50 Jahre Zivildienst: Von „Drückebergern“ zu Stützen des Sozialsystems
Einst galten sie als Drückeberger, mussten vor einer Prüfungskommission als so genannte Kriegsdienstverweigerer mit schwitzenden Händen Rede und Antwort stehen.

05.02.2010

Heute sind Zivildienstleistende im sozialen Dienst kaum noch wegzudenken und übernehmen auch in vielen Sportvereinen wichtige Aufgaben. Eine Erfolgsgeschichte, die vor 50 Jahren mit dem Zivildienstgesetz stotternd begann.
Am 20. Januar 1960 trat das „Gesetz über den zivilen Ersatzdienst“ in Kraft. Es war schließlich notwendig geworden, nachdem 1949 bei der Abfassung des Grundgesetzes in Artikel 4, Absatz 3 als Reaktion auf die Nazi-Diktatur formuliert worden war: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Damals nahm die Bedeutung dieses Satzes kaum jemand wahr. Deutschland hatte noch keine Bundeswehr; erst 1955 wurde sie gegründet. Im Wehrpflichtgesetz von 1956 gab es dann schon einen Hinweis auf die Kriegsdienstverweigerer: „Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten.“ Eine verwaltende Institution gab es aber genauso wenig wie Ersatzdienst-Stellen. Erst ab dem 20. Januar 1960 war klar: Junge Männer, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst, später in „Wehrdienst“ umbenannt, verweigern, können zivilen Ersatzdienst leisten. Es dauerte jedoch noch mehr als ein Jahr, bis ausreichend Stellen geschaffen waren. Am 10. April 1961 traten die ersten 340 anerkannten Kriegsdienstverweigerer ihren Dienst an.
Allerdings war eine Verweigerung zu jener Zeit kein Pappenstiel. Prüfungskommissionen dachten sich kaum zu lösende Gewissensfragen aus. Druck wurde aufgebaut. Später reichte eine umfassende schriftliche Begründung. Bis zur Gleichstellung der „Zivis“ dauert es lange. Erst in den 1980er Jahren wurde die Kriegsdienstverweigerung ein gesellschaftlich anerkanntes Verhalten – auch wenn der Zivildienst ab 1973 länger als der Wehrdienst dauerte. 1984 wurde er sogar auf 20 Monate verlängert. Erst seit 2004 sind Wehr- und Zivildienst mit neun Monaten gleich lang.
Dienst zum Wohl der Allgemeinheit
Beantragten anfangs nur wenige die gesellschaftlich missbilligte Kriegsdienstverweigerung, wurden 1968 mit 11.952 doppelt so viele Anträge gestellt wie im Jahr zuvor. 1983 verweigerten etwa zehn Prozent eines Musterungsjahrgangs – Tendenz steigend. Aktuell versehen nach Zahlen des Bundesamts für den Zivildienst jeden Tag rund 76.338 Zivis ihren Dienst zum Wohl der Allgemeinheit. Ob bei der Betreuung im Altersheim, beim mobilen Essensdienst, in diakonischen Aufgaben – oder auch beim Einsatz im Sportverein. Als Tätigkeitsfelder kommen hier zum Beispiel der Behindertensport, der Seniorensport, Koronarsport oder Sport in Verbindung mit Integrationsbemühungen in Frage, seit einigen Jahren unter bestimmten Voraussetzungen auch der Sport im Kinder- und Jugendbereich.
Den Zivildienst im Sport gibt es seit 1976, als ein Modellprojekt mit zehn Zivis gestartet wurde. Danach wurden Einsatzkriterien für den Sport festgelegt und seit 1981 ist die „Verwaltungsstelle Zivildienst im Sport“ bei der Deutschen Sportjugend (dsj) angesiedelt, der Jugendorganisation im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Hier werden Vereine und Institutionen bei der Anerkennung als Beschäftigungsstelle ebenso beraten wie angehende Zivis. In einer Online-Datenbank unter www.dsj.de können freie Zivildienststellen abgefragt werden. Über 250 vom Bundesamt für Zivildienst anerkannte Beschäftigungsstellen im Sport und ihre Plätze sind hier erfasst.
Alternative auch für Spitzensportler
Auch für Spitzensportler ist der Zivildienst eine interessante Alternative. Für sie gibt es seit 1987 eine spezielle Regelung, vergleichbar der Förderung von Spitzensportlern bei der Bundeswehr. Stellen mit Freistellung für Wettkämpfe und Training gibt es etwa bei den Olympiastützpunkten. Zu den Spitzensportzivis zählte auch Schwimm-Weltmeister Paul Biedermann, der seinen Dienst nach dem Abitur zwischen Juli 2007 und März 2008 am Olympiastützpunkt in Halle/Saale im organisatorischen und sozialen Bereich ableistete. „Optimaler kann Sportförderung gar nicht laufen“, sagt Biedermann. Zudem sei der Zivildienst für ihn eine gute Möglichkeit gewesen, inhaltlich und auch fachlich dazuzulernen, interessanten Menschen zu begegnen sowie einen Einblick in die Strukturen des Sports zu bekommen. Spitzensportzivis gibt es in allen Sportarten, von Judo-Junioren-Europameister Sven Maresch, der am Olympiastützpunkt in Berlin tätig war, bis hin zu Fußball-Nationalspieler Lukas Podolski, der im April 2005 seinen Zivildienst mit einer Pressekonferenz am Olympiastützpunkt in Köln antrat.
Bewerber mit Jugendleiter- und/oder Übungsleiterschein, bzw. DLRG- und Erste-Hife-Prüfung haben sehr gute Chancen, den Zivildienst im Sport leisten zu können. Alle ohne eine sportfachliche Ausbildung erhalten die Möglichkeit, in einem dreiwöchigen Einführungslehrgang die DOSB-Übungsleiterlizenz zu erwerben – eine soziale Kompetenz, die auch nach dem Zivildienst noch gilt. Um Interessenskollisionen zu vermeiden, ist allerdings der Einsatz in einem Verein, dem der Bewerber selbst als Mitglied angehört oder in dem er gegen Entlohnung bereits tätig war, nicht gestattet.
Langwieriges Ringen um Gleichberechtigung
Nach dem langwierigen Kampf um Gleichberechtigung sieht heute jedoch nicht alles rosig aus für den Zivildienst respektive die Zivildienststellen: Unionsparteien und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Wehrpflicht (und damit den daraus abgeleiteten Zivildienst) zum 1. Januar 2011 auf ein halbes Jahr zu verkürzen. Ein Gesetzentwurf wird derzeit vorbereitet. Vor allem Einrichtungen der Wohlfahrtspflege sehen den Zivildienst dadurch in Frage gestellt: Die Beschäftigung von Zivis lohne dann nicht mehr, die Ausbildung nehme einen zu großen Teil der Zeit ein. Andererseits: Zivis sollen in ihren Dienststellen nur eine Ergänzung sein, nicht gleichwertiges Fachpersonal. Auch diese Diskussion zeigt: Der ein halbes Jahrhundert alte Zivildienst ist inzwischen eine Stütze des deutschen Sozialsystems.