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Austria macht's anders

Ausgangslage und Ziele ähneln sich. Trotzdem unterscheidet sich die sportbezogene Integrationsarbeit in Österreich stark von der deutschen - ein Beispiel für die Bedeutung von internationalem Dialog.

DOSB Redaktion
DOSB Redaktion

12.06.2012

Der EU-Gipfel fand im frischen finnischen Frühling statt. Delegationen aus 12 Ländern trafen sich in Helsinki, um den Abschluss von „Creating a Level Playing Field“ (CLPF) zu feiern. Die Initiative der European Non-Governmental Sports Organisation (ENGSO) war 2010 gestartet, um den Austausch zu beleben zwischen den sportlichen Integrationsarbeitern des Kontinents. Der Austausch war in der Tat lebendig, was mit der Schlüsselerkenntnis zu tun hat, die er beförderte: Integration durch Sport funktioniert überall – aber nirgends gleich. Wer macht die Hauptarbeit: der Sport, die Politik, freie oder kirchliche Träger? Wer koordiniert und lenkt diese Arbeit? Koordiniert und lenkt sie überhaupt jemand? Solche Fragen finden keine übergreifenden Antworten. 

Und zwar nicht mal im Vergleich von Verwandten. Österreich etwa ähnelt Deutschland sprachlich-kulturell wie demografisch, inklusive des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung (18 versus 19,6 Prozent), der in beiden Ländern tendenziell wächst; im organisierten Sport sind diese Menschen unterrepräsentiert, dort wie hier. Und doch: Integration durch Sport funktioniert in Österreich ganz anders. Das soll im Folgenden deutlich werden. 

Graz gibt Gas 

Zu den Veranstaltungen des ENGSO-Projekts reiste die österreichische Delegation nicht aus dem (sport-)politischen Zentrum Wien an, sondern aus Graz. Dort, in der Hauptstadt der Steiermark, laufen einige der ambitioniertesten sportlichen Integrationsvorhaben des Landes. Die meisten davon haben, zumindest mittelbar, mit Thomas Hirschböck und Thomas Jäger zu tun, die die besagte Delegation bildeten: Jäger als Ideengeber und Mitarbeiter von „Sport, Integration, Qualilfikation“ (SIQ), einer 2007 gegründeten Initiative der Caritas (siehe Interview). Hirschböck als für EU-Kontakte zum Thema soziale Inklusion zuständiger Mitarbeiter im Landessportamt, einer Fachabteilung der steirischen Behörden.

Integration international

Integrationsarbeiter vieler Länder vereinigen sich. Das wurde zuletzt nicht nur im ENGSO-Projekt „Creating a Level Playing Field“ (CLPF) sichtbar, das mit einer Veranstaltung in Helsinki endete. Kurz darauf, im Mai tauschten sich in Amsterdam ebenfalls Vertreter aus EU-Staaten über das nationale Zusammenwachsen der Kulturen im und durch Sport aus, und ebenfalls auf einer Abschlussveranstaltung. Das Projekt „Join in – Integration junger Migrant/-innen durch Sport“ erlebte nach 18 Monaten sein Finale. Die Deutsche Sportjugend hatte es in Zusammenarbeit mit dem Programm „Integration durch Sport“ (IdS) begleitet. Auch am Projekt CLPF war IdS beteiligt.


Beides sind Seltenheiten in der Alpenrepublik: Eine systematisch-vielgliedrige Initiative wie SIQ und ein Jobprofil wie das von Hirschböck. „Ich bin außerhalb des Bundessportministeriums, also auf Ebene der Länder, der Einzige in der Verwaltung, der laut Stellenbeschreibung für Social Inclusion im und durch Sport zuständig ist“, sagt er. Social Inclusion: Hirschböck unterstützt also auch Initiativen zur Gleichstellung der Geschlechter oder von Menschen mit und ohne Behinderung. Kulturelle Integration aber bildet einen Schwerpunkt seiner Arbeit, die im Kern in der Beratung von Sportvereinen, -verbänden und Projektträgern für Sport besteht. Er erklärt ihnen, wie sie an Fördermittel etwa der EU herankommen, hilft bei der Formulierung von Anträgen, stellt Kontakte untereinander her. So kam das Projekt „Fußball und Mut“, in dem SIQ mit Grazer Fußballvereinen kooperiert, durch Unterstützung und Vermittlung des Landessportamts zustande. 

Ein kirchlicher Träger und die Politik ergreifen die Initiative, der organisierte Sport schließt sich an: „Fußball und Mut“ ist in dieser Hinsicht typisch, sagt Hirschböck: „Wir haben kaum größere Social-Inclusion-Projekte, die vom Sport ausgehen. Zumindest in der Steiermark machen das soziale Organisationen.“ Was ganz Österreich betrifft, hat eine 2010 veröffentlichte Studie zum Thema ein dutzend Good-Practice-Beispiele aufgeführt, darunter Projekte wie SIQ, aber auch einige vom Sport (mit-)entwickelte Initiativen. Wie repräsentativ die Auswahl ist, lassen die Studienautoren offen. 

Knappe Budgets im verwinkelten System 

Den Eindrücken nach setzt sich die Idee, Sport als Werkzeug der Integration einzusetzen, erst allmählich durch in Austria. Was laut SIQ-Teamleiter Michael Teichmann für den organisierten Sport gilt („das Potenzial lag lange brach“, siehe Interview), betrifft nach Hirschböcks Erfahrung auch die steirische Verwaltung: „Wenn früher eine Anfrage zu Sport und Integration reinkam, ging das immer gleich weiter ans Sozial- oder Integrationsreferat.“ Seit sich in seinem Job beides verbinde, sei eine Sensibilisierung im Gang. Es gebe jetzt ein Bewusstsein: Sport und Soziales gehen zusammen. „Wir kooperieren vermehrt über Ressortgrenzen hinweg“. 

Auch auf Bundesebene, nämlich im Sportministerium, kommt das Thema offenbar voran. Auf die Frage nach dem integrativen Stellenwert des Sports heißt es dort, man beteilige sich „seit 2010 intensiv an den allgemeinen Integrationsbemühungen“. Das schließe die Mitarbeit am Nationalen Aktionsplan Integration, aber auch den Auftrag für die erwähnte Studie ein; vom Wiener „Institut für Kinderrechte“ erstellt, hat sie den Charakter eines Leitfadens zur Gestaltung und Förderung von sportbezogener Integrationsarbeit. 

Spezielle Förderung braucht es offenbar. Selbst wenn Österreichs Verbände bisher wollten, konnten sie aus eigener Kraft schwer in Integrationsprojekte investieren. „Der Sport ist in Österreich ganz anders ausgestattet als zum Beispiel der Sozial-, Kultur- und Gesundheitsbereich“, sagt Thomas Hirschböck. Vor allem auf Landesebene reichten Geld und Personal der Verbände oft nur für die Kernaufgaben. Freilich: Ein zentral gesteuertes, auf regionaler und lokaler Ebene  umgesetztes, im Ganzen homogenes Programm wie etwa „Integration durch Sport“ schiene schwer umsetzbar: der sehr verwinkelten und dezentralen Organisation des Sports wegen (siehe Kasten). 

Zurzeit läuft eine Reform der Bundessportförderung. Auf Initiative von Sportminister Norbert Darabos, so heißt es in dessen Büro, berührt sie auch das Thema „Integration von Zuwanderern durch Sport“. Die Förderung könnte zunehmen. Bis dato unterstützt das Ministerium fünf bis zehn (in ihrem Fortgang evaluierte) Projekte pro Jahr. Das Geld gehe an die drei Sportdachverbände, an „einzelne Schwerpunktvereine“ oder an andere Förderer wie den Magistrat Wien. Der Fokus liegt laut Darabos darauf, „die Selbstorganisation [von Migrantinnen und Migranten] zu unterstützen und einen Weg in den regulären organisierten Sport zu ermöglichen sowie Vereine und Sportanlagen für Zuwanderer zu öffnen“. Integration ist ein zweiseitiger Prozess: Dieser Idee folgt man in Österreich wie in Deutschland. 

Denn bei aller Differenz der Verfahren ähneln sich Ziele und Schwerpunkte. Auch in der Alpenrepublik hat man Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund als Schlüsselgruppe definiert, auch dort will man Migrantenselbstorganisationen stärker einbinden, auch dort spielt Weiterbildung der Multiplikatoren eine zentrale Rolle – Hirschböck hat bei der EU Mittel beantragt, um Trainern mit Migrationshintergrund Besuche von Integrationsprojekten in anderen Ländern zu ermöglichen. 

Überhaupt geht der Austausch gerade bei diesem Thema voran. Vertreter von IdS haben in Graz im Rahmen eines Kurz-Workshops die Qualifizierungsmaßnahme „Sport Interkulturell“ vorgestellt. Der DOSB ist auf diesem Gebiet besonders erfahren. Die Nachfrage auch aus anderen Ländern lässt vermuten, dass er diese Erfahrung in Zukunft vermehrt weitergeben wird.

System der drei Dächer

Österreich kennt nicht einen Sportdachverband, sondern drei. ASVÖ (SPÖ-nah) und Sportunion (ÖVP-tendierend) formierten sich Ende des 19. Jahrhunderts entlang politischer Linien, nach dem Krieg kam die politisch übergeordnete ASKÖ hinzu. Alle drei zählen gut 1 Million Mitglieder, die ASKÖ vereint mit 5300 Vereinen etwas mehr als die beiden anderen. Die Interessen des Trios werden gemeinsam mit denen der teils sehr mächtigen 65 Bundesfachverbände sowie weiterer Organisationen durch die gemeinnützige Bundessportorganisation (BSO) gebündelt und vertreten. Vereine können (müssen also nicht) einem Dach- und/oder einem Fachverband angehören.


(Quelle: DOSB / Nicolas Richter)

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