Zum Inhalt springen

„Bernd ist der Boss“

Erfolgstrainer Norbert Warnatzsch spricht über 55 Berufsjahre, seinen Anteil an den jüngsten Olympia-Medaillen und die Anziehungskraft des „Magdeburger Modells“.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

03.09.2024

Norbert Warnatzsch (l.) mit Bernd Berkhahn und Schwimmerin Isabel Goose in Paris Foto: picture-alliance

DOSB-PRESSE: Franziska van Almsick wurde einst als Grundschülern bis zur Wende und dann wieder ab 2001 von Ihnen als Trainer betreut, mit dem EM-Titel 2002 über 200 Meter Freistil in Weltrekordzeit als absolutes Highlight. 2008 bei den Sommer-Spielen Peking machten Sie mit „Doppel-Gold“ von Britta Steffen Ihr olympisches Bravourstück. Nun holte Lukas Märtens in Paris über 400 Meter Freistil auch dank Ihrer Hilfe an der Seite von Bundestrainer Bernd Berkhahn nach 16 Jahren wieder einen Olympia-Sieg für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Wie kam es für Sie als Mann des Jahrgangs 1947 im fortgeschrittenen Alter zu dieser Kooperation?

NORBERT WARNATZSCH: Mit Bernd Berkhahn bin ich seit längerem freundschaftlich verbunden. 2019 rief er mich an und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio die Trainingsgruppe in Magdeburg zu unterstützen. Wegen Corona wurden die Spiele bekanntlich auf 2021 verschoben, wir haben die Zusammenarbeit danach um drei weitere Jahre verlängert. Klar ist: Bernd ist der Boss, er macht die lang- und mittelfristigen Konzepte und die Pläne fürs tägliche Training. Ich berate und assistiere ihm wie übrigens ebenfalls die spanische Trainerin Catalina Arasa Postles. Wobei wir hier über einem Fulltime-Job reden. Erstens, weil ich keine halben Sachen mache. Und zweitens, weil so etwas im Hochleistungssport gar nicht anders zu stemmen wäre. Ich bin rund um die Uhr in Magdeburg gewesen und habe da ein kleines Appartement.

DOSB-PRESSE: Ist eine Zugabe bis zu den Spielen 2028 Los Angeles denkbar?

WARNATZSCH: Definitiv nein, Ende des Jahres läuft mein Vertrag aus. irgendwann ist mal Schluss. Beim Blick auf meine Biografie ist mir neulich aufgefallen, dass am 1. September 1969 beim Sport-Club Dynamo Berlin mein Berufsleben begann und mit dem Olympiasieg von Jörg Woithe 1980 in Moskau meinen ersten großen Erfolg feierte – 55 Jahre als Schwimmtrainer sind wirklich genug.

DOSB-PRESSE: Sie haben in Ihrer beruflichen Kariere mindestens zwei Dutzend Weltklasse-Athleten betreut. Gab es für Sie im Umgang mit ihnen ein durchgängiges Credo?

WARNATZSCH: Ich habe es immer so gehalten, dass ich den Abstand zu den Sportlern, je reifer und erfolgreicher sie geworden sind, sukzessive verringerte. Ich blieb zwar immer ihre Führungsfigur und habe davon nichts abgegeben, habe mich aber zunehmend, wenn sie 16, 17 oder 18 wurden, auf ihre Ansichten und Meinungen eingelassen und ein Vertrauensverhältnis auf Augenhöhe angestrebt. Mit manchen Athleten hatte ich zum Beispiel eine Vereinbarung fürs Training, die auf großem gegenseitigem Vertrauen basierte: Sie sollten mir immer gleich sagen, wenn ihnen eine Trainingseinheit zu anstrengend wurde. Dann haben wir sofort abgebrochen und erst am nächsten Tag weitergemacht.

DOSB-PRESSE: Was war an der Seite des 24 Jahre jüngeren „Bundestrainers Langstrecke“ in der Vorbereitung auf Olympia in Paris ihr spezieller Part als Coach?

WARNATZSCH: Mein Vertrag galt zugleich für sämtliche Trainingslager und die wichtigsten Wettkämpfe in der Olympia-Vorbereitung. Wenn zwölf Schwimmerinnen und Schwimmer im Becken sind, ist im Trainer-Team immer die Frage: Wer stoppt von welchen Sportlern die Zeiten und schreibt sie akribisch auf, wer schaut auf die Technik, wer wertet die Daten aus? Das mag nach Routine und Old School klingen, ist im Trainingsalltag aber elementar für den Erfolg. Dazu gehört in Magdeburg ebenso die Kooperation mit dem Olympiastützpunkt, dem Land Sachsen-Anhalt, der städtischen Verwaltung sowie ebenso mit dem Bundestrainer für Diagnostik Dr. Alexander Törpel, der regelmäßig vor Ort ist. Zu dieser Struktur gehören auch die Mensa und die Sportschule, von wo die jungen Schwimmer mit Bussen zur Halle gefahren werden, um ihren Vorbildern nachzueifern. Apropos Vorbild: Da möchte ich an erster Stelle Florian Wellbrock nennen. Für den Olympiasieger von Tokio über zehn Kilometer Freiwasser lief es in Paris nicht wie gewünscht, doch er ist eine sehr wichtige Komponente für die gesamte Gruppe. An ihm hat sich Lukas Märtens stets orientiert, er war sein großes Vorbild. Dasselbe gilt für Oliver Klemet, der in Paris über zehn Kilometer Silber holte.

DOSB.PRESSE: In der Debatte um mehr Effizienz im Spitzensport wird immer wieder von „Zentralisierung“ gesprochen, um starke Trainingsgruppen zu bilden. Kann das „Magdeburg Modell“ als Vorbild dienen?

WARNATZSCH: Das läuft dort alles sehr strukturiert und systematisch, ist erfolgreich und kann selbstverständlich als Vorbild dienen. Die Frage ist: Soll Zentralisierung im Spitzensport mit Brachialgewalt durchgesetzt und den Verbänden übergestülpt werden? Oder wäre es besser, wenn ein erfolgreiches Zentrum auf andere Athleten ausstrahlt, sie anzieht und die Konzentration auf natürliche Weise gelingt? Wobei klar ist, dass ich erst einmal so eine starke Trainingsgruppe aufbauen muss und brauche, bevor sie als „Magnet“ wirken kann.

DOSB-PRESSE: In Magdeburg scheint dieser „Magnet“-Effekt schon schwer ausgeprägt.

WARNATZSCH: Das kann man so sagen. Dort trainieren inzwischen auch viele Top-Athleten, obwohl sie zum Teil noch ihren Heimatvereinen angehören. Zur neuen Saison ist gerade Maya Werner aus Heidelberg zu uns gewechselt. Isabel Gose, die in Paris Bronze über 1.500 Meter Freistil gewann, kam von den Wasserfreunden Spandau 04 und Florian Wellbrock von der Schwimmsport-Gemeinschaft Bremen/Bremerhaven. Nina Holt schwimmt für ihren Verein in Mönchengladbach, Celine Rieder für Neckarsulm, Kein Zufall ist ebenfalls, dass die Niederländerin Sharon van Rouwendaal seit August 2020 bei uns andockte und die Australierin Moesha Johnson seit September 2023 dauerhaft hier ist, nachdem sie vorher schon monatsweise hier trainierte.

DOSB-PRESSE: Die Holländerin und die Australierin fischten in Paris Gold und Silber über die lange Strecke von zehn Kilometern aus der Seine, Leonie Märtens schlug als 22. an. Sie machen so ganz nebenbei also auch die internationale Konkurrenz stark?

WARNATZSCH: Internationale Trainings-Teams im Schwimmsport sind längst keine Ausnahme mehr. Bob Bowman, bei dem in den USA unter anderem der französische Vierfach-Olympiasieger Léon Merchand neben US-Stars- und ungarischen Spitzen-Leuten trainiert, ist das bekannteste Beispiel. Im Endeffekt tut uns diese internationale Konstellation nur gut, so können unsere eigenen Sportlerinnen an Weltklasse-Athletinnen aus anderen Ländern wachsen und immer besser werden.

DOSB-PRESSE: Wie zu lesen, könnten die olympischen Medaillen für die Magdeburger Schwimmer erfreuliche Folgen haben. Ein neues, rund 50 Millionen Euro teures Schwimm-Zentrum soll in Magdeburg entstehen.

WARNATZSCH: Ich hoffe sehr auf diesen Neubau, er ist dringend nötig. In der über 60 Jahre alten Elbe-Schwimmhalle, die vor etwa zwanzig Jahren generalsaniert wurde, geht es für uns im Training oft ziemlich beengt zu. Da müssen wir uns mit den Vereinen arrangieren, mit Hobby-Schwimmen oder dem Kinder-Schwimmen die Bahnen teilen, obwohl uns das Bäder-Management nach Kräften unterstützt. Eine neue Halle würde dem Schwimmsport nicht nur in Magdeburg zusätzliche Reputation verschaffen.

Zur Person:

Norbert Warnatzsch (77) ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und war als aktiver Sportler ein Moderner Fünfkämpfer, der bei der Junioren-WM1967 die Silber-Medaille mit dem Team gewann und im Einzelwettbewerb Platz sechs belegte. Schon vor seinem Studium an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) von 1970 bis 1975 begann er 1969 in Berlin seine Karriere als Schwimmtrainer. Zunächst vor allem im Nachwuchs tätig, war er nach der Wende unter anderem Cheftrainer der Schwimm-Gemeinschaft Neukölln, später Auswahl-Trainer für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) und leitender Trainer am Olympiastützpunkt Berlin.

Das Interview führte Andreas Müller

Title

Title