Anker des Dialogs
Integrationsbeauftragte gibt es heute überall. Auch im Programm „Integration durch Sport“ spielen sie eine tragende Rolle: Sie vertreten die interkulturelle Idee an der Basis.

10.05.2013

Maria Böhmer steht an der Spitze, aber sie steht weiß Gott nicht allein. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, in Medien oft „Integrationsbeauftragte“ genannt, ist nur eine von ungezählten Personen in der Bundesrepublik, die diesen Titel offiziell tragen. Integrationsbeauftragte sind Mode, es gibt sie in Ländern und Kommunen, aber auch in Parteien und Verbänden, Medien und Unternehmen, Kirchengemeinden und Gewerkschaften. Und es gibt sie in Sportvereinen: In Proficlubs wie Union Berlin (siehe Interview), aber auch und vor allem in Stützpunktvereinen des DOSB-Programms „Integration durch Sport“.
Seit 2006 treiben Programmleitung und Landeskoordinationen das Thema Schritt für Schritt voran. Zum Beispiel, indem sie die Stützpunktvereine anregen, Integrationsbeauftragte zu benennen, und indem sie diese Personen ausbilden. „Es erleichtert den Austausch mit den Vereinen sehr, wenn da jemand ist, der sich des Themas annimmt“, sagt Karsten Lübbe, Landeskoordinator in Schleswig-Holstein. Zudem, so die Hoffnung, befördern Integrationsbeauftragte die kulturelle Öffnung im Verein. Wenn ein Mitglied mit dem Deutschen nicht so vertraut ist, soll er oder sie einen festen Ansprechpartner für Fragen und Probleme haben. Und natürlich fließen interkulturelle Aspekte eher in die Gestaltung des Vereinsangebots ein, wenn sich eine(r) für diesen Aspekt zuständig fühlt, am Besten als Vorstandsmitglied.
Ähnliche, aber nicht gleiche Aufgaben
Heute haben nicht alle, aber viele Stützpunktvereine Integrationsbeauftragte. Ihre Aufgaben ähneln sich im Prinzip (siehe Kasten) und unterscheiden sich im Detail, der Situation vor Ort entsprechend. In Sachsen etwa hat es Landeskoordinatorin Martina Spindler im Vergleich zu westdeutschen Kollegen mit viel kleineren Vereinen und niedrigerem Migrantenanteil zu tun. Und innerhalb Sachsens stellt ein Großstadtverein wie Boxring Atlas Leipzig, der seit 1993 mit „Integration durch Sport“ kooperiert, ganz andere Ansprüche an Integrationsbeauftragte als ein neuer Stützpunkt auf dem Land mit nur ein, zwei Abteilungen und wenigen zugewanderten Mitgliedern. Die Landeskoordination entspricht diesen Unterschieden, indem sie die Integrationsbeauftragten zwar zentral aus- und weiterbildet, die konkreten Aufgaben und Ziele aber im bilateralen Gespräch festlegt. In Schleswig-Holstein funktioniert das ähnlich.
In vielen Landeskoordinationen ist das Thema Integrationsbeauftragte Teil der Zielvereinbarungen mit den aktuellen Stützpunktvereinen. So bei Karsten Lübbe im hohen Norden, wo zumindest ein Teil der Vereine entsprechende Positionen geschaffen und besetzt hat. Manche, wie Tus Gaarden Kiel und FT Eintracht Rendsburg, ließen auch die Satzung ändern, um ihre Beauftragten – in Kiel ist das DOSB-Integrationsbotschafter Georges Papaspyratos – in Vorstandsrang zu heben.
Die Landeskoordinationen müssen das Thema sensibel handhaben, um es voranzubringen. Sie können und wollen den Vereinen nichts aufzwingen, die erstmal auch jemanden finden müssen für den meist ehrenamtlichen, durchaus anspruchsvollen Job. In Schleswig-Holstein besprechen sich die meisten Integrationsbeauftragten laut Lübbe nicht nur regelmäßig mit Abteilungsleitern und Trainern, sondern werben in Schulen oder Stadtvierteln mit hohem Migrantenanteil für Integration durch Sport, manche nehmen auch an Integrationsforen Teil.
Weil Vereine also nur bedingt die Wahl haben, besitzt ein Teil der Integrationsbeauftragten keinen Migrationshintergrund. Max Reusch, selbst Russlanddeutscher, findet das nicht schlimm. Der Integrationsbotschafter des DOSB, der die Sambo-Abteilung beim Stützpunktverein Boxring Atlas Leipzig leitet, sagt: „Wenn sich einer berufen fühlt, die Idee der Integration im Verein zu vertreten, dann sollte er das machen, egal woher er kommt.“
Reusch ist nicht Integrationsbeauftragter, das macht bei Boxring Atlas ein anderer. Trotzdem besucht er, selbst Spitzenathlet des russischen Kampfsports, manchmal die Seminare der Landeskoordination für Integrationsbeauftragte: als Motivator mit großer persönlicher Erfahrung. Es ist nicht der einzige Anreiz, den Martina Spindler den Teilnehmern der interkulturellen Schulungen setzt, die meist auch Trainer sind: „Ich kooperiere mit der Aus- und Weiterbildung des LSB. Wer einen Tageskurs besucht, erhält ein Zertifikat, mit dem man seine Übungsleiterlizenz verlängern kann.“
Inhalt schlägt Symbolik
Integrationsbeauftrage sind eher Anker denn Leuchttturm und manchmal beides. Spindler hat in allen 31 sächsischen Stützpunkten Ansprechpersonen, darunter einige Vorstandsvorsitzende. „In dem Fall brauche ich nicht extra einen Integrationsbeauftragten“ sagt sie. Inhalt schlägt Symbolik: Lübbes Gesprächspartnerin bei IF Stjernen Flensborg ist Heidi Jankowski, ein Vorstandsmitglied des Stützpunktvereins – als Sportliche Leiterin, nicht als Integrationsbeauftragte. Seit 2009 betreut Jankowski die jugendliche Sambogruppe des dänisch-deutschen Vereins. Sie stellt Förderanträge für das Projekt, erklärt Mitgliedern den Versicherungsschutz bei Sportunfällen und hilft in Behördendingen. Und sie berät den neuen wie jungen (Anfang 20) Abteilungsleiter: Er soll bald eine interkulturelle Schulung machen, eventuelle auch eine Übungsleiterausbildung,und mit der speziellen Vereinskultur vertraut werden. „Die Dänen sind sehr locker, das wollen wir weitergeben“, sagt Heidi Jankowski. Insgesamt scheint das anzukommen: Immer wieder sagten ihr die russischdeutschen Kämpfer der Gruppe, „dass sie sich sehr wohl fühlen, weil sie sich geben können, wie sie sind“.
Kommunizieren und kooperieren
Ausgewählte Aufgaben freiwillig engagierter Integrationsbeauftragter am Beispiel des Landessportbundes Sachsen:
- Herstellung des Kontaktes zu Migranten; Ansprache zur Teilnahme am Sport
- Unterstützung beim Aufbau eines integrationsorientierten Sportangebots
- Organisation und Durchführung vereinsinterner Integrationsmaßnahmen
- Kooperation mit den örtlichen Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie
- Beantragung und Abrechnung der Fördermittel bei der Programmleitung
- Beratung, Betreuung und Unterstützung der Migranten bei Problemen - auch im sozialen Umfeld
- Bereitschaft zur Qualifizierung
Je kulturell geöffneter ein Verein, umso leichter haben es Integrationsbeauftragte. Boxring Atlas Leipzig, der Verein von Max Reusch, hat ein Fünftel Mitglieder mit Migrationsgeschichte und ein umfassend soziales Profil. Der DOSB-Botschafter hält die Funktion des Integrationsbeauftragten „für sehr wichtig, um die verschiedenen Abteilungen in Bezug auf interkulturelle Frage zu koordinieren und als Ansprechpartner nach innen und außen zu dienen“. Integration selbst allerdings finde „zwischenmenschlich statt, also vor allem im sportlichen Alltag.“ In seiner 50-köpfigen Samboabteilung zum Beispiel sprechen viele russisch. Einige haben deutsche Wurzeln, manche türkische oder vietnamesische. Reusch sagt: „Integration ist, wenn ich als Trainer in der Kabine sage: ,So Leute, jetzt sprechen wir bitte Deutsch.'“ Damit jeder versteht und mitreden kann.
(Quelle: DOSB / Text: Nicolas Richter)