischen Spiele am Ende tatsächlich in Deutschland ausgerichtet werden. Mit dem im Koalitionsvertrag formulierten Investment in Sportgroßveranstaltungen, die wir ausrichten werden oder noch hoffen, ausrichten zu dürfen, erkenne ich eine Umsetzung dieser Strategie, und das bestärkt mich in der Hoffnung, dass unser langfristiges Ziel, die Ausrichtung Olympischer und Paralympischer Spiele in unserem Land, realisierbar sein wird. 

    Neben der Bewerbung und der Bundesmilliarde war das Installieren eines Staatsministers oder einer Staatsministerin für Sport im Bundeskanzleramt das dritte der drei DOSB-Kernziele. Auch dieses Amt, das von der CDU besetzt werden soll, steht im Koalitionsvertrag. Was verändert die Installation eines solchen Amtes für deine Arbeit und die deines Teams? 

    Sachs: Das ist aktuell spekulativ und hängt entscheidend an der Struktur des Amtes, der personellen Ausgestaltung sowie den Durchgriffsrechten. Die Schaffung einer solchen Position war eine unserer drei Kernforderungen, weil wir in der Vergangenheit - und das sage ich bei aller Wertschätzung für die jeweils handelnden Personen - immer wieder an den Punkt geraten sind, dass es in den jeweiligen Bundesregierungen keine Koordination für Sportbelange gegeben hat. Wenn wir über Sport reden, meinen wir ja nicht nur die Förderung von Spitzenathlet*innen, den Verbänden und Großveranstaltungen. Sport ist so viel mehr als das, das hat nicht zuletzt die Erfahrung aus der Erarbeitung des Sportentwicklungsplans allen Beteiligten vor Augen geführt. Unsere Hoffnung ist ganz klar, dass es sowohl in der vertikalen als auch in der horizontalen Struktur bald eine Ansprechperson gibt, die alles koordiniert und bei der alle Fäden zusammenlaufen. Auf der anderen Seite wird die herausgehobene Neupositionierung des Sports auf der Bundesebene für den DOSB auch eine Herausforderung, weil durch diese Aufwertung die Balance zwischen Sport und Politik neu austariert wird, zum Beispiel in Bezug auf die Autonomie. Wir erhoffen uns Koordination, aber keine autoritären Vorgaben. Es muss eine Partnerschaft auf Augenhöhe sein, in der jede Seite in ihrer Rolle wirken kann. 

    Das könnte sehr interessant werden, wenn mit der geplanten Leistungssport-Agentur ein neuer Player dazukommt, der neutral Entscheidungen treffen soll. Die eher zurückhaltende Bewertung der Leistungssportreform und der Umsetzung des Sportfördergesetzes inklusive jener unabhängigen Agentur im Koalitionsvertrag lässt allerdings darauf schließen, dass das Thema keine hohe Dringlichkeit genießt. 

    Sachs: Ich will es einmal so formulieren: Politischer Pragmatismus und die Suche nach der optimalen Lösung konkurrieren hier in gewisser Weise. Eine neue Bundesregierung mit der CDU/CSU als stärkstem Koalitionspartner wird keine Gesetzesinitiativen einer alten Regierung übernehmen, der die Union nicht angehörte. Es sei denn, man ist allseits zu 100 Prozent davon überzeugt, dass diese Initiative richtig ist. Das ist in Bezug auf das Sportfördergesetz weder in der Politik noch im organisierten Sport der Fall, so ehrlich müssen wir sein. Für mich ist entscheidend, dass die gemeinsame Analyse das Ergebnis hat, dass ein „Weiter so wie bisher“ keine Lösung für die Probleme des Spitzensports darstellt. Und das ist breiter Konsens in der Politik und im Sport. 

    Die Zeit des Wahlkampfes und der Koalitionsverhandlungen ist für dein Team und dich sicherlich eine sehr spannende, aber auch arbeitsintensive Phase. Wird euch jetzt, wenn die neue Regierung steht, langweilig? 

    Sachs: In der Struktur und gemessen an den Inhalten, an denen wir arbeiten, sind die Phasen des Wahlkampfs und der Koalitionsverhandlungen durchaus unterschiedlich, aber sehr wohl beide sehr intensiv. Der Alltag beginnt wieder, wenn die neue Regierung und der Bundestag ihre Arbeit aufnehmen. Dann wird im klassischen Sinn die Beziehungspflege von uns koordiniert und durchgeführt. Aber keine Sorge, langweilig wird uns keinesfalls, denn diese Arbeit ist nicht weniger wichtig oder inhaltsleerer, sie ist nur nicht von so viel Nervosität geprägt wie die vergangenen Monate. Was noch dazukommt: Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl stehen wir vor der Situation, dass in diesem Jahr zwei Haushalte verabschiedet werden müssen, der für das laufende Jahr und der für 2026. Deshalb antizipiere ich, dass die Herausforderungen, vor denen auch wir im Hauptstadtbüro stehen, extrem hoch sein werden.

    • Meine Partei ist der Sport. Ich persönlich habe den Begriff des Lobbyisten nie als Beleidigung wahrgenommen, sondern empfinde es als große Ehre, mich für die positiven Inhalte und Werte des Sports einsetzen zu dürfen. Mein Team und ich ziehen große Motivation daraus, uns für diese Werte stark machen zu können.

      Christian Sachs
      Leiter des Hauptstadtbüros
      DOSB

      Wenn man euch als oberste Lobbyisten des organisierten Sports bezeichnet, zuckt ihr dann zusammen oder trifft diese Beschreibung eure Ausrichtung? 

      Sachs: Die obersten Lobbyisten des organisierten Sports sind der Präsident des DOSB und der Vorstand, in der aktuellen Phase noch einmal besonders herausgehoben durch unseren Vorstand mit besonderen Aufgaben, Volker Bouffier, der uns angesichts der Vakanz auf der Position des Vorstandsvorsitzes noch bis Ende Juni tatkräftig unterstützt. Hinzu kommen die Vertreter*innen unserer Mitgliedsorganisationen, die ja auch ihre Netzwerke im Sinne des Sports bearbeiten. Ich persönlich habe den Begriff des Lobbyisten allerdings nie als Schimpfwort oder gar Beleidigung wahrgenommen, sondern empfinde es als große Ehre, mich für die positiven Inhalte und Werte des Sports einsetzen zu dürfen. Mein Team und ich ziehen große Motivation daraus, uns für diese Werte stark machen zu können. 

      Was hat dich vor nunmehr 22 Jahren daran gereizt, aus dem Journalismus den Weg in den Lobbyismus zu gehen, und wie viel von dem, was du dir damals ausgemalt hat, ist in deiner Realität angekommen? 

      Sachs: Mich hat in erster Linie der Perspektivwechsel gereizt. Sowohl beim Wechsel vom Sport-Informationsdienst ins Bundesinnenministerium im Jahr 2003 als auch vier Jahre später zum DOSB habe ich die Schritte als extrem bereichernd wahrgenommen. Dass ich nun seit fast 20 Jahren für den DOSB tätig bin, ist Ausdruck für die große Begeisterung, mit der ich die Aufgaben angehe. Sowohl die Menschen im Sport als auch die in der Politik sind mir sehr wichtig. Der Reiz einer hochgradigen Unabhängigkeit, aber auch die Wertschätzung, die ich trotz vieler Wechsel im Haupt- und Ehrenamt erfahren habe, sorgen dafür, dass ich mich in meinem Amt sehr wohlfühle. 

      Was ist für dich die wichtigste Eigenschaft, die du in deinem Amt benötigst? 

      Sachs: Vertrauensvolles Miteinander. Solange das besteht, funktioniert es. Außerdem die Begeisterungsfähigkeit für die Inhalte unserer Arbeit. Ich habe seit 2000 alle Olympischen Spiele in irgendeiner Form begleitet, und der Reiz ist nie abgeblättert. Sportpolitiker*innen haben ja auch ein Faible für den Sport, sie sind alle zumindest ein bisschen Fan. Diese Menschen zu den Spielen zu begleiten und Begegnungen mit Athlet*innen in der Ausnahmesituation Spiele zu ermöglichen, ist einer der stärksten Bindungsmomente, die wir in unserer Arbeit erleben. Da brennt die Luft, das macht Spaß und ist ein riesengroßer Ansporn. 

      Wir hätten getippt, dass politische Neutralität das Wichtigste ist. Wie ordnest du diese ein, und wie gelingt es in Zeiten mit einer disruptiven Partei wie der AfD, die politische Neutralität mit Leben zu erfüllen? 

      Sachs: Meine Partei - und auch die des DOSB - ist der Sport. Das bedeutet, dass ich es immer als notwendig und vollkommen unproblematisch empfunden habe, für die Sache zu arbeiten und nicht für ein parteipolitisches Programm. Was nicht heißt, dass ich in dem, was ich tue, indifferent bin. Sowohl wir als Interessenvertretung des organisierten Sports als auch der Sport selbst haben klare Werte wie Fairplay, Vertrauen, Integrität und an mancher Stelle auch eine dafür notwendige Verschwiegenheit. Solange sich alle an diese Spielregeln halten, kommt man gut miteinander klar. Für diejenigen, die sich außerhalb dieser Werte bewegen, habe ich wenig übrig.

      Das ist unser Hauptstadtbüro

      Das Berliner Büro des DOSB befindet sich in der Behrenstraße im Stadtteil Mitte. Dort hat Christian Sachs (56), der seit 2007 als Büroleiter arbeitet, seit zweieinhalb Jahren ein Team aus fünf Mitarbeitenden um sich, zu dem die Referent*innen Stefan Lachenmayr, Lukas Wiese und Leonie Teigesser, Rebekka Kemmler-Müller als Leiterin des Hauptstadtbüros der Deutschen Sportjugend sowie Stefanie Eichel als Office Managerin gehören. Christian Sachs, der in Dallgow-Döberitz (Brandenburg) wohnt, war bis 2003 Sportchef im Berliner Büro des Sportinformationsdienstes, wechselte dann als Sprecher mit Schwerpunkt Sport ins Bundesinnenministerium und 2007 zum DOSB. Von 2007 bis 2020 war er in Personalunion auch Interessenvertreter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Er hat in Bonn und Knoxville (USA) Politikwissenschaft, Amerikanistik und Sport studiert und viele Sportarten selbst aktiv betrieben („Richtig gut war ich nirgends“), nun zählt er immerhin zu den besten Golfspielern im DOSB.

      Title

      Title